Noisy Leaks! (1)

P145

2023:Februar // J.G. Wilms

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02-2023


NoisyLeaks! The Art of Exposing Secrets

NoisyLeaks! fand vom 7. bis 30. Oktober 2022 im p145, Invalidenstraße 145, in Berlin-Mitte statt. Das Projekt, dem künstlerische und aktivistische Praxen gleichrangig waren, sah sich als „hub for discussion, exchange, debate, research and the co-creation of events“. Entsprechend breit die Liste der Teilnehmenden: AFK, Ai WeiWei, Chicks on Speed, Daniel Lismore, Daniel Richter, Davide Dormino, dissent – institute for datalove, Hito Steyerl, Iodine Dynamics, JBB, !Mediengruppe Bitnik, RYBN und Sarah Lucas. Dabei stellte die Ausstellung sich, wie es auf https://noisyleaks.space/ weiter heißt, dem „government abuse through secrecy, mass surveillance, the commercialization and hyper-centralization of Internet, censorship and disinformation“. Also genau dem Feld, in dem die Organisation WikiLeaks ihre historische Bedeutung gewann. Sie zeigte Zustände und Zusammenhänge auf, die dem Mitbegründer von WikiLeaks, Julian Assange, eine inzwischen über drei Jahre währende Isolationshaft eingebracht haben, die vom UNO-Sonderberichterstatter für Folter, dem Schweizer Juristen Nils Melzer, untersucht und als Folter benannt wurde.

Für von hundert sprach J.G. Wilms mit einer Person aus dem Organisationsteam von NoisyLeaks!

Q: Es gibt ja eine wachsende internationale Kampagne für die Freilassung von Julian Assange. Ist NoisyLeaks! Teil davon?

A: Als Teil des Orga-Teams sind wir schon irgendwie Freunde von Assange. Aber mit NoisyLeaks! versuchen wir ein Experiment durchzuführen, das darin besteht, ihn auf verschiedene Arten zu verteidigen. Oft gibt’s es ja Botschaften, die nur die Oberfläche des Falles streifen, wie: „Free Assange“ oder „Don’t Extradite Assange“ (dt. Keine Auslieferung), und dazu sein Gesicht. Jetzt wollten wir statt auf ihn und seine Person eher auf die Tiefe und Komplexität der dahinter liegenden Geschichte fokussieren.
Es geht also nicht nur um ihn, sondern um die Frage: Warum ist er dort? Der Grund dafür ist seine Arbeit, das, was er erreicht und getan hat. Vor allem, was WikiLeaks getan hat. Uns geht es also gleichermaßen darum, Assange wie auch WikiLeaks zu verteidigen. Wenn Sie die Anklage­schrift des US-Justizministeriums lesen, dann sehen Sie, dass fünf Personen angeklagt sind. Sie werden WLA1 bis WLA5 genannt – (WikiLeaksAssociated/WikiLeaksZugeordnete 1–5). Es sind also bereits fünf Personen von WikiLeaks, die Gegenstand der letztlich brutalen Verfolgung durch die USA sind.
Es gibt also keine Hinweise darauf, dass auf den Tag, an dem sie Assange erhalten, nicht noch weitere folgen würden, dass es nicht noch weitere dieser sogenannten versiegelten Anklageschriften gibt. Also Umschläge, die sie im geeigneten Augenblick öffnen können. Vielleicht sind es dann 5, 10, 15 weitere Personen, die Gegenstand solcher Verfolgungen werden.
Was die USA beschreiben, ist eine „Verschwörung zur Spionage“, das, was Rechtsanwälte oder -gelehrte eine „parallele Konstruktion“ nennen. Sie bauen also einen Rechtsfall auf, um die Geschichte zu erzählen, die sie erzählen wollen. Das ist der Weg, ihr Weg, an Assange zu kommen, der kein US-Bürger ist, während der Espionge Act (das US-Spionagesetz, mit dem die US-Justizbehörde ihr Auslieferungsersuchen gegenüber der britischen Regierung begründet, jgw) im Grunde nur bei US-Bürgern Anwendung findet. Sie mussten also eine Verschwörung unterstellen, bei der eine Person eine Person kennt, die eine Person kennt, die Assange kennt, die eine Person kennt, die die Manning (Bradley, jetzt Chelsea Manning, US-Militär und Whistleblowerin) kennt – und am Ende lassen sie das Ganze so aussehen, als sei WikiLeaks in Wirklichkeit alQaida.
Was wir also erzählen wollen, ist die andere Seite dieser Geschichte. Was ist eigentlich WikiLeaks? Was leistet es für die Welt? Was leistet es für den Journalismus? Und, grundsätzlich, inwiefern dient WikiLeaks als Inspirationsquelle für Künstler/innen, beziehungsweise inwiefern diente es über die letzten zehn oder zwölf Jahre entweder als kreativer Input, als kreativ nutzbares Material, als Inspiration für die eigene Arbeit.

