Wo ich war

2016:September // Esther Ernst

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09-2016

PAULSEN UWE & PÄFFEL EMIEHL 24. März 2016
Celebrities And Bottles
Galerie Art Cru, Berlin

+ Uwe Paulsen malt lustige Portraits von Königen, Pop-Stars, Päpsten und Despoten. Emiehl Päffel (Pseudonym) berichtet mit grandioser Sichtweise eines Art brut- Künstlers über die porträtierten Personen in Textform und verfasst kurze lexikalische Biografien und Bildbetrachtungen. Unter dem Bildnis von Sigmund Freud steht zum Beispiel: „Siegmund Freud entdeckte die Psichoanalüse! Da muss sich der Patzjent so lange mit dem Doktor unter halten, bis er sich um Kopf und Kraken geredet hat. Das hat den Vorteil, das man nicht mehr mit Elektro Schocks geflutet werden muss. Andererseits, wenn einem nichts einfällt, oder man nicht sprechen will, weil das auch peinlich werden könnte, wird man trotzdem abgeholt und geflutet. [...] Doktor Siegmund Freud hatte aber auch ein Laster, wie man auf dem hervorragenden Bild gut erkennen kann, nämlich dicke Zigarren. Man weiss ja heute wie schädlich das Rauchen ist, und wie krank vor allem die Lungen davon werden. Er verstarb im blauen Qualm seiner dicken Zigarren 1939.“


IKEMURA LEIKO 3. April 2016
... Und plötzlich dreht der Wind
Haus am Waldsee, Berlin

+ keine Ahnung wieso, und ohne ihre Arbeit zu kennen (aber stets mit einem klaren Gefühl, dass ich an der UdK bei ihr super aufgehoben gewesen wäre) erwartete ich mich begeistert. Aber statt dessen Irritation. Und erst recht im oberen Stock, da hielt ich’s ganz schlecht aus ob der kitschigen Blumenfotographien, der harmlos deformierten Portraitserie, den abstrusen Schiffsbildern und dem Holzschnittschrein. Die grossformatigen Bilder im unteren Stock fesselten mich hingegen. Die sind irgendwie widerlich in ihrer Seichtheit und dem fliessenden Licht und den japanisch angedeuteten Landschaften? Und dann säumt der untere Bildrand halb tote Manga-Menschenkörper. Alles trans-parent oder dünn vernebelt, die Dinge nur angezeichnet, dann wieder verwischt oder übersprüht (mit Gold?!). Ist das Fukushima? Ihre Bronze- und Keramikskulpturen rühren mich an (Bettina meint: dafür hab ich keine Sprache), aber ihre aufgeklebten Kurzgedichte sehen aus wie die Klugscheisserzitate in den schweizer Zügen.


SPECKER HEIDI 11. April 2016
In Front Of
Berlinische Galerie

+ In Front Of ist eine neue und extra für diese Ausstellung produzierte Serie von Portraits. Ungewöhnlich für Heidi Specker, die sich ansonsten eher draussen mit architektonischer Natur beschäftigt, dass sie nun ihre Arbeit ins Studio verlegt und dorthin befreundete Künstler eingeladen hat. Die Portraitserie steht der Serie Im Garten von 2005 gegenüber und das macht die Ausstellung spannungsvoll und toll zum Schauen. Wobei so verschieden die Arbeiten dann doch wieder nicht sind. Denn sowohl bei den Architekturen und Naturen wie auch bei den Menschen sind es die Oberflächen, das Habtische und die modisch reduzierte Komposition, die Specker kickt. Und mich auch.
Und ganz toll ist auch die Videoeinführung in Gebärdensprache zu Speckers Ausstellung auf der Webseite der Berlinschen Galerie!


HOLZAPFEL OLAF 14. Mai 2016
The Perfect Path
Galerie Daniel Marzona, Berlin

+ der Tagesspiegel hat eines der Chaguarbilder abgedruckt und wir sassen begeistert beim Frühstück und sind gleich darauf in die Galerie gerannt. Chaguar ist eine Kakteenfaser, die seit Jahrhunderten von den argentinischen Wichi gewonnen, gefärbt und zu Bildern gehäkelt werden. Traditionellerweise bilden sie grafische Muster-Landschaften ab. Holzapfel haben die Textilbilder an Mondrian und Bauhaus erinnert und ihn veranlasst, eigene Vorlagen am Computer zu entwerfen und diese dann – mit allen dazugehörigen Missverständnissen, Übersetzungsfehlern und Abänderungen – nachhäkeln zu lassen. Und da sind sie nun, wunderschön, sauber gerahmt und sündhaft teuer.


