KÜNSTLER/IN, LEBENSLANG

Peter Bömmels

2023:Februar // Sonya Schönberger

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02-2023





Geboren bin ich am 11.11. 1951. Meine Mutter ist Kölnerin, das ist also wichtig. Aber mein Vater kam aus der Eifel, bei Euskirchen. In einem kleinen Dorf bin ich geboren. Das war sechs Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und das ist ebenfalls wichtig, weil sonst wären meine Eltern da nicht gelandet. Mein Vater ist 1947 aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückgekommen, als schwer traumatisierter Mensch, würde ich jetzt heute sagen. Dass der das überlebt hat, ist ein Wunder. Mein Großvater, den ich kaum kennengelernt hab, war Schneidermeister. Der hatte eine Werkstatt und da war dann die Oma. Meine Mutter hat erst jetzt vor drei Jahren erzählt, dass sie ihre Schwiegermutter gehasst hat. Die hat bei meiner Geburt gesagt, brüll nicht so laut. Das waren die Verhältnisse, einfache Verhältnisse. Und meine Mutter war dann froh, dass sie 1956 nach Köln gegangen sind. Mein Vater ist bei der Post gelandet, hat Glück gehabt. Wir zogen in die Postsiedlung Köln-Nippes. Ein Siedlungshaus, eine kleine Wohnung im dritten Stock, 65 Quadratmeter. Ich weiß das jetzt alles ganz genau, weil meine Mutter vor zwei Monaten mit 100 Jahren verstorben ist. Und dann musste ich die ganze Wohnung auflösen und hab dann sehr viel gefunden. Ich habe vier Wochen gebraucht, um das alles auszusortieren und aufzulösen. Das war irre. Ich hab da alles gefunden, von dem russischen Entlassungsschein meines Vaters aus der Kriegsgefangenschaft bis zur ersten Bewerbung meiner Mutter als Bäckereifachverkäuferin 1938. Das ist irre, es ist alles aufgehoben worden. Ich hab das natürlich auch aufgehoben. Ich schmeiß das auf keinen Fall weg. Das ist doch meine Geschichte.
Ich bin also da aufgewachsen in einer ganz normalen Familie, die aber nicht sehr kommunikativ war. Mein Vater ist früh gestorben, 1972 mit 57 Jahren. Der war eigentlich ein witziger Typ, aber der hat dann auch getrunken, kriegte es nicht geregelt, hat sich dann zurückgezogen und war weg. Meine Mutter hat alles geschaukelt und dafür gesorgt, dass ich auf’s Gymnasium kommen konnte und hat gedacht, ich werde katholischer Priester. Das war die ­Vision. Aber dadurch bin ich da gelandet und konnte Abitur machen. Ich war aber eigentlich ein Fremdkörper in der Familie. Ich musste mich da selbst durchschlagen, weil was sollten meine Mutter oder meine ganze Familie mit Latein und Griechisch? Ich hab das gehabt an diesem Dreikönigsgymnasium, es war für mich immer schwierig. Bis ich kapiert hab, dass es auch Übersetzungen gab zum Beispiel. Ich wusste das überhaupt nicht. Die ganzen anderen waren cleverer, weil da gab es einen Pons und die haben das übersetzt und ich hab versucht, das immer selber rauszukriegen. Die haben dann gesagt, bist du jeck? Die ganzen Facilities hatte ich nicht. Die Arztfamilie, die hatte das. Dann hab ich gedacht, ich muss mich an den halten. Dafür kriegte der dann News von mir aus der Musikszene. Ich war sehr früh unterwegs schon mit 15, 16. 1967, das war so meine Zeit. Und da hatte ich einen großen Vorsprung, weil, die gingen noch Geige lernen und hatten so Knickerbocker an. Ich musste natürlich abends zuhause sein, aber spät halt. Ich war mit Freunden unterwegs, Cliquen hieß das damals. Dies und das. Man hatte dann ja auch schon Erfahrung mit irgendwelchen Amphetaminen und all so Sachen. Das war so eine gemischte Szene. Das waren auch Leute, die aus besseren Familien kamen, aber auch Leute, die lange Haare hatten und irgendwo Antibabypillen, aber auch andere Sachen geklaut haben. Da gerät man dann rein. Ich wusste schon, dass ich aufpassen musste. Meine Mutter wusste davon nix. Aber das Wichtige ist das Gefühl, dass ich da hatte, ich muss das schon selber regeln. Bei der Mittleren Reife gab es die ersten Schwierigkeiten mit Latein, denn wenn man älter wird, denkt man, wieso mache ich das eigentlich? Ich hab mich nicht für Altgriechisch interessiert, aber da waren meine ganzen Freunde. Dann haben wir das halt gemacht. Es wurde immer schwieriger, aber dann war es zu spät. Dann musste man es durchziehen.
