Kartenrecht

Gespräch

2016:September // Christoph Bannat

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09-2016

„Wir sind Facharbeiter, ohne Fach“

Keine Namen, keine Website, keine Hierarchien, keine Erklärungen. Sie sind das Subversivste, was Berlin zur Zeit zu bieten hat. In einer Zeit, in der alle immer nur irgendwo, möglichst fest, sich reinklemmen und mitmachen und dabeisein wollen und keiner von außerhalb das Feld der Kunst befeuern will, sind sie heute die wichtigste Ausnahme. Interviewort, die ehemalige Hochburg der Auguststraßen-Bohemiens – das Hackbarth’s. Hier verkehrten die ganz Großen der Berliner Kunstszene, der Nuller Jahre, Martin Eder, Klaus Biesenbach, Stefan Hirsig, Heike Baranowsky, Judy Lübke, John Miller, Christine Hill oder Manfred Pernice. Im Hinterzimmer dieser Berliner Eiche der künstlerischen Intelligenzia, das noch genauso aussieht wie zu seiner ekstatischen Hochzeit, treffe ich sie, die Gruppe Kartenrecht. Als ich das Hinterzimmer betrete, sind sie bereits da. Sechs Männer, eine Frau von insgesamt elf Mitgliedern. Zunächst Schweigen. In den scharf geschnittenen, blitzäugig gescheiten Gesichtern liegt ein Hauch von Misstrauen, gemischt mit einem Quäntchen freundlicher Verachtung. Sechs Männer um die fünfzig und eine Mittdreißigerin. Ihr Händedruck; ausnahmslos kräftig. Stolz reichen sie einem die schwieligen Hände. Und schon im ersten Moment spürt man ihren ungebrochenen Willen, wenn nötig ohne Zögern einen Kampf aufzunehmen. Selbstbewusstsein, gehärtet durch körperliche Arbeit, gepaart mit Witz und verfeinert durch hintersinnige Intelligenz, kennzeichnet ihre Gesichtszüge. Es war als umflorte die sieben ein gemeinsames Licht, eines das sie weniger von außen, denn von innen partiell zu erhellen schien. Kartenrecht ist der einzige Arbeiter-Kunst-Zirkel. Sie treffen sich im Geheimen oder bei der Arbeit, kommentieren Ausstellungen mit minimalistischen Eingriffen und gestisch sachkundigen Verweisen, sie karikieren und kommentieren als illegitime Artisten im sich als legitim verstehende Feld der Kunst. Sie klopfen nicht an, um reingelassen zu werden, denn sie sind bereits da, wenn du kommst. Seit 2006 sind sie als Gruppe in wechselnden Formationen unterwegs. Sie schließen die Lücke zwischen Arbeiterschaft und Künstlern, und das, so lese ich in ihren Gesichtern, nicht ohne ein Lächeln. Sie haben alle Kunst studiert. Bremen, Ljubljana, Hannover, Prag, Münster, Darmstadt waren ihre Stationen, bevor sie sich in Berlin trafen. Sie traten erstmals 2006 gemeinsam im Salon Familie Kartenrecht-Mitte auf, der 2. Pjöngjang Biennale für zeitgenössische Kunst, Berlin, artenrechtG reduziert, WP8 e.V., Düsseldorf und als einzige Künstler waren sie bei den letzten drei Berlin Biennalen dabei, bei der diesjährigen ganz offiziell und namentlich erwähnt. Ihr Geld verdienen sie als Aufbauarbeiter, Schreiner, Stuckateure, Grafiker, Fahrer und Monteure im Kunstbetrieb. Ihre Biografien sind typisch für viele studierte Künstler in Berlin. Alle haben sie Erfahrungen mit Einzelausstellungen, guten Verkäufen über ein, zwei Jahre, dann Einbruch, Lehraufträge, Schulden und Hilfsarbeiten in artfremden Bereichen. Im Hackbarth’s bestellen sie Tee und in der zweiten Runde nur noch heißes Wasser, für den zweiten und dritten Aufguss. Als die Diskussion mit der Hackbarth’s-Bedienung, was man für das heiße Wasser zu zahlen gewillt sei, zu eskalieren droht, verlasse ich das Hinterzimmer – nicht ohne den Schatz des ersten Interviews mit Kartenrecht.

