Das Kapital

Hamburger Bahnhof

2016:September // Christoph Bannat

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09-2016

Auf dem Verschleierungsparcours zum Andachtsschrein

Fuddel- und Kramsköppe. Breitspurflaneure der ­akademischen Gemütlichkeit. Zitatpütscherer. Referenzpennäler. Ich hab ja nichts gegen’s Denken. Verlässt es aber den Kopf, wird es zu einer Disziplin. Bei Talent und einer gewissen Artistik, bestenfalls, hat sie dieses gewisse Etwas, welche die Spannung zwischen Gleich- und Ungleichgewicht zu halten weiß und wird, unter Umständen, für andere zum Genuss. Sammelfleiß allein ist nicht alles. In dieser – gemeint ist die Ausstellung „Das Kapital“ – Wunderkammer der Aufklärung, fehlt leider das Wunder. Es bleibt eine beflissene Zitatesammlung. Nichts gegen Referenzen, sind sie doch auch immer Anreiz zur Selbstbildung. Es ist wie beim Fernsehen, man sieht nicht in die Ferne und erfährt doch etwas von „woanders“. Diese Ausstellung ist ein einziger Verschleierungsparcours. Dass man sich hier in einem Kopfbahnhof befindet, heißt eben noch lange nicht, dass hier auch denkerische Intelligenz, im Idealfall im Zusammenspiel mit handwerklicher und künstlerischer, im Raum befindet. Kunst als Möglichkeit einer erregenden Ungenauigkeit, bei größtmöglicher Präzision, findet hier nicht statt. Obwohl die gezeigten Kunstwerke ihre Erregungskurven haben. Nur werden diese durch ihr Umfeld gegen null gebogen. Die Werke laden sich nicht gegenseitig auf. Dass hier leerstehende Vitrinen ausgestellt sind, heißt eben noch nicht, dass hier auch ein Abstraktum (wie Kapital, Schuld oder Utopie) theatralisiert wird. Sie bleiben ein leeres Versprechen nach dem keiner gefragt hat und das folglich keinen weiter stört. Nichts gegen Wunderkammern. Zumal das Wunder der Aufklärung zu verlebendigen eine Aufgabe wäre. Diese Ausstellung bleibt im Anekdotischen, ohne Text oder gar Gedicht zu werden.
Der Ausstellungsparcours geht von meinen schwarzen Brüdern (in Form von im Sand spielenden Kindern) über größtenteils historisch gesicherten Kleinkram moderner Kunst aus der Sammlung Marx und des preußischem Kulturbesitzes als schlaues Gewölle zum Mosche-Beuys-Andachtsschrein der erstarrten Vorläufigkeit. Der nervöse Kleinteile-Parcours kontrastriert unangenehm mit der Überwältigungsrhetorik am Ende der Sackgasse, in der sich Beuys’ „Das Kapital“ befindet. Himmelwärts strebende oder von dort kommende, oberlichtgeschützte Schrift-Zeichentafeln. (Beuys hatte wenigstens noch versucht, Kunst dem Alltag von Politik auszusetzen.) Zuvor hat man, nahezu unbemerkt, denn die Übergänge sind fließend, die offenen Themenkabinette von Schuld, Territorium und Utopie durchlaufen. Ein Durchlauferhitzer ohne Strom.
Zur gleichen Zeit zeigt Thomas Macho, wo es spannender zugeht, und zwar in einem kostenlosen und öffentlichen HU-Wochenendseminar, Thema: „Schuld und Schulden – Zur Moralisierung der Ökonomie“, in das ich zufällig geriet. Nichts verwies hier auf die Ausstellung und kein Hinweis in der Ausstellung auf diese Veranstaltung. Obwohl im „Kapital-Katalog“ exakt die gleichen Größen zitiert werden: Walter Benjamin zu Kapitalismus als Religion, Margaret Atwood zu Kapital und Schuld, Karl Marx sowieso, Foucault und Deleuze wie immer, Hannah Arendt zur unschuldigen Geburt und Marcel Mauss zu Schuld und Gabe, Nietzsche zu Schuld und Moral sowie Kierkegaard zur Liebe. Die Bergpredigt und Kant gab’s dagegen nur bei Macho. Der setzte, als selbstbezeichneter Linker, noch einen drauf, indem er ein Ende der „Genealogie des Erbens“ (wollte die französische Revolution nicht gerade das Vererben von Machtverhältnissen abschaffen?) sowie ein Grundeinkommen für alle (alle Menschen wohlgemerkt!) forderte. So etwas erzeugt Spannung, wohingegen die HHBF-Kuratoren sich hinter den verschwommenen Formeln Kunst=Kapital=Kreativität (Beuys/Kurator Eugen Blume) und Kapital=Liebe (Kuratorin: ­Catherine Nichols) verstecken, gemütlich gepolstert mit Zitaten. Der Kunstgriff der Begriffserweiterung wirkt hier als Verschleierung. Etwas Bewusstsein für den eigenen „Mentalen Kapitalismus“ im Sinne von Georg Franck wäre hier nötig. Wer dazu noch die Neuhardenberger Gesprächsrunde über Gott, Geist und Geld (Thomas Macho, Peter Sloterdijk, Herder-Verlag) liest, weiß woraus dieses Kunstgewölle gewachsen ist, das nicht einmal stinkt.
Benjamin nennt den Kapitalismus eine neue Religion. Beuys setzt Kunst mit Kapital gleich. Allen Dreien, Kunst, Kapital und Religion ist Gefräßigkeit als Wesensmerkmal eingeschrieben. Zur Erinnerung: Es gab einmal Referenzwerte fürs Kapital. Dies waren Gold und Dollar. Wir wissen noch, wie beide Kurse täglich in den TV-Nachrichten erschienen. Heute gilt weder Gold noch Geld als Referenz . Heute ist es die Börse, vor dem Wetter, die uns die Naturhaftigkeit (­Joseph Vogl) von Kursschwankungen einbläuen möchte. Das Kapital ist selbstreferenziell geworden. Nach Georg Simmel, und das ist ein menschliches und kein Wetterproblem, verfällt mit dem Kapitalwert auch der Wert des Menschen. Inflation und Armut gehen Hand in Hand. Depressionen an der Börse führen zu mentalen Depressionen. Vielleicht ist (theatralisch gesprochen) Blut der (heimliche) Referenzwert des Kapitals geworden. Solange sich Menschen aber noch über Grenzen hinwegbewegen, wird Realpolitik gemacht – Gott sei Dank. Ihr Risikokapital ist das eigene Leben. Unabhängig davon dass 3000 Euro Mindesteinsatz für ein Oneway-Ticket Syrien—Deutschland exorbitant hoch ist. Fliegen wir doch fürs gleiche Geld drüber hinweg nach Dubai, inklusive 3 Wochen Hotel, und wieder zurück. Was aber sind heute die Referenzwerte von Kunst, deren Selbstreferentialität wir bis in die letzten Winkelzugzuckungen des Readymades genießen konnten? Das wäre die Frage gewesen, die die Ausstellung nicht beantworten konnte. Eine Frage, die die Ausstellung aber wenigstens hätte stellen können.

„Das Kapital, Schuld – Territorium – Utopie“, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Invalidenstraße 50–51, 10557 Berlin, 2.7.–6.11.2016