Mit Schnitte #8

Anja Majer und Esther Ernst im Gespräch mit Katinka Theis

2016:September // Anja Majer und Esther Ernst

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09-2016

Für ihre Gesprächsreihe Mit Schnitte laden die Künstlerinnen Anja Majer und Esther Ernst Kolleginnen und Kollegen am Tag nach ihrer Vernissage zu einer selbstgemachten Schnitte und zum Gespräch über das Phänomen der Eröffnung im Allgemeinen und den vergangenen Abend im Speziellen ein. Mit Schnitte #8 ist ein Interview mit der Künstlerin Katinka Theis anlässlich ihrer Ausstellung „Raumschall“, die am 29.07.2016 bei Scotty Enterprises in Berlin eröffnet wurde.

Esther Ernst  /  Willkommen zur achten Schnitte, liebe Katinka. Uns interessiert die Eröffnung als Anlass, der voller Emotionen, Erwartungen, Wünschen oder Enttäuschungen steckt … Die Vernissage ist Feier und Arbeit zugleich, markiert den Beginn einer Ausstellungszeit und das Ende einer Arbeitsperiode. Sie ist der Ort, an dem Künstler und Werk gemeinsam öffentlich auftreten, und diese Kombination bringt eben oftmals eine Herausforderung mit sich.
Wie war’s denn gestern?
Katinka Theis  /  Schön. Es war auf jeden Fall eine schöne Eröffnung für mich.
Ich glaube, wir haben erst um 24 Uhr die Türen zugesperrt, und irgendwie hat sich immer wieder zyklisch das Publikum verändert. Dadurch habe ich unterschiedliche Gespräche und Konstellationen mit Menschen erlebt.
Vor einer Eröffnung habe ich aber auch immer einen Moment, in dem ich sehr aufgeregt bin und infrage stelle, ob das jetzt gut ist, dass die Eröffnung kommt. Ich habe den Eindruck, dass auf eine lange Stille, in der sich die Arbeit entwickelt, eine ganz plötzliche Kommunikation folgt. Und da weiß ich vorher immer nicht, ob ich dem Wechsel Stand halte. Während des Ereignisses geht mir der Sinn des Ganzen wieder auf. Dann freue ich mich auch über das Ritual der Eröffnung. Irgendwie ist die Arbeit ja nicht richtig da, wenn die Menschen sie nicht auch wahrgenommen haben. Obwohl ja immer die Frage bleibt, ob der ganze Vorgang der Vernissage dem Werk gerecht wird, oder das Werk dem Vorgang.
Anja Majer  /  Es ist ein bisschen so, wie wenn du die Tür aufmachst, aber nicht genau weißt, was draußen ist, aber weißt, dass du sie aufmachen musst und vielleicht auch schon ein Gemurmel hörst … Und dann kommt der Ansturm – oder gar niemand. Aber die Tür muss irgendwie aufgehen, das ist klar.
Theis  /  Genau!
Majer  /  Hast du Rituale, wie du dich auf die Vernissage vorbereitest? Also eine bestimmte Vorbereitungszeit, die jetzt gar nicht unbedingt mit der Arbeit zu tun hat, sondern eher mit dem Wissen, dass man an dem Abend im Fokus steht und so auch als öffentliche Person wahrgenommen wird.
Theis  /  Ich habe kein großes Ritual, aber ich versuche immer ein bisschen Zeit zu haben, um vor dieser Geschwindigkeit bei der Eröffnung ganz langsam zu werden. Um einmal – was ich sonst selten tue – irgendwo zu sitzen und Kaffee zu trinken, mich in Ruhe zu duschen und mir zu überlegen, was ich jetzt am liebsten anziehen möchte.
Majer  /  Nimmst du dir für den Abend etwas vor? Also zum Beispiel mit jemand Bestimmtem zu sprechen, den du eingeladen hast.
Theis  /  Eigentlich nehme ich mir vor, für alles offen zu sein und keine Erwartungen zu haben. Was schon auch eine Konfrontation bedeutet.
Majer  /  Inwiefern?