Man war schon rebellisch, und es gab damals so eine Organisation, die hieß Unabhängige Schülergemeinschaft, USG. Die arbeitete mit dem SDS zusammen, mit der Uni in Köln. Da gab es in Köln auf dem Neumarkt die erste Demons­tration, wo man mitgemacht hat, sich auf die Schienen gesetzt, Protestmärsche gegen Fahrpreiserhöhungen. War natürlich auch Abenteuer, ist klar. Durch die Klassen laufen, ihr könnt alle raus. Und die Jüngeren: Ja, wieso? Es ist frei, wir müssen alle zum Neumarkt gehen. Und das hatte ein richtiges Nachspiel. Das war 1966 oder 67 – harte Zeiten. Harte Zeiten in dem Sinne, dass das bestraft wurde. Die Anführer sind von der Schule geflogen und die anderen kriegten blaue Briefe, Mahnungen. Das war die Zeit, in der man noch keine Jeans tragen durfte. Das war das drittälteste Gymnasium Deutschlands, die hatten ein Ansehen zu verlieren. 1968 wurde die Abiturentlassungsfeier gesprengt von jemandem. Es mussten Reden gehalten werden von den Besten der Klasse, und zwar auf Latein oder Griechisch oder auf Französisch oder Englisch. Und derjenige, der jetzt auf Latein oder Griechisch was sagen sollte, der fing dann an, auf Deutsch über die autoritäre Struktur des Gymnasiums zu reden. Und das vor versammelter Mannschaft mit den ganzen stolzen Eltern der Abiturienten. Die Lehrer merkten das erst gar nicht, weil das gibt’s ja nicht. Dann rief einer der Eltern „Aufhören, sofort aufhören!“. Und dann merkten die erst, dass da was ganz anderes im Busche war. Das war eine lustige Geschichte, aber auch ein richtiger Break. Es gab seitdem keine Abiturientenentlassungsfeier mehr offiziell. Der Direktor hat im nächsten Jahr seinen Hut genommen, der hat das nicht mehr verstanden. Das hat man alles miterlebt. Dann Abitur machen und endlich auf die Uni gehen, in den SDS oder irgendwo rein, wo man die Weltrevolution vorantreiben konnte. Nun kam man auf die Uni, und in dem Moment, in dem man da war, das war ’70/’71, also Wintersemester, da hat sich aber alles schon gespalten. Da gab es schon die Leute, die sagten, wir müssen jetzt zu den Arbeitern gehen und in die Gewerkschaften und aufhören mit studieren. Wir müssen direkt in den Produktionsprozess. Und die anderen sagten, ja, aber unsere Produktion ist doch jetzt hier an der Uni. Wir müssen jetzt hier die Uni reformieren oder in eine andere Struktur bringen, Mitbestimmung und so weiter. Das war die Diskussion 1970. Das haben wir auch alles mitgekriegt. Und die ganzen Verhärtungen, die dann folgten, bis zum Maoismus, bis zur Wiederaufbauorganisation für die Kommunistische Partei, KPDAO. Die ganzen Sachen, wo es dann wirklich schwierig wurde, auch für mich, weil ich dachte, Moment mal, ich weiß doch wie das aussieht in Nippes und überhaupt. Das muss mir doch keiner erzählen. Irgendwie sollte man Flugblätter verteilen bei den Ford-Werken in Köln. Dann hatte ich aber so lange Haare, dann sagte ein Genosse, das geht aber nicht, wir müssen Vertrauen gewinnen bei der Arbeiterschaft. Dann hab ich gesagt, ah ja, gut, dann kann ich morgen leider nicht. Das lass ich nicht mit mir machen. Ich lass mir doch von keinem sagen, ich soll mir mal die Haare schneiden lassen. Jetzt hat man die ganze Zeit das durchgesetzt, und dann kommt jemand und sagt, im Interesse der Weltrevolution muss ich mir die Haare schneiden. Ihr habt sie doch nicht mehr alle. Da merkte ich, das mach ich nicht. Dann bin ich ein bisschen mehr in die Sponti-Szene reingekommen und auch in die Zeitschrift links. Das war eine Zeitschrift der undogmatischen Linken. Da bin ich dann rein und hab da etwas mitgearbeitet. Aber ich war nie jemand, der gerne in irgendwelchen Vereinigungen war. Und dann wurde es immer subjektiver, Mitte der Siebziger. Dann hat man überlegt, was man selbst mal so verändern könnte. Wohngemeinschaften, alles mitgemacht, Diskussionen nächtelang, bis man dann die Erkenntnis hatte, es verbessert nichts, es funktioniert nicht. Es war sehr viel Heuchelei, viel Verblendung, aber es musste wahrscheinlich alles sein, weil die Erkenntnis muss man gewinnen, bevor man etwas findet, wie eine