Entspannt rumhängen…

Berlin Biennale 9

2016:September // Michael Pohl

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09-2016

Entspannt herumhängen und sich so durchklicken

Wir brauchen bequeme Sitzgelegenheiten! Das ist endlich verstanden worden. Genauso wie zuhause und unterwegs sich alles immer mehr mit auf kleine und größere Screens gerichtetem Blick abspielt, und stetig wachsende Informationsmengen auf uns einprasseln und verarbeitet werden möchten, lässt sich in der Kunst schon seit vielen Jahren ein immer stärker werdender Trend zum Bewegtbild feststellen. Spätestens seit Kameras und Computer in so gut wie jedem Haushalt zu finden sind, gibt es auch kaum noch Künstler, die nicht zumindest gelegentlich mit Video herumspielen. Und natürlich ist auch diese Berlin Biennale überfüllt mit Projektionen, Animationen, Videocollagen, kurzen und längeren Filmen, oft auch gleich auf mehreren Bildschirmen.
Inzwischen hat man aber dazugelernt und viele Videos sind in Environments eingebettet, die das zu Sehende in den Realraum erweitern wollen, aber auch den Besuchern Möglichkeiten anbieten, es sich gemütlich zu machen, so dass die vielen Stunden an Material, die sich so ein Biennale-Besucher reintun muss, halbwegs auszuhalten sind. Das ist gut, täuscht aber nicht darüber hinweg, dass eine ganze Reihe von Künstlern versuchen, mit Hilfe von aufwendiger Deko eher dünnen Videoarbeiten zu mehr Gewicht zu verhelfen.
Insgesamt zieht sich das Thema „Entspannt herumhängen“ eh durch die ganze Veranstaltung, und an jedem der Ausstellungsorte gibt es mindestens eine Arbeit mit eingebauten Sitz- oder Liegegelegenheiten, auch schon mal mit Anschlüssen für die eigenen elektronischen Geräte (man kann sich also in aller Ruhe mit sich selbst beschäftigen und trotzdem an der Ausstellung teilhaben). In einem Fall findet man sich zwar nicht ganz so bequem auf dem Rücken einer Miniatureisenbahn wieder, wird hier aber durch den Spaßfaktor durchaus entschädigt.
Vielleicht hängt dieser Hang zur Gemütlichkeit damit zusammen, dass viele der präsentierten Arbeiten der Noch-nicht- oder knapp-über-Dreißigjährigen häufig eher an Messepräsentationen erinnern denn an klassische Kunstwerke – was ja durchaus auch von den Kuratoren beabsichtigt ist, welche mit ihrer Online-Plattform selbst fast mehr Firma als Künstler sind. Und Unternehmen möchten, dass sich der Betrachter – oder vielleicht der Kunde – wohlfühlt, während er sich mit dem Angebot auseinandersetzt. So bekommt man im Namen der Kunst unter anderem lifestylige Werbedisplays für Kleidung, Bettwäsche, Bio-Säfte, Sanitäranlagen, neue Wohnformen oder eben Sitzgelegenheiten vorgesetzt, mal mehr, mal weniger gelungen.
Meistens bleibt irgendwie unklar, ob man primär das angebotene Produkt kaufen soll oder es eher um eine Art Kritik geht, wahrscheinlich haben sich die Künstler selbst gar nicht wirklich entschieden. Jedenfalls gibt es sehr viele Produkte, die man kaufen könnte – man weiß allerdings manchmal nicht, ob man dadurch zum Teilhaber oder zum „Opfer“ der Kunst wird.
Wenn sich die Künstler nicht mit Marketing auseinandersetzen, dann beschäftigen sie sich am liebsten mit Themen aus den Bereichen Internet, digitale Technologien, Gender und Zukunft der Menschheit, zeigen uns ihre Emails oder erzählen Geschichten, die ihnen aus irgendeinem Grund wichtig sind.
Es gibt tatsächlich nichts Ungegenständliches mehr. Alles, was wir sehen hat ein Thema, beschäftigt sich mit einem bestimmten Kontext oder bereitet Daten künstlerisch auf. Die Arbeiten stehen nicht für sich, sondern verhalten sich wie Links, verweisen auf bestimmte Zusammenhänge, informieren über diese oder verwenden sie als Ressource. Referenzen sind die Währung, die hier gehandelt wird. Auf die Spitze getrieben wird dies von der nur noch aus Verweisen, aus gesammelten Videoschnipseln bestehenden, ausschließlich auf der Biennale-Website einsehbaren Arbeit der anonymen Figur Puppies Puppies, die dann doch wieder total abstrakt wirkt, so undechiffrierbar sind die Zusammenhänge.
