Drag, Display und Raum

Berlin Biennale 9

2016:September // Agnieszka Roguski

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09-2016

Maximale Mimikry. Drag, Display und Raum in der BB9

Globalisierung beginnt zu Hause, folgt man den Ausführungen des postkolonialen Theoretikers Homi K. Bhabha, und so fühlt sich auch der erste Besuch auf der neunten Berlin Biennale – BB9 – zumindest beim Pressegespräch recht heimelig an. Ein Pizzakarton wird von Christopher Kulendran Thomas weggeräumt, der selbst eine wohnzimmerartige Lounge gebaut hat, in der er ein Modell für ‚Liquid Citizenship’ – den fluiden Zuhausebegriff – vorstellt. Wer will, lässt sich auf Sofas, Sessel, Teppiche und ein Bett sinken. Zur Wiederbelebung gibt es grüne Smoothies. Einen Besuch in der Hyperkultur könnte man, den eher düsteren Visionen des Philosophen Byung-Chul Hans folgend, diese Erfahrung nennen: Wer sich in ihr bewegt, ist schon zu Hause ein Tourist und kommt nirgends endgültig an. Dass es sich hier jedoch um ein Format handelt, das global agiert, sich international adressiert und als quasi mobiles Konzept jede einzelne der Ausstellungen gerade durch die Auswahl und Gestaltung der speziellen Ausstellungsorte definiert, kann als Common Sense einer ebenso internationalen Kunst-Community betrachtet werden, die neben Touristen und dem sogenannten Kulturbürgertum wohl den Großteil der BesucherInnen darstellt. Ökonomische Prinzipien der Vernetzung formen so oder ähnlich die Zusammensetzung jeder Biennale – auf gestaltender wie teilnehmender Ebene. Indem das Kuratorenteam DIS die Berliner Akademie der Künste als einen der Hauptausstellungsräume wählt, platzieren sie das Geschehen überdies in einer Melange aus touristischer Pflichtveranstaltung am Brandenburger Tor, gleichgeschaltetem Konsum bei Starbucks und einer technisierten Repräsentationsmacht der amerikanischen Botschaft und der Commerzbank.

DIS, das aus Lauren Boyle, Solomon Chase, Marco Roso und David Toro bestehende Kollektiv aus New York, bewegt sich damit in einer Transitzone. Zunächst beschreiben sie ihre Rolle als Kuratoren, indem sie auf ihre Identität als Bildproduzenten zurückgreifen – mit dem 2010 gegründeten DIS Magazine wurden sie schnell zu einem Online-Erfolgsmodell. DIS avancierte so zu einem Akteur, der von der Kunstwelt gerne auf Mode und von der Modebranche gerne auf Kunst reduziert wurde; ein Alleinstellungsmerkmal, das sie zum Ideengeber für eine Modewelt werden ließ, in der Disruption zum Grundimpuls des kreativen Unternehmergeistes gehört. DIS wiederum kopierte die Logik eben jener Unternehmer-Ästhetik, untersuchte Massenbilder, Corporate Designs und Geschäftsmethoden durch deren hyperreale Wiederholung. Der Schein des Unternehmerischen entwickelte sich zum Statement.

Der Übergang zwischen Kunst und Kommerz – der ohnehin längst nicht nur künstlerisch thematisiert wurde, sondern bereits kommerziell besteht – kennzeichnet den Hintergrund der diesjährigen Berlin Biennale insofern grundsätzlich, jedoch nicht allein. Vielmehr öffnet sich ein Raum voller hybrider Bezüge, die im Transit-Modus verharren, ohne dabei einen klareren Standpunkt einnehmen zu wollen als eben jenen, das eine so wenig zu sein wie das andere. The Present in Drag nennen DIS die Biennale programmatisch, und richten sich so auf eben jenes Moment der Nachahmung und Überstilisierung, das ihren Modus Operandi am besten beschreibt. „This is a format that works for everything“, heißt es dazu auf der BB9-Website; das Logo erinnert an die Deutsche Bank und wird mal als virtuelle Skulptur, mal als hölzerne Transportkiste inszeniert. Ein sich konstant wandelndes Schwellenprodukt stellt neben den überall erscheinenden Bildern im perfekt unstimmigen Werbelook vor allem das Verhältnis zwischen Bild, Bildschirm und Installation dar. Was schnell als sich wiederholende Verkettung einzelner Arbeiten innerhalb einer kuratorischen Gesamtinstallation gelesen werden kann, schafft vielleicht mehr, als das Dasein der BesucherInnen durch, in und über Screens zu spiegeln oder die Grenzen zwischen den einzelnen Arbeiten und dem Ausstellungsraum als solchem ins Diffuse zu verlagern.