Angemessenheit, ein richtiges Maß, eine Proportion, auch der Begegnung der Leute untereinander. Und nicht die Vorwurfsebene, diese Filzebene quasi: Wenn du das jetzt nicht machst, bist du böse, dumm oder hinterhältig. Das hat man alles gelernt, da ist man durchgegangen. Man hat dann aber auch nicht viel studiert. Ich war für Soziologie, Politik, Volkswirtschaftslehre als Schulfach eingeschrieben, und Erziehungswissenschaften. Man musste sich entscheiden und dann wollte ich an die Schule. Das war aber auch ein Reflex: Man muss in die Institutionen rein. Und deswegen musste ich auch auf jeden Fall das Examen machen. Das hab ich auch gemacht, für Lehramt am Gymnasium. Dann hat man mit Ach und Krach das Ding geschafft und abgeben können, das war dann schon nervig. Und dann ging es in die mündlichen Prüfungen. Das war alles schrecklich. Wo man richtig Prüfungsangst hatte und nichts rauskriegte. Das ist alles schlimm. Mit dem Rücken an der Wand. In Soziologie war ich bei so einem Professor, der hat mir geholfen. Jetzt seien Sie doch mal ruhig, wir machen das. Dann dachte ich, okay. Ich hab zu dem Thema gar nix mehr gesagt, ich hab nur das gesagt, was ich wusste. Das reichte dann für irgendwas. Die Note spielte ja keine große Rolle. Aber das war kurz vorm Scheitern.
Was mir überhaupt nicht behagte, waren dogmatische Geschichten. Den Dogmatismus kannte ich aus der Kirche. Ich war ja auch mal in der katholischen Jugend: Das durfte man nicht, das auch nicht, nicht nachfragen und so weiter. Das blieb hängen. Das führte dazu, dass ich nach diesem Staatsexamen und nach dieser tiefen Erfahrung, die man erlebt als Qual, mich fragte, muss ich das haben in meinem Leben? Ist das wichtig? Brauche ich das? Und dann soll ich jetzt auf die Schule gehen und bin in so einem Apparat drin? Ne, mache ich jetzt erstmal nicht. Ich hatte mich schon angemeldet, aber es lag auch an den Freunden, die man hatte, die bestätigten das dann auch. Ich hatte eine Freundin in der Wohngemeinschaft, die war toll, ganz bieder und normal, relativ. Die war auch Lehrerin und schon an einer Schule. Dann hat es bei ihr Klick gemacht und sie hat ihre Arbeit demonstrativ verbrannt. Das hat mir total imponiert, wow, irre. Das war sehr aufschlussreich. So viel Mut hätte ich auch haben müssen. Ich wollte das also auch nicht mehr machen. Ich musste dann aber zur Bundeswehr oder zum Zivildienst. Ich habe verweigert. Zwei Anhörungen vor drei Leuten. Ich hab dasselbe erzählt beim zweiten Mal wie beim ersten Mal. Beim ersten Mal hieß es, wir glauben Ihnen nicht. Willkür, vollkommene Willkür. Man wusste also, was man sagen sollte. Und dann hab ich das beim zweiten Mal etwas persönlicher formuliert. Ich fand Gewalt immer furchtbar. Mit Gewalt ist nichts zu rechtfertigen. In der Abwehr vielleicht, aber das muss dann schon dicke kommen. Meistens sind die anderen ja überlegen.
Dann hab ich überlegt, was mache ich? Und dann bin ich in einen Kinderladen in Köln und das war eine ganz wesentliche Erfahrung für mein späteres Leben, weil ich da mit Kindern zu tun hatte, drei- bis fünfjährigen, und ich wusste gar nicht, wer die sind. Ich hatte überhaupt keine Erfahrung mit Kindern. Ich wusste nicht, wie die leben, wie die ticken, wie man mit denen auskommt. Die ersten Tage, die ich da war, kam ich platt nach Hause und hab die Welt nicht mehr verstanden. Was wollen die immer? Die wollen immer was! Ich hatte das ja studiert, ich wusste ja ungefähr, worum es geht in der Theorie. Das konntest du alles wegschmeißen. Du musst ja erst mal einen Draht finden. Und das hab ich dann geschafft. Unter anderem, weil ich mal auf die Idee kam, Geschichten zu erzählen. Die wollten immer was hören. Dann hab ich gesagt, sagt mir drei Wörter und ich erzähle euch eine Geschichte. Kinder sind gnadenlos, die gehen einfach weg, wenn das nicht spannend ist. Und das war eine gute Erfahrung, weil ich da gemerkt hab, ich kann was erfinden und zusammensetzen. Das war der Anfang. Also, meine Kunsthochschulprofessoren waren die Kinder. Die kleinen Kinder, die immer so viel wollten. So fing das an.