Q: Das wäre meine Frage. Warum habt ihr euch entschieden, eine Kunstausstellung zu machen? Klar gibt es hier Aktivismus, die rechtliche Auseinandersetzung, ein wachsendes Netzwerk von Unterstützer/innen – aber warum Kunst?

A: Ich kann hier nur für mich selber sprechen. Das ist ja eine sehr tiefe und komplexe Sache. Klar kannst du an der Oberfläche bleiben und sagen: „Free Assange", „Don’t Extradite him“, „Journalism is not a crime“ – aber du kannst auch versuchen, tiefer einzutauchen. Und das ist, was wir, wie gesagt, hier versuchen.
Eine Geschichte zu erzählen, ist manchmal schwierig, zumal eine Geschichte, die hängen bleiben soll, an die die Leute sich erinnern und die sie weitgeben werden. Und erst recht ist das schwierig, wenn diese Geschichte die Verfolgung in fünf verschiedene Gerichtsbarkeiten, zwölf Jahre Falschinformation, Rufmordkampagnen beinhaltet. Und dann hast du es noch mit Gegnern zu tun, die selber routiniert ein Story-Telling betreiben, eben als: das Streuen von Falschinformationen und als Rufmordkampagne.
Aber irgendwie dachten wir, dass wir durch die Künste einen Weg finden könnten zu erzählen, was nicht von den üblichen Formaten eingeschränkt wird. Wo du also nicht auf 150 Zeichen festgelegt bist, oder auf 9 Wörter für einen Titel. Oder wo du Wörter wie shit oder fuck nicht benutzen darfst. Die künstlerische Freiheit schien uns also ein Weg, die Hintergründe von WikiLeaks darzustellen. Und tatsächlich. Als wir uns dann mal umgeschaut haben, haben wir sofort eine ganze Reihe von Kunstwerken und Ansätzen gesehen, die bereits existierten (s. a. http://www.vonhundert.de/index833a.html?id=430). Die also ­entweder bereits die Geschichte von WikiLeaks thematisiert oder aber sich darauf bezogen hatten.

Q: In Anbetracht, dass dies hier eine sehr heterogene Ausstellung ist, im Sinne von künstlerischen Formaten oder Genres – für mich funktioniert diese Ausstellung –, hattet ihr in der Vorbereitung Schwierigkeiten, Grenzen zu finden oder einen Rahmen festzulegen?