(Wir einigen uns darauf, dass ich nur ihre Anfangsbuchstaben im Interview nenne.)

B  /  Meggyőzniük az, mert ha egyértelművé, képviselnie kell, wie meine ungarische Mutter zu sagen pflegte.
CB  /  Zeig nicht Dein Gesicht, wenn man Deinen Namen ruft.
B  /  Ja – richtig. Woher kennst Du den Spruch.
CB  /  Auch ich …, aber das führt jetzt zu weit, später vielleicht einmal mehr.
B  /  Ich hab das damals nicht verstanden, heute erst, nachdem ich den Spruch lange schon vergessen hatte, weiß ich, was sie meinte. Sie ist ja im Krieg und Kommunismus groß geworden und hat ihre sechs Töchter und mich durchbringen müssen. Meinen Vater hab ich ja nie kennengelernt, ich denk mal der war Jude. Da hat nie einer in der Familie drüber gesprochen. Vielleicht war’s aber auch ein Deutscher, oder so …
D  /  Ein deutscher Jude?
B  /  Lustig. Als uneheliches Kind kramt man sich seine Geschichte eben zusammen. Das mach ich ja irgendwie heute noch.
H  /  Bei uns hieß es ареди област суседа и жетве ноћу. Bestell das Feld des Nachbarn und ernte nachts – eben serbo-kroatisch.
CB  /  Ihre seid beide aber in Deutschland aufgewachsen.
B  /  Ja. An deutschen Kunsthochschulen. (Lachen gemeinsam) Hier haben wir die staatliche Muttermilch, am Busen des Sozialstaates, genossen. Damals gab’s ja noch keine H-Milch. Wir tranken frisch und hastig, damit nichts sauer wird. (wieder lachen)
D  /  Ihr kennt Frauen wohl nur als Mütter, oder … ach lassen wir’s, das hatten wir schon so oft. Die Macht von Männern besteht doch größten Teils darin, dass sie diese selbstverständlich gebrauchen.
CB  /  Ist das nicht ein Merkmal von Macht ganz allgemein? Mal im Ernst …
J  /  Ich komm ja aus der deutschen Provinz, soviel anders ist das doch alles nicht. Ich mein, meine Heilsversprechen waren doch den euren ähnlich. Wir waren auf Widerstand gepolt und wollten doch an Mutterstaates Brust. Die Kunsthochschule verspricht ja ein solcher Ort zu sein, hier kannst du widerständig und gleichzeitig angepasst sein. Du darfst es allerdings nicht zu ernst meinen.
B  /  Ja, das sehe ich auch so. Das Versprechen der Kunst ist, Widersprüche und Gegensätze in schönen Fragestellungen vereinen zu können.
CB  /  Die richtigen Fragen stellen, das reicht dann?
D  /  Gute Frage. (alle lachen)
M  /  Leider nicht formvollendet gestellt, sonst wäre das die Antwort.
R  /  Male die Frage doch und reiche sie bei unserer Aufnahmekommission bei Kartenrecht ein. Bewerbungstermine sind vierteljährlich.
B  /  Mal im Ernst. Ich Ungar, er Jugo, du deutsche Provinz. Unsere Eltern wollten sich anpassen, wir haben sie dafür gehasst. Wir haben alle in den späten 80ern studiert, da war die Unangepasstheit allgemeiner Konsens. Independent und so. Also sich von den großen Labels und vom Staatlichen unabhängig machen und so. Und an der Kunsthochschule ließ man uns in Ruhe, da konnte man unangepasst angepasst sein. Man suchte sich etwas aus, woran man sich nicht anpassen wollte und suchte dann nach Verbündeten. So haben wir uns gefunden.
CB  /  Aber doch erst später in Berlin?
M  /  Ja, durch’s Arbeiten.
D  /  Aber auch durch’s Arbeiten, nicht nur beim Arbeiten mein ich. Schau mal, ich als Frau in einem solchen Männerbetrieb, mit den doofen Witzen und anderseits der männlichen Unbeholfenheit gegenüber Frauen. Süß und doof – so mag ich die Drops hier. Dabei ist Respekt natürlich Voraussetzung. Wenn ich mal meine Tage habe und nicht zum Kartenrecht-Treffen kommen kann, brauch ich z.B. keine schriftliche Entschuldigung meiner Eltern.