Und dann war ich aber auch immer jemand, der viel rumgezogen ist, in Kneipen, in der Gastronomie. Und in der Nähe der WG, in der wir gelebt haben in der Innenstadt von Köln, da war so ein Lokal, das hieß Roxy. Und da waren also die Künstler, alle ein bisschen älter, Jürgen Klauke, der Buthe, diese Kölner Szene. Wir sind da immer hingegangen. Da gab es dann Begegnungen und man redete, aber das war für mich eine andere Welt, so bunte Vögel. Wieso haben die immer Cowboystiefel an? Dann interessierten die sich für einen. Ich konnte ja auch was erzählen und hab auch viel gelesen. Und dann merkte ich, wow, die wissen ja auch was. Und das war dann spannend. Da traf ich da den Hans Peter Adamski und später auch den Walter Dahn, der aus Düsseldorf kam. Die waren ja alle auf der Akademie gewesen, beim Beuys und so. Und ich interessierte mich immer für Musik, und da kamen zwei Sachen zusammen. Ein Freund, den ich aus Berlin kannte, Trotzkist, mit dem ich immer gestritten hatte, aber ganz toller Typ, wir wollten auch was machen. Nach dem Examen dachte ich eh, was will ich eigentlich? Da hatte ich dann drei Jahre im Kinderladen gearbeitet, aber ich musste nur anderthalb. Es wurde ein Job. Ich weiß noch, dass ich 728 Mark verdient habe. Aber das war eine anstrengende Arbeit. Du musstest um acht Uhr da sein, und wenn man um vier Uhr ins Bett kommt, ist das dann hart. Aber man hat das alles gekonnt, weil man jung war. ’77 gab es Punk und New Wave und Leute, die keine Angst hatten. Meine Lieblingsband war immer Joy Division gewesen. Gerald und ich und Clara Drechsler, die Freundin vom Gerald zu dem Zeitpunkt, und einer aus meiner Wohngemeinschaft, wir hatten 1979 die Idee, wir machen ein Projekt. Fanzines gab es ja, aber wir wollten mehr machen. Also längere Artikel und Überlegungen, auch Interviews. Wir hatten jemand gefunden, der Layout machen konnte. Oktober ’80 gab es die erste Ausgabe von der Spex. Man konnte das. Wir waren keine Musikkritiker, keine Journalisten, wir hatten keine Ausbildung, also nur jetzt Uni. Aber wieso nicht? Das können wir doch. Es gab ja die Sounds damals, das war wichtig. Aber wir wollten noch mal neu anfangen.
Außerdem kam eine Gruppe zusammen von vier Leuten. Die haben Super-8-Filme gemacht, der Walter Dahn und der Dokupil. Ich hab zuerst aus Knetgummi Skulpturen gemacht. Ich hab das ja im Kinderladen gesehen. Das geht schnell und damit kann ich was machen. Aber eigentlich geht das ja nicht, weil es kaputtgeht irgendwann. Und dann haben wir Ausstellungen zuhause gemacht. Adamski war der einzige, der damals ein Atelier hatte, wo wir dann auch schon mal Walther König eingeladen hatten. Die kannten sich da aus. Ich kannte mich überhaupt nicht aus. Wir hatten immer so spinnerte Ideen. Heftchen rausgegeben, die Kirschblüte so wie die Bäckerblume, mit komischen Geschichten. Oder so Ideen für Projekte. Ich erinnere mich noch an eins: Wir schaffen uns ein kleines Aquarium an mit Goldfischen drin. Und auf den Goldfischen steht mit Filzstift drauf: Wir wollen an Land. Das ist ja nur eine Idee. Wir nannten das immer kleine verrückte Ideen. Das war Verarschung, aber es musste auch ein Treffer sein. Es ärgert bestimmte Leute, aber es macht auch Spaß.