Was also bedeutet und bewirkt Drag in der neunten Berlin ­Biennale jenseits der grotesk verzerrten Figuren in den Videos von Lizzie Fitch und Ryan Trecartin oder den Performances von Ei Arakawa? Das Merkmal bunter Perücken überschreitend, bezieht sich Drag als Phänomen vor allem auf urbane Zentren, in denen sich das sozial Periphere als Szene artikuliert. Während sich Drag Queens und Drag Kings auf die Inszenierung von Gender konzentrieren, kann Drag weitergefasst Rollenbilder durch Übertreibung ad absurdum führen. Es impliziert eine Form von Mimikry und damit die Erzeugung eines hohen Maßes an Ähnlichkeiten zwischen sämtlichen Organismen bezüglich ihrer visuellen Gestalt. Diese Ähnlichkeiten stilistisch so zu überformen, dass Doppelgänger zu eigenständigen Figuren werden, liegt in der Kunst des Drag. Im Gegensatz zum Camp werden jedoch nicht die Inhalte von alltäglichen Objekten soweit abstrahiert, dass bloße Formen und Variationen mit Genuss erlebt werden können, sondern gerade die Attribute und Zuschreibungen von Inhalten werden formell so gesteigert, dass die damit verbundene Identität grell sichtbar wird. Anna Uddenbergs Skulpturen etwa strapazieren ihre fragmentierten Körper auf Koffern, Kinderwagen und Sesseln, während sie mit den modischen Accessoires des urbanen Jetsets ausgestattet sind. Ihre Posen können dabei pornografisch verstanden werden, insofern sie die Machtsymbolik, die mit der Darstellung weiblicher Körper verbunden ist, genauso ins Explizite und Extreme ausdehnen wie selbstverständlich gewordene Lifestyle-Objekte. Hallt in der Biennale also ein nostalgisch gewordener Unterton wider, der unsere gegenwärtige Existenz als bloßen Schein einer überfordernden, alles absorbierenden Online-Welt charakterisiert – dafür aber cool aussieht?

Was auf problematische Weise den Schwerpunkt auf eine Netzexistenz als solche legt, die scheinbar global oder transkulturell auftritt (wie etwa in Halil Altinderes Video, in dem Flüchtlinge durch Wellness-Strategien Grenzen überqueren), gilt doch vornehmlich einer westlich geprägten Mittelschicht, die sich im sozialen Dilemma zwischen Prekariat und Elite vor allem über Stil zu definieren weiß. Neben relativ ungeklärten Fragen der Repräsentation sind es jedoch vorwiegend Methoden der Präsentation, die über ein rein affirmatives Formenspiel hinausgehen. DIS inszeniert für die Biennale eine Vielzahl von Verkörperungen, die Ästhetik und Form dessen untersuchen, was auf eben jenen Parametern basiert. Übergenau werden Mechanismen der Identifikation aufgegriffen und an die BesucherInnen zurückgegeben – als Concept Store, Wandtext, Merchandising-Artikel. Die Kontextualisierung der Ausstellung geht damit über eine teils redundante Verkettung einzelner künstlerischer Arbeiten hinaus. Sie spiegelt sich selbst, genauso wie sie ihre Außenwelt spiegelt. Damit schafft sie einen Raum, der in der Überfülle des Visuellen gerade nicht sichtbar ist.

Zwischen den KW, der European School of Management and Technology, dem Reederei Riedel Sightseeing-Schiff und dem Kreuzberger Bunker der Feuerle Collection entfaltet sich – abgesehen von den obligatorischen KW als Gründungsinstitution der Berlin Biennale – eine repräsentative Verflechtung von Tourismus, Stadtmarketing, Ökonomie und privater Kunstsammlung. Damit überbietet DIS gewissermaßen den Kritikpunkt, Biennalen würden als Megastrukturen der Kunstwelt ein globales System beschreiben, das sich anonym über den tatsächlichen Ort stülpt, lokale Akteure ignoriert und als Marketinginstrument oder Herrschaftsapparat von Kulturideologien fungiert. Die BB9 untermalt und orchestriert vielmehr ein System bestehender Megastrukturen, die vor Ort genau diesen bereits räumlich absorbiert haben. The Present in Drag tritt auf im Kostüm eines bereits vorhandenen Nicht-Ortes, der die eigene Geschichte als Selfie-Pose zitiert. Er besteht aus einer Überfülle von Zeichen und Verweisen, die letztlich nichts Existierendes beschreiben, sondern eine durch Platzhalter beschriebene Realität bilden. Während das historische Berlin im Spektakel um das Brandenburger Tor wohl nur noch als abwesender Referent erscheint, wird es durch den Konsum von Bildern und Produkten konstant re-inszeniert. Drag wird so zum performativen Gesamtkonzept: Es imitiert Strategien, die selbst bereits einen Ort oder eine Identität kopieren. Was so gerade nicht sichtbar wird, ist ein Raum, der als bloße Resonanz zwischen Business School und Akademie der Künste oder Smoothie und Starbucks-Kaffee existiert. Neben dem Vorwurf und Kompliment, DIS habe die Biennale auf einen selbstzentrierten Überschuss an Stil reduziert, ist es so wohl vor allem das Unsichtbare, was die BB9 kennzeichnet. Es formt sich durch eine ästhetisierte Vermischung von Traditionslinien und Bedeutungsketten, die sich durch unterschiedliche Diskurse und Technologien als ein ungreifbares Dazwischen weder im Ausstellungsraum noch außerhalb dessen befindet. Fluide und mobil markiert es eine sich immer bewegende Grenze von Selbstbild und Identität und definiert diese jenseits des Wesenhaften und Eigentlichen. Die neunte Berlin Biennale hätte damit genauso an einem anderen Ort stattfinden können – und nirgends anders als in Berlin.
Foto: Andreas Koch