A: Danke dir! Wir haben schon einige Zeit dafür gebraucht, eine Vorstellung oder ein Konzept zu entwickeln – und das dann auch mit Künstler/innen zu teilen. Ich glaube, ein Schlüssel dazu war a) die Komplexität zu akzeptieren, und b) mehr zu tun, als „nur“ eine Ausstellung zu machen. Für mich ist das eine Art „Hack“, in dem Sinn, dass diese Ausstellung, wie gesagt, auf etwas Tieferes, Größeres verweist. Du besuchst die Ausstellung? Dann kommst du später noch mal wieder, weil’s einfach viel zu sehen gibt, weil es einen Filmabend gibt, ein Konzert oder eine Versammlung. Und dann kommst du noch einmal, weil du tolle Menschen getroffen hast, die du gerne wiedersehen möchtest.
Für mich ist die Ausstellung sozusagen ein Eingang zur Kaninchenhöhle: Je mehr du gräbst, desto mehr Stoff findest du. Und am Ende besteht der Stoff aus den Menschen, die du triffst. Du hast das Teehaus im hinteren Teil gesehen, wo Versammlungen stattfanden, die praktischer, nachhaltiger und intimer waren.
Also, wenn du öfter gekommen bist, warst du am Ende vielleicht drei Stunden da und hast dich mit jemanden dazu verabredet, ein Stück Software zu schreiben, das – auf lange Sicht – hilfreich für Julian und WikiLeaks werden könnte.
Was jedenfalls zu einer guten Resonanz bei den Künstler/innen geführt hat, die auf unseren Aufruf reagiert haben, war, dass dieser nicht dazu aufgefordert hat, das Gesicht von Assange zu malen. Das gab es ja schon. Das haben einige wirklich gute Künstler schon gemacht. Hier haben wir uns selber besagte Tiefe erlaubt. Die haben wir irgendwie sogar: umarmt. – Ich würde sagen: Das ist vielleicht der kleinste gemeinsame Nenner der meisten Kunstwerke hier: Dass sie es wagen, sich der Komplexität zu stellen und in einer gewissen Weise damit spielen – nimm nur diese unglaubliche Video-Arbeit von Hito Steyerl. Die einerseits ja zur Weltspitze in der zeitgenössischen Kunst gehört und die hier die von WikiLeaks bereitgestellten Syria-Files benutzt, um aufzuzeigen, wie korrupt die zeitgenössische Kunstwelt ist. Eine absolut brillante Arbeit, die 35 Minuten lang ist und absolut jede Sekunde wert …
Also: Wir hatten unser Konzept fertig. Viele befreundete Künstler/innen, die Assange unterstützen wollten, haben uns geholfen, das Konzept der Ausstellung einerseits zu verifizieren und andererseits zu validieren. Ein Künstler meinte z.B.: Das ist doch nur eine langweilige Ausstellung. Und wir so: Nö! Das ist es nicht. Vielleicht wird das sogar ein Nano-Festival oder ein Pop-Up-Hackerspace, wer weiß. Und er so: Okay. Also doch interessant …

Q: Eine …

A: … eine Sache muss ich noch hinzufügen. Wir waren f**cking-überwältigt – das Wort fucking kannst du in der Übersetzung ja vielleicht weglassen (lacht) – also überwältigt davon, wie viele Künstler/innen, bekannte und unbekannte, uns einfach mit Ja geantwortet haben – fast ohne weitere Fragen zu stellen. Einige der größten Namen haben nicht mal wegen einer Ausstellungsgebühr nachgefragt. Einige haben uns ihre Arbeiten, die allein materiell ja einiges wert sind, einfach ausgeliehen und gesagt, wir sollten uns wegen der Versicherung mal keinen Kopf machen …

Q: … letzte Frage: Es gibt 22 Kunstwerke in dieser Ausstellung. Warum nicht – wo du doch soviel über hacking gesprochen hast – nicht 23?

A: (lacht) Na, vielleicht, weil du nicht herausgefunden hast, welches das 23. ist …

Q: … aha! (lacht)

A: Die 23 ist eigentlich der Satz von Postern – die „Propaganda“ – die nicht in der Ausstellungsliste verzeichnet sind. Die ich, die wir aber als integralen Bestandteil der Ausstellung sehen. Die Poster sind also entweder Arbeiten von Künstler/innen, die hier mitgemacht haben, und die nur in Form des Posters teilnehmen. Oder aber, wie bei der Karte der Akteure der Verfolgung, die als Mitgabe zum ausführlichen Studium der komplexen Zusammenhänge gedacht sind. Für mich ist dies ein Werk wie die anderen auch – und ich glaube: Das ist hier die 23.

Q: Danke!



Sarah Lucas Did someone mention totalitarianism, 2022, Foto: Moritz Haase