Mit dem Peter Adamski sind wir nach Italien gefahren, und dann habe ich einfach angefangen zu zeichnen. Habe irgendwas gesehen und das dann interpretiert. Mal gucken, was dabei rauskommt. Und das war ein Interesse. Dann hat man erst versucht, was abzuzeichnen, aber dann hat man gemerkt, das ist doch Quatsch. Wenn ich das zeichnen kann, dann kann ich das auch malen. Da hatte ich also keine Angst vor. Die anderen malten dann, aber Walter, der hatte vorher nicht gemalt, der hatte Schaukästen gemacht, ein Beuysianer. Sehr sensible Installatiönchen. Dokupil hat dann auch gemalt. Der kam von Hans Haacke, der war ein Konzeptkünstler. Gut, das hat uns sozusagen alle betroffen und deswegen war ich auch dabei. Ich hatte mit Kunst gar nichts zu tun. Ich hatte diese Punkgeschichte. Und dann hab ich gesehen, dass die malen, dann hab ich gesagt, das mach ich auch. Wir haben dann im Oktober ’80 erst auf Leinwänden gemalt, die auf dem Boden lagen. In der ersten Ausstellung, die hieß Wenn das Perlhuhn leise weint, da war kein einziges Keilrahmenbild. Das hatte immer mit dem Raum zu tun.
Ich hab nicht gelernt, Körper zu malen. Wir haben das immer naiv genannt, aber haben es so gemacht, wie es geht. Der Kopf ist geknickt, aber es hat dann plötzlich eine Notwendigkeit. Jetzt erkennt man das, aber da habe ich das nicht erkannt. Aber das ist nicht wichtig, sondern wichtig ist, dass das eine Bewegung hat. Wenn man etwas nicht kann, dann muss man es erfinden, und das kann man ja dann, weil man es erfunden hat. Das ist dann so eine Logik. Es ist unheimlich mutig, nichts zu können. Du musst irgendwas zum Erzählen oder Zeigen haben. Sonst wird es nicht halten. Ich mache das ja auch jetzt noch. Das ist das, was ich am besten mitteilen kann. Ich hab dann auch noch weiter für die Zeitung was gemacht, das fand ich aber auch immer schwierig. Schreiben kann man, es ging aber um Erfindungen bei der Spex. Am Anfang habe ich Kritiken geschrieben über Bands, die ich einfach erfunden habe. Auch Stücke, die ich erfunden habe, und darüber habe ich geschrieben. Eine Band hieß Schläfrige Schweine. So was liebte ich zu machen, etwas gegen den Strom.
Dann habe ich weniger für die Spex geschrieben und sehr viel angefangen. Bilder mit Schellack und nachher Zeichnungsbilder. Man versucht dann doch, immer Neuland zu finden. Eine neue Form, kleinere Zeichnungen gemacht. Und die größte Sache, die ich gemacht habe, ich mach jetzt mal Steine. Ich hau jetzt mal da rein. Ich hab dann Sandsteine machen lassen, so 1,20 mal 1 Meter mal 10 Zentimeter dick, wie Grabsteine so ähnlich. Und dann hab ich mit Kohle die Zeichnungen draufgemacht und da einfach reingehauen. Mal gucken, wie die Zeichnung sich entwickelt. Das ist natürlich verrückt, weil man schafft ja halbe Volumen. Das kannst du alles berechnen, wenn du gut bist. Aber ich wollte das nicht, ich wollte das nur mal probieren. Und dann musst du wieder was erfinden, nämlich wie kriege ich das hin? Zum Schluss bleibt dir nur die Linie übrig. Es ist nur furchtbar anstrengend und was weg ist, ist weg. Das war irre.
Wir waren noch keine dreißig. Man denkt nicht drüber nach, du machst einfach weiter. Die Losung war: Nimm es hin wie Manna. Du hast die Power, du kannst das, was die anderen nicht können oder anders können. Wir hatten auch ziemlich Gegenwind. Das ist ein Kampf, das ist Glatteis. Dann löste sich die Gruppe auf. Wir haben die letzte Ausstellung im Kunstverein Wolfsburg gemacht. Da sind wir schon hingefahren ohne Bilder, ohne Arbeit. Wir haben gesagt, wir machen das alles vor Ort. Wir machen nichts und machen dann alles direkt da. Aktion direkt. Auto gemietet, sechs Leute rein, ja, was machen wir da eigentlich? Da haben wir überlegt, wir machen natürlich was zum Thema Auto, liegt ja wohl an. Was ist das nächste, was anliegt? Sex. Autos und Sex. Fertig. Das war das Thema. Der Kunstverein ist in der Burg, da kannst du nix machen, auf der Burg ist Denkmalschutz. Da waren nur ein paar Vorwände, oder an einer Wand konnten wir arbeiten. Da gab es so Raumelemente. Die konntest du davor stellen. Auf jeden Fall haben wir alles vollgemalt. Zum Teil war es heftig. Das heftigste war ein Penis auf Rädern. Wir fanden das gut. Und dahinter stand voller Sexismus eine Frau mit Zöpfen. Aber