Spekulativer Hysterismus

Berlin Biennale 9

2016:September // Knut Ebeling

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09-2016

Als ich neulich zur Berlin-Biennale-Preview wollte, fuhr ich morgens noch kurz bei Pro qm vorbei, wo man mir bedeutete, dass meine Destination ein No-Go sei: doch klar, dass man da nicht hingehe. Vorher noch neugierig und naiv, fühlte ich mich plötzlich ertappt. War ich auf der falschen Seite? Fehlte mir das politische Bewusstsein, um zu verurteilen, was einfach nicht geht, was offenbar allen klar war außer mir? Waren die Fronten so deutlich? Tatsächlich bestätigten nicht nur die hysterisch aufgescheuchten Kunststammtische diese polarisierte Rezeption der Biennale; auch die Presse beurteilte die Ausstellung ausgehend von den klassischen Polen affirmativ vs. kritisch: Die linke, diskursiv aufgerüstete Kritik fertigte die BB9 schnell ab und wer sie verteidigte, galt schnell als affirmativer Agent kapitalistischer Disruption.
Auffällig war jedoch, dass ein Element in der Rezeption völlig fehlte, das bei der Etablierung und Durchsetzung der Post-Internet-Art eine zentrale Rolle gespielt hatte: die Frage des Verhältnisses zu philosophischen Strömungen wie Spekulativer Realismus oder Neuer Materialismus. Gerade wenn man die Post-Internet-Art als Marketing-Kunststück beschreibt, das geschickt eine Reihe von KünstlerInnen zusammen gruppiert und diese Gruppe lanciert, spielte bei dieser Lancierung eben der philosophische Claim eine zentrale Rolle – ausgespielt am sichtbarsten in den diversen Susanne-Pfeffer-Ausstellungen im Kasseler Fridericianum, dem Headquarter der Bewegung, in dem sich bald auch die Philosophen des Spekulativen Realismus ein Stelldichein gaben. In Begleitveranstaltungen zu Ausstellungen wie (der mittlerweile klassischen) Speculations on Anonymous Materials reihten sich die Protagonisten des Spekulativen Realismus – den die Ausstellung marktwirksam im Titel trug – auf wie auf einer Stange.
Die längste Zeit hatte ich den Claim als genau solchen betrachtet: als vage Behauptung, als verkaufsfördernde Maßnahme ohne ernstzunehmendes Fundament, als schicke Referenz und intellektuelle Aufwertung einer künstlerischen Strömung, an deren Durchsetzung gearbeitet wurde. Plausibel oder evident erschien mir der Link zwischen beiden jedenfalls nicht, ging es doch bei PIA (Post-Internet-Art) um eine Post-Medienkunst, um Berührungen, Infiltrationen und Absorptionen durch das Digitale – ohne sichtbare oder verborgene philosophische Argumente, die aus der Luft gegriffen zu sein schienen. Und der Spekulative Realismus schien genau das Gegenteil von konstruktiver Medienkunst zu annoncieren, nämlich, wie sein Name schon sagt: Realismus eben.
Die Ausstellung hat mich nicht vom Gegenteil überzeugt; tatsächlich kann man nicht behaupten, dass ein (wie auch immer gearteter) Materialismus oder Realismus einer ihrer Schwerpunkte sei; bei allem, was geboten wurde – ausgesprochen materialistisch oder realistisch war es auf den ersten Blick nicht, außer vielleicht im Sinne eines neuen „Kapitalistischen Realismus“ vielleicht. Und dennoch brachte die BB9 bei mir eine Reflexion in Gang, in deren Folge mir der Claim plausibler erschien als vorher, auch wenn die Ausstellung daran keinen sichtbaren Anteil hatte.
Gab es nicht doch eine Verbindung zwischen einer philosophischen Position, die – auch wenn sie mit Quentin Meillassoux als poststrukturalistische Logik begonnen hatte – die Rücknahme der Idee der Konstruiertheit der Welt forderte und diese kaputte Welt als solche, gemachte, in den Raum gestellte annehmen wollte und einer Post-Internet-Kunst, die behauptete, ihre Kunstwerke referierten nicht auf Künstlersubjekte, sondern auf die Maschinen, Medien und Netze, durch die sie gegangen sind und die sie gebaut hatten? Verband nicht die Behauptung der Referenzlosigkeit, der Abgetrenntheit und Isolation des Materials und der Dinge der Welt die Kunst mit der Philosophie?
Immerhin, es gab kaum Arbeiten der Biennale, die diesen Claim offensiv illustrierten – und das bei aller Illustrativität einer Biennale, die über weite Strecken aussah wie ein Post-Internet-Theme-Park. Tatsächlich war es ja bestechend (oder erschreckend), wie linear zentrale Claims des Akzelerationismus von der Ausstellung umgesetzt wurden. Doch die Themen Materialiät und Realismus wurden nicht sichtbar abgedeckt – außer über argumentative Umwege wie Konsumismus-als-Realismus oder Ökonomismus-als-Materialismus. Dagegen überwogen für mich die öffentlichkeitswirksamen Themen wie die der Theatralisierung des öffentlichen ­Raumes oder auch die Frage nach dem Internet als einer neuen disruptiven Mythologie – und vor allem natürlich die affirmative Verwendung kapitalistischer Strategien als Subversion desselben: was naturgemäß ein so aufgeladenes ideologisches und polarisierendes Thema ist, dass die Kunststammtischrunden dann irgendwie wieder Recht hatten mit ihren Hysterien.
Foto: Andreas Koch