Sowieso mutet der Rundgang für mich ein wenig so an wie das Prokrastinieren am heimischen Rechner: Eigentlich möchte man etwas Wichtiges erledigen, aber irgendwie ist man gefangen in diesem Strudel zwischen Online-Artikeln, zufällig ausgesuchten Youtube-Videos, Recherchen für irgendein Projekt, inhaltsleeren Clickbait-Blogs, Tutorials geistesabwesend durchgescrollter Facebook-Posts usw. Es gibt immer wieder diese Punkte, wo es plötzlich richtig interessant wird und man gar nicht merkt, wie die Zeit vergeht, zum Beispiel Simon Dennys spannendes, leider sehr hölzern geratenes Display über Kryptowährungen und Blockchain-Startups (passend platziert in der European School of Management and Technology) die überdrehten Youtube-esken Videos von Lizzie Fitch/Ryan Trecartin, oder – als quasi kompletter Gegensatz dazu – Simon Fujiwaras „Happy Museum“, quasi eine Linksammlung als physische Ausstellung. Und wenn man dann irgendwann weiterzieht, muss man erst einmal mehreren „Popups“ mit überflüssigem Nonsens aus dem Weg gehen. Kurz darauf wird einem dann wieder etwas zum Kauf angeboten, und man fragt sich, ob mit dem Erlös denn dann wenigstens das Gehalt der Aufsichten aufgebessert wird, die natürlich nur den Mindestlohn erhalten.
Alles wird hier gründlich und kontinuierlich mit allem vermischt, und zwar nicht bloß vom kuratorischen Ansatz her, sondern oft auch innerhalb der einzelnen Werke: Wer nur in einem Medium arbeitet, ist eh out. Manchmal wirkt das sehr bemüht und wir merken, dass Bilder auf Instagram posten und einen Raum mit einer schlüssigen Arbeit füllen eben doch zwei verschiedene Sachen sind. Oder dass ein Film nicht unbedingt dadurch besser wird, wenn man ihn auf einem Schiff zeigt, das scheinbar von Schulkindern mit angezündeltem Plastikschrott und alten Puppen zu einer Art Zombie-Karnevalswagen umgewandelt wurde.
Sicher kann man fast allem, was auf dieser Berlin Biennale gezeigt wird, das Label Post-Internet verpassen – kein Wunder, wenn das Kuratorenteam selbst zu den Protagonisten dieser schwammig definierten Kunstgattung gehört. Und auch wenn viele Projekte nicht direkt offensichtlich etwas mit dem Internet zu tun haben, so sieht man doch deutlich, dass Online-Arbeit und -Recherche heute ein normaler Bestandteil des Alltags eigentlich jeden Künstlers sind, und deshalb auch nicht mehr weiter speziell erwähnt werden müssen.
Überhaupt macht die Biennale-Website klar, dass es bei diesem Post-Internet längst nicht mehr darum geht, das Netz in den Ausstellungsraum zu zwängen. Tagelang kann man sich hier durch zusätzliches Material, exklusive Online-Projekte, Performance-Dokumentationen, Wissenschaftsessays oder Künstlergespräche wühlen. Im direkten Vergleich zur 8. Berlin Biennale hat sich die Web-Präsenz von einer knappen Informationsseite über die Ausstellung zu einem schier unüberschaubaren Konglomerat an zusätzlichen Inhalten und weiterführenden Links entwickelt, das kein Zusatz, sondern selbstverständlicher Bestandteil der Schau ist. Genau wie im richtigen Leben ist inzwischen also alles miteinander vermengt und die Grenzen zwischen virtuellem und realem Bereich sind ziemlich aufgelöst. Hinzu kommt das umfangreiche Programm aus Vorort-Diskussionen, Live-Performances und vielem mehr. Alles in allem viel zu viel Inhalt, um sich tatsächlich durch alles durchzuarbeiten – ganz wie das Internet selbst.
Und obwohl – oder gerade weil – man irgendwie das Gefühl hat, dass viele der einzelnen Projekte und Arbeiten nicht richtig funktionieren, dass es ganz oft stärker um die durchgestylte Optik als um inhaltliche Auseinandersetzung geht und dass die zumindest gelegentlich angedeutete Kritik z.B. am Kapitalismus eben nicht durch die völlige Umarmung desselben transportiert werden kann, ergibt die Gesamtmischung, das chaotische Vor- und Zurück zwischen verschiedenen Welten irgendwie ein stimmiges Bild, auch wenn es sich für mich nicht unbedingt positiv anfühlt – diese technologieabhängige, werbefixierte, designorientierte, konsumversessene Kunst tritt genauso auf der Stelle wie wir, wenn wir uns mal wieder über Facebook beschweren, und zwar auf Facebook. Die wenigen explizit politischen Arbeiten wirken fast wie Fremdkörper, eigentlich geht es hier um die Weltsicht der Digital Natives – und die scheint geprägt von einem verwirrenden Fatalismus, der mehr oder weniger den Niedergang der Menschheit akzeptiert hat und deshalb wenig Veranlassung sieht, sich gegen irgendwas zu wehren. Also wird mit allem, was zur Verfügung steht – Technologien, Lebensentwürfe, Geschlechterzuordnungen – fröhlich herumgespielt und alles, was wir sowieso nicht ändern können, ignoriert. Oder man springt, wie gleich an mehreren Stellen zu beobachten, direkt an den Endpunkt der Geschichte und fantasiert einfach über das Danach.
Fotos: Andreas Koch