wenn du hier im Wedding bist, da siehst du nur die Jungs mit ihren schweren Kisten, die geben Gas und fahren dich fast über’n Haufen. Das ist immer noch so. Vielleicht nicht mehr so lange. Ich bin kein Autofahrer, ich weiß gar nicht, wie das geht. Wir haben uns dann aber auch bemüht, was zu schreiben. Das ist ein gutes Gesamtbild geworden. Der Leiter des Kunstvereins war so ein toller Typ. Der hatte eine Perücke auf, das konnte man sehen, die hatte der nämlich nur bis hier auf. Der war sehr mutig, weil es dauerte keine zwei Tage, bis es hieß: Skandal. Durch diesen Raum mussten die VW-Manager zu ihrer Tagung auf dem Schloss gehen. Das können wir unseren Gästen nicht zumuten, hängen Sie bitte diese Arbeiten ab. Dann haben dieser Kunstvereinsdirektor, ich weiß leider seinen Namen nicht mehr, ein großartiger Mensch, und der Vorsitzende gesagt, nur über unsere Leichen. Und die haben das nicht gemacht. So war’s. Jetzt muss man aber wissen, diese ganze Stadt lebt von Volkswagen und die unterstützen den Kunstverein. Aber die haben gedacht, das überleben wir. Wenn die uns das Geld wegnehmen, dann machen wir noch mehr. So waren die drauf. Da haben wir also mit einem Skandal aufgehört, wussten aber gar nix davon. Wir haben das später erst erfahren. Das war nur ein schöner Punkt. Dann war Schluss.
Irgendwann mal ist man ganz ruhig und macht dann immer weiter. Bis jetzt ist es ja gut gegangen. Ich hab ’86 mal eine Gastprofessur gemacht, obwohl ich ja nie auf die Schule wollte, in Hamburg. Koberling meinte damals zu mir, na hör mal, ihr müsst jetzt auch mal was machen in der Schule. Da war ich das erste Mal in meinem Leben in einer Kunsthochschule in Hamburg, hatte dann da die Anfänger. Auch wieder eine tolle Erfahrung. Kommst du dann da in die Kneipe mit ein paar Studenten, das weiß ich noch, nachts um vier. Aber das waren Norddeutsche, die redeten erst, nachdem sie zehn Wodka getrunken hatten. Als Rheinländer versteht man das nicht. Und dann kommt man da rein, Markus, mein Freund, Markus Oehlen, man muss ja sagen, wir kannten uns alle. Walter Dahn und er kamen ja beide aus Krefeld. Und der grölte dann, guck mal, da kommt der Professur. Da lachten sich alle kaputt. Das war wie ein Schimpf, so von wegen, der hat es aber nötig. Ich sagte nur, hört nicht auf den. Der hat das noch nicht verstanden. Jetzt ist er ja schon länger Professor in München. Das ist alles lustig. Die Galerie hatte ja zugemacht, also musst du wieder was Neues suchen. Viele deiner Freunde sind ja dann weg. Ich war kein guter Selbstorganisierer. Plötzlich tut sich wieder was Neues auf. Man kannte ja schon einige Leute. Es ist immer weitergegangen. Und dann hab ich noch Jobs gemacht, hier in Berlin zum Beispiel ’92 an der UdK. Da war nix los, ich hatte überhaupt keine Leute, die waren alle weg. Wo sind die denn alle? Die sind in Mitte, die haben ein Atelier, das ist 800 qm. Das war irre. Ich dachte, was ist hier los? Aufbruchzeiten. Dann hab ich die mal besucht, das war irre. Ich traf da illustre Kollegen, Kolleginnen vor allem. Hier in Berlin kamen Studenten auf mich zu, wollen Sie nicht mal meine Arbeiten angucken. Ich sage, warum nicht. Die waren aber aus der Klasse soundso. Irgendwann mal kam überhaupt keiner mehr. Dann hab ich gefragt, wieso. Ja, unser Professor sagt, dass das nicht geht. Das macht man nicht. Ist irre. Ich dachte, wieso denn nicht? Macht man nicht. Man pfuscht den anderen nicht rein. Huch, so funktioniert das also.
Ich habe keine Kinder. Aber meine Frau, mit der ich seit zwölf Jahren zusammen bin, die hat einen Sohn, der ist schon 34. Ich hab Kinder selber nicht ausgeschlossen oder gesagt, das will ich nicht. Ich hab aber diesen Menschen nicht getroffen. Einmal schon, aber dann wollte die andere Person nicht. Es gibt dann Konstellationen, die nicht gehen. Es ist nicht, dass ich es grundsätzlich nicht will. Ich war ja auch mit unterschiedlichen Menschen zusammen, und auch oft mit Künstlerinnen, und das ist oft sehr schwierig. Aber es muss nicht sein. Ich hatte dann einen gewissen Bekanntheitsgrad, ich würde auch jedem helfen. Aber viele wollen sich auch nicht helfen lassen. Das ist psychologisch immer ein Hin und Her und widersprüchlich. Das muss man dann aushalten. Das ist aber schon eine Schwierigkeit.