Theis  /  Für einen selber. Also ich find es einfacher, sich zu überlegen, das mach ich jetzt heute mal so oder eben mal anders. Ich versuche aber, meine Erwartungen eher auszublenden, weil es bisher dann doch jedes Mal anders gekommen ist, als ich dachte. Darum geh ich jetzt einfach davon aus, nicht zu wissen, was passiert, und mir nichts vorzunehmen.
Ernst  /  Und du kriegst es wirklich hin, keine Erwartungen aufzubauen?
Theis  /  Nein, das ist eine tendenzielle Aufgabe, die ich mir selber stelle.
Ernst  /  Glaubst du nicht, dass sich anhand der Vernissagen eben gerade die Wünsche und Sehnsüchte zeigen und sich in Erwartungen wandeln?
Theis  /  Ja, das stimmt schon, das ist genau der Abend, auf den man große Erwartungen projiziert. Gleichzeitig ist meine Erfahrung, dass sich an Vernissagen selten meine Vorstellungen erfüllen, sondern ganz andere Dinge passieren. Wenn sich aus dem Ereignis der Vernissage etwas entwickelt, dann immer im Nachklang, und auch dann meistens anders, als man denkt.
Ernst  /  Hast du gestern auch Kritik bekommen?
Theis  /  Ja, also jetzt keine erschütternde Kritik, aber ich konnte aus dem, was gesagt oder gefragt wurde, bestimmte Fragestellungen ableiten. Es gibt in meiner Installation ein Element, das sehr konträre Meinungen hervorgerufen hat. Ich würde sagen, es ist ein neuer Aspekt in meiner Arbeit, der noch Potenzial zur Weiterentwicklung hat, der aber in der gesamten Rauminstallation nicht fehlen durfte.
Majer  /  Du warst ja in den letzten Jahren mit Stipendien in Island und in Norwegen unterwegs. Wie fandest du die Eröffnungen dort? Verhalten sich die Leute dort anders im Vergleich zu Berlin oder zu Deutschland überhaupt?
Theis  /  Ich finde schon. Wir haben gestern zum Beispiel erst um zwölf zugemacht, weil es eine heiße Sommernacht war und immer wieder Leute kamen. Ich fand, das war ein typisches Berliner Verhalten. In Island sind die Eröffnungen ganz früh, oft nachmittags um vier. Und dann geht die Veranstaltung auch nicht in den Abend, die haben einen ganz anderen Charakter.
Ernst  /  Scotty Enterprises haben dich ja als Gastkünstlerin in ihren Projektraum eingeladen. Hast du dich gestern mehr als Gastgeberin oder als Gast gefühlt?
Theis  /  Ja, interessante Frage. Irgendwie steht man da auf beiden Seiten. Wir haben wunderbar zusammengearbeitet. Und die Künstlerinnen von Scotty Enterprises haben ganz klar die Rolle des Gastgebers übernommen. Auf der anderen Seite habe ich den Raum gestaltet und auch die Gäste mit empfangen, sodass ich sagen würde, wir waren an dem Abend gemeinsam die Gastgeber.
Ernst  /  Was ich so speziell finde an Vernissagen, ist, dass Kunst und Künstler gemeinsam auftreten und sich entweder gegenseitig den Rang ablaufen oder einander gut in die Hände spielen. Hast du schon mal erlebt, dass du kaum beachtet wurdest, weil die Kunst im Vordergrund stand – oder umgedreht, dass hauptsächlich du angesprochen wurdest, während deine Kunst kaum Beachtung fand?
Theis  /  Ja, auf jeden Fall. Im Endeffekt ist es ja auch so, dass es gar nicht so sehr um einen selbst geht. Aber die Aufmerksamkeit der Besucher richtet sich schon fast zu sehr auf die Person. Ich bin immer dankbar über jeden, der sich direkt zum Werk wendet, wenn er reinkommt. Und ich kenne es auch von mir selber als Ausstellungsbesucherin, dass ich oft den persönlichen Bezug wähle, wenn ich die Person kenne. Ich glaube, das ist auch so was, warum Vernissagen ein Schwellenmoment sind. Es ist ja auch die Frage, wie man sich in diesem Moment zu seinem Werk stellen kann.