GENZKEN ISA 18. Mai 2016
Mach Dich hübsch
Martin-Gropius-Bau, Berlin

+ dieser ganze Verkleidungswahnsinn und diese unglaubliche Bastellust, der Spieltrieb, das Bauen und Zusammensetzen und auch das Schmücken, Dekorieren und Collagieren schlägt einem in dieser Ausstellung dermassen schrill entgegen. Und dazwischen dann wieder minimalistische Betonskulpturen (Weltempfänger, Paravents), oder eine Serie nüchterne Malerei (Lampen), oder die super edlen Holzskulpturen auf dem Boden im Atrium. Voll ist es in den umliegenden, tendenziell zu kleinen Räumen für Genzkens Kunst. Und dauernd gibt’s Absperrseile und ich hab Angst, dass ich ob der Fülle Augenkrebs kriege und bin gleichzeitig echt beeindruckt von der grossen Spannbreite ihres Schaffens (grosse Einzelausstellungen von älteren Damen sind einfach per se toll zum Schauen). Nur mit der Nofi bin ich nicht einverstanden, da wird’s doch arg flach, wenn sie den Gipsbüsten Perücken, Masken oder Brillen aufsetzt. Nicht?


WURM ERWIN 19. Mai 2016
Bei Mutti
Berlinische Galerie

+ Mir wurde schlagartig klar, dass die Mitmachperformances in Marina Abramovics Ausstellungen deshalb gut funktionieren, weil sie mit ihrer Autorität so wahnsinnig viel Ernsthaftigkeit aussenden, dass einem das Blödeln aber so was von vergeht. Anders bei den One Minute Sculptures von Wurm. Auf kleinen Podesten befinden sich Requisiten und eine gezeichnete Anleitung, und dann stülpt man sich zum Beispiel eine Tasche über den Kopf und steht damit eine Minute Skulptur. Und das erfordert Konzentration, Einlassung und eben ein hohes Mass an Ernsthaftigkeit, um den feinen Humor der Arbeit nicht zu gefährden. Aber das klappt leider nicht, denn die Meisten sind mit fotografieren und scherzen beschäftigt. Und es ist viel zu laut.
Und sein gestauchter Nachbau des Elternhauses ist natürlich Quatsch.


STIEVE ROBERT 24. Juni 2016
Pfaueninsel, Berlin

+ ach die Pfaueninsel ist ein grossartiges Museum mit seiner gestalteten Landschaft und den sonderbar blau schimmernden behäbigen Tieren. Und nicht nur weil ich grade den Roman von Thomas Hettche lese, sondern auch weil ich schwimmen wollte (aber schwimmen und rauchen sind auf der Insel verboten...), trieb es uns mal wieder dortin. Und genau, hat Michael Lukas nicht mal ein Kunstprojekt zu Ehren der Königin Luise realisiert?
Und da liegen also noch ein paar übergrosse Betoneicheln von dem Bildhauer Robert Stieve unter einer uralten Eiche. Hübsch, lustig und immer wieder eine helle Freude, wenn man unverhofft auf eine derartige Verschiebung aufmerksam wird.
Merci bien!


VOIGT JORINDE 2. Juli 2016
Radical Relaxation
Galerie König, At. Agnes Kirche

+ vorne weg: ich bin wohl sehr eifersüchtig auf die wunderschönen Zeichnungen, die Voigt mit grosser Leichtigkeit serienweise in kürzester Zeit herstellt. Auch auf ihre Bildsprache und Arbeitsweise und natürlich auf ihren Erfolg.
Mein latentes Misstrauen Voigts Inhalten gegenüber bestätigt sich allerdings ein weiters Mal. Ihr System kann ich nicht entziffern und auch der Zugang zu ihren Versuchsanordungen bleibt mir verwehrt. Ich glaube diesen Zeichnungen einfach nicht, dass sie wirklich was untersuchen. Mich stimmt auch die Auswahl ihrer Untersuchungsgegenstände (Sloterdijk, Borges, Lacan...) skeptisch und die Art ihrer Vereinnahmung. Zu sehr sind die Zeichnungen in ihrer stylischen Form gefangen, als dass der Ausgangspunkt irgendeine Rolle spielt. Der Fokus ist auf schick gerichtet, da lässt sich doch nicht ernsthaft was untersuchen?! Abgesehen davon bräuchte sie die ganzen Intellektuellen nicht, um ihre betörenden Zeichnungen zu machen. Der Einbau mit den knallfarbigen Wänden in der Agneskirche ist super.


KENTRIDGE WILLIAM 3. Juli 2016
No It Is
Martin-Gropius-Bau, Berlin

+ Der ist einfach ein leidenschaftlicher und überwältigender Erzähler und tut dies mit einfachen und raffinierten Mitteln. Seine Ausstellung ist ein inszenierter Parcour und ich lass mich gern leiten und verleiten. Bin auch nicht die einzige, die sich in seinen Animationsfilmen aus Kohle und Kreidezeichnungen regelrecht verliert (man glaubt dem ja alles, vielleicht weil seine Arbeiten grundsätzlich sehr theatral angelegt sind und die Erzählbereitschaft und Einlassung durch das Gezeichnete und Animierte sich total steigert und den Besucher in die magische Phase der Kindheit zurück katapultiert...). Betörend ist der raumgreifende Filmfries More Sweetly Play the Dance (2015) in dem auf einer gezeichneten Landschaft Menschen wie Schattenfiguren mit vielfältigsten Requisiten als Trauerzug vorbeiziehen. Zwischendurch huscht einer seiner Zirkel oder eine Kaffeekanne vorüber. Und ganz eindeutig lässt sich die Szenerie nie lesen, es ist mehr eine fesselnde Beobachtung.
Alle Fotos: Esther Ernst