2002 hab ich in Dresden angefangen. Das war erst eine Vertretungsprofessur und dann hab ich viel Glück gehabt, dass ich die ständige Professur bekam. Da merkst du, wie viel irre Politik betrieben wird. Von wie vielen Zufällen das abhängt und Kontakten und so weiter. Ich hab auch gemerkt, dass die Hochschulen oft auch ein Klüngel sind in der Hinsicht. Ich mein, ich bin Autodidakt, das ist einfach so. Und das ist auch mein Prä, das haben die anderen nicht. Aber sagen wir mal so, einfach hast du es dann nicht an so einer Kunsthochschule. Immer bleibt da was hängen. Dann hast du Leute, die das gerade gut finden und andere, na ja. Aber es kommt auf andere Qualitäten an, auf pädagogische Qualitäten, dass du kommunizieren kannst, mit den Leuten reden kannst. Jeder hat eine andere Richtung, die er vertritt, und eine andere Persönlichkeit. Und zu mir kamen oft die schwierigen Menschen. Ich hab da schon harte Sachen erlebt, auch mit psychischen Auffälligkeiten, wo Leute aggressiv geworden sind und ganze Klassen gesprengt haben, sich auch das Leben genommen haben. Es war eine Herausforderung, aber man hat da seine Grenzen gefunden, weil ich bin kein Therapeut. Man muss aber schon stundenlang zuhören. Aber es gab auch immer wieder die Situation, die ich liebe: Da hat jemand was fabriziert, Malerei, Zeichnung oder irgendwas anderes. Und dann schaue ich das an und sage, ich behandle das jetzt mal so wie eine weiße Leinwand, ich verstehe gar nix. Ich weiß nicht, was das ist oder was das soll. Dann fang ich an zu buchstabieren: ich sehe das, ich sehe das, oder sehe ich das nicht? Und dann versucht man das aufzudröseln. Aber manchmal ist es sehr schwierig. Manchmal konnte ich nichts dazu sagen. Das war selten, aber ist auch passiert. Da fällt mir nix zu ein. Geh zu einem anderen. Entweder seid ihr grandios oder es ist Mumpitz. Manchmal weiß man es nicht. Und dann kommt: Ja, das wollte ich aber so. Dann musst du eine Alternative finden, du musst in dem Bild denken. Ne, will ich aber nicht. Ja, aber man könnte. Fang doch mal an, mit zu überlegen. Das fordere ich dann aber schon. Dann finde ein Gegenargument, dann verstehe ich dich ja vielleicht. Dann wurde es fruchtbarer. Aber es gibt auch die Verweigerung, weil man jemanden erwischt hatte, dass das nix ist. Und dann kann man nur drauf hoffen, dass im stillen Kämmerchen drüber nachgedacht wird. Das ist die Erfahrung, die man sammelt über die Jahre, dass Leute sehr prekär sind, und die kommen dann auch nicht, und dies und das. Und dann kommt das Examen: Wie ein Phönix aus der Asche. Wie hast du das gemacht? Ja, toll. Das hab ich oft erlebt. Deswegen hab ich immer gefordert – man ist ja da auch politisch engagiert –, kein Bachelor-Studium. Das ist Gift. Die Leute müssen Zeit haben, sich zu entwickeln, die müssen auch mal ins Ausland und so. Das waren harte Diskussionen. Ich habe mich sehr dagegen gewehrt und sehr gekämpft. Da merkt man auch, dass viele von den Kollegen und Kolleginnen überhaupt nicht politisch engagiert sind. Das war denen egal. Es ist sehr kompliziert. Dann muss man eben einen Kompromiss finden.