Ernst  /  Traust du dich zu gucken, wie die Besucher deine Kunst betrachten?
Theis  /  Also ich war letztes Jahr in Ahrenshoop in einer Ausstellung, wo auch eine Arbeit von mir gezeigt wurde, und habe lange Leute beobachtet, die über meine Arbeit geredet haben. Das war großartig. Ich glaube, solange klar ist, dass du die Künstlerin dazu bist, findet dieses unbefangene Sprechen ja gar nicht statt.
Majer  /  Was machst du denn am Tag nach der Eröffnung – also außer heute?
Theis  /  Am ersten Tag nach der Eröffnung habe ich meistens eine schöne, innere Freude. Hatte ich heute auch. Also im Gegensatz zu meinem unbehaglichen Gefühl vor der Eröffnung freue ich mich dann am Tag danach über das Geschaffte. Oft denke ich nachts noch lange über die Begegnungen des Abends nach, weil es eben dauert, diese komprimierte Kommunikationszeit zu verdauen. Wenn ich am nächsten Morgen aufwache, gehts mir aber meistens gut. Das Loch kommt dann später.
Majer  /  Und wann fängst du wieder an zu arbeiten?
Theis  /  Das kommt darauf an. Also jetzt würde ich mir ein bisschen Zeit lassen. Manchmal fange ich aber auch direkt wieder an zu arbeiten, um über diesen ganzen Komplex von Arbeit und Ausstellung hinwegzukommen.
Majer  /  Findest du es einfacher, mit fremden Leuten über deine Arbeit zu reden als mit Bekannten?
Theis  /  Einfacher finde ich es auf jeden Fall mit Fremden. Mit Freunden kann das Gespräch aber eine große Tiefe entwickeln. Weil es zurückgreift auf eine Historie von Austausch über die Kunst.
Findet ihr das leichter oder schwerer? Wenn ich kurz mal zurückfragen darf.
Majer  /  Ich finde, es kommt wirklich drauf an. Es kommt auf die Person an und auf die Situation. Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich mich bei Freunden – oder eher bei Bekannten, auf eine Weise rechtfertigen muss. Oder dass ich da jetzt was zu erfüllen habe. Bei Fremden fällt es mir leichter, locker in ein Gespräch zu gehen, wahrscheinlich genau aus dem Grund, dass es keine Geschichte gibt. Ich bin sozusagen ein weißes Blatt Papier. Die Arbeit ist da, ich auch, und das sind die einzigen Koordinaten. Das finde ich eigentlich großartig.
Ernst  /  Ich glaube, ich richte unbewusst die Bitte an meine Freunde, dass sie an den Eröffnungen keine Arbeiten mit mir besprechen, sondern dass sie für mich da sind. Auch um gemeinsam zu feiern.
Theis  /  Ja, damit sprichst du eine Art Regelung an, wie man sich dem Künstler bei der Vernissage gegenüber verhält. Das ist ja auch interessant innerhalb dieses Werk-Person-Verhältnisses. Zum Beispiel gibt es immer wieder Leute, die mir am Eröffnungsabend viel zu viel von sich erzählen. Und das ist etwas, wo ich mir denke, das geht doch gegen die Regeln. Eigentlich müssten mir die Menschen doch jetzt helfen, mich in diesem Eröffnungsmodus zu begleiten, statt es mir schwer zu machen. Da wird eigentlich ganz schön viel an Regeln vorausgesetzt.
Gestern hat mir eine Bekannte erzählt, dass sie in Japan eine Ausstellungseröffnung hatte und dass es da üblich ist, dass die Besucher Geschenke mitbringen (alle lachen begeistert). Das fand ich wirklich schön.
Majer  /  Letzte Frage. Wenn du es dir total frei aussuchen könntest, rund um die Welt und darüber hinaus, wo hättest du gerne deine nächste Eröffnung?
Theis  /  Oh, da hab ich noch nie drüber nachgedacht … Ja, Japan, ich glaube Japan (lacht). Nicht wegen der Geschenke, sondern weil es mein nächstes angestrebtes Ziel ist, schon lange.

Foto: Anja Majer, Esther Ernst