CB, B, H, J, L, M, R  /  (betroffenes Fixieren der Tischkante) hmmmmmm … nun gut.
R  /  Unser aller Schicksal sieht ja ähnlich aus. Wir sind Hilfsarbeiter im Mühlwerk des Ausstellungsauf- und -abbaubetriebs und Künstler. Wir wollen aber das eine nicht mit dem anderen entschuldigen. Heißt: Wir wollen nicht schlechte Künstler, schlechte Arbeiter, keine guten Liebhaber oder schlechte Familienväter usw. sein. Von solchen Typen gibt’s genug, die immer eines mit dem anderen entschuldigen. Die nehmen die Arbeit nicht ernst, da sie Künstler sind, entschuldigen die Kunst, da sie ja arbeiten müssen, die Familie, weil … also usw. Die werden normalerweise von ihrer eigenen Wirklichkeit als unzufriedene Zeitgenossen überholt.
M  /  Wir sind Facharbeiter, ohne Fach.
B  /  Ja, keiner kennt unsere Fachkenntnis, die heißt …
H  /  Unser Geheimnis ist das Warten. (alle lachen)
D  /  Auf Godot?
L  /  Unsere Arbeit könnten eigentlich auch echte Facharbeiter machen. Zum Beispiel polnische Trockenbauer, mazedonische Tapezierer, albanische Elektriker und das Wegräumen deutsche Ein-Euro-Kräfte. Das hatten wir ja schon Anfang der nuller Jahre, das gab nur Ärger. Der Trockenbauer konnte nicht auf den Künstler, Kurator oder sonst wen warten und die Ein-Euro-Kraft latschte auf der Kunst rum. Heute scheinen einige Entscheidungsträger etwas erkannt zu haben. Der Druck verdrängt zu werden, ist heute nicht mehr so groß.
H  /  Heute bestellen wir das Feld des Nachbarn und ernten nachts.
CB  /  Mal ehrlich, seid ihr nicht die Beleidigten der Kunstszene.
M  /  Mal nicht frech werden. Wir sind echte Arbeiterkünstler. Wir haben nur den Sonntag auf den Montag verlegt, eben keine Sonntagsmaler. Da geht die DDR unter und keiner weiß mehr etwas vom Bitterfelder Weg. Das ist bitter.
R  /  Das ist nur noch bitter. (vereinzeltes Lachen)
CB  /  Wie steht es mit der Idee der Subversion?
A  /  Was? Subvention?
B  /  Nee … langsam werden wir mit Beachtung subventioniert – was sollen wir mit Stipendien … obwohl, was würden wir denn dann machen?
D  /  Gemeinsam in den Urlaub nach Jugoslawien. (alle lachen)
R  /  Das geht bestimmt bös aus.
H  /  Erst mal finden.
CB: Mal im Ernst, nochmal zu euren subversiven Strategien.
R: Kennen wir nicht. Alles was wir sind ist sichtbar. Ein Loch in der Wand ist immer eine Fragestellung. So ist das Innere des Lochs nichts, sondern definiert sich durch die Ränder, die wiederum durch die abwesende Mitte definiert. Dahinter liegt der unbewusst soziale Raum, kreiert oder vorgefunden. Das Loch selbst nun, das ist die bewusste Setzung.
L: Hängst man eine Schnur dadurch, verändert sich das Loch. Macht es zweckdienlich. Und nun kann man an der Schnur ziehen.
D: Es ist ja so, dass einer von uns hinter der Wand schläft und ein Ende der Schnur an seinem Zeh befestigt ist. Hört man beim Ziehen genau hin, vernimmt man ein leichtes Stöhnen.
R: Kommt drauf an wer’s gerade ist. (alle lachen)
E: (Kommt rein) … hab ich was verpasst?
4 von 7: Nö.
CB: Danke für das Gespräch. (tritt ab)

Foto: Kartenrecht, aus dem Kurzführer zur Ausstellung „Sammlung Kartenrecht“, Kunst + Kultur Verein Alte Schule Baruth e.V., 2009
Fotos: Matten Vogel