Ich war kein Beamter, nur Angestellter. Und das ist in Hinsicht auf Rente ein Unterschied. Ich sag nur ganz allgemein, die Pension ist fast dreimal so viel. Ich war froh, dass ich den Job hatte. Dann muss man eben für sich selber sorgen und gucken, dass man mit dem Geld irgendwie umgeht. Da brauchte ich aber nicht zu klagen. Da muss ich sagen, hatte ich Glück. Es ist in einer gewissen Hinsicht ein Bruch, weil man dieses Kommunikationsnetz nicht mehr hat. Und man hat ja sozusagen eine Stellung oder Position und eine Verantwortung natürlich auch und man ist Teil einer Institution. Und dann ist man es nicht mehr. Ich war noch einmal da, weil ich eine Meisterschülerin hatte, die ein Jahr später die Prüfung noch gemacht hat. Dann komme ich dahin, in dasselbe Gebäude, in dieselben Flure. Und es ist wie Surrealismus. Es ist ein Gefühl von: Kenne ich alles, aber ich gehöre hier nicht mehr hin. Das ist leider vorbei. Wie auch immer, das ist ein Wechsel, weil man sich selber wieder die Kommunikation schaffen muss. Auf der anderen Seite hat man mehr Zeit für sich und andere Dinge, auch für andere Menschen. Wenn man aus dem Fluss raus ist, wird man auch auf sich zurückgeworfen und muss gucken, auf welcher Seite des Flusses bin ich jetzt oder auf welcher Höhe? Der Horizont wird enger, im Sinne von Zeit. Man bildet sich aber natürlich ein, dass Zeit ja auch Qualität ist. Es kann ja auch eine dichte Zeit geben. Und so agiere ich erst mal weiter. Und ich muss mir auch wieder eine Galerie suchen, weil meine wieder aufgehört hat. Gut, es ist halt so.
Über meinen Nachlass mache ich mir nur allgemein die Gedanken, dass diese Frage in der Luft schwebt. Es war mal die Rede von einem Werkverzeichnis, das die Galerie machen wollte, das ist aber so umfangreich, das ist ein schwieriges Kapitel. Vielleicht ist das mal ein Projekt, das man wirklich angehen muss. Wer weiß, wie viel Zeit noch bleibt, das ist ja immer der Punkt. Dann überlegt man sich Stiftungsideen. Ich bin aber so ein ganz schlechter Organisationsmensch. Ich weiß von Kollegen, die da ganz gut drin waren und das super hingekriegt haben. Natürlich will man ein eigenes Museum haben, aber schwierig. Das ist eine Frage, die mich etwas verlegen macht, weil ich mir das noch nicht richtig überlegt habe oder das angegangen bin. Weil man will alle Kraft, die man hat, in die Arbeit stecken. Aber letztendlich muss auch ein Teil davon in die Richtung des Nachlasses gedacht werden. Es ist ja für viele Künstler eine heikle Frage, weil man produziert, und was passiert damit? Es ist eine ganz schwierige Frage, und die tut auch weh.
Man will ja, dass die Bilder gesehen, dass die Kunst wahrgenommen wird. Die Bilder wollen ja auch selber angeguckt werden. Rede mal mit einem Bild, das wird dir das sagen. Fühlen die sich wohl in einem muffigen Lager? Die Erfahrung macht man ja auch selber, wenn man eine Arbeit im Museum hat, wie ich das jetzt im Museum Ludwig in Aachen und in Köln. Die wurde mal ausgestellt, dann wieder ins Depot. Vielleicht entdeckt die mal wieder einer, dann werden sie wieder ausgestellt. Im Hintergrund ist immer die Frage, soll man überhaupt weitermachen, in dem Sinne, wenn man keine Ausstellungen hat oder die Bilder keine Öffentlichkeit mehr finden. Ich kann dazu nur sagen: Immer weitermachen. Weil es ist für einen selbst wichtig. Und wenn es auch nur einer anguckt, das reicht. Ich bin vollkommen dagegen, die Flinte ins Korn zu schmeißen, nur weil man keine gute Galerie hat oder nicht genug Aufmerksamkeit. Das ist man sich selber schuldig, das muss man sich klar werden. Es ist für mich gut, ein Bild zu machen. Und in meiner Erfahrung geht es sowieso auf und nieder. Manchmal kannst du dich gar nicht mehr vor Ausstellungen retten. Dann musst du gucken, dass du die Qualität hältst und nicht zynisch wirst. Und dann wieder ganz wenig oder auch gar nichts, und dann plötzlich kommt wieder was und du findest Menschen, die sich dafür interessieren. Ich kann nur sagen, nicht aufgeben. Das ist man sich selbst schuldig. Wenn man für sich selbst nichts mehr daraus ziehen kann, dann kann man aufhören, dann muss man sogar aufhören. Das ist ja dann Quatsch. Dann soll man sich etwas anderem widmen, Kaffee trinken, durch die Stadt gehen, das ist ja ein endloses Abenteuer. Oder was schreiben. Es gibt viele Möglichkeiten, es geht um den Spirit, es geht um den Geist. Also entweder hat man den nie gehabt oder so lange der da ist, findet das auch eine Form. Das ist eigentlich natürlich.