Klassenfragen

NgbK/Berlinische Galerie

2023:Februar // Andreas Koch und Anna-Lena Wenzel

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02-2023

Andreas Koch: Liebe Anna-Lena, ich fange von hinten an, jetzt da die Ausstellung vorüber ist, lasse also erst mal alle Beschreibungen und Informationen weg, wir ergänzen das dann wohl im Laufe unseres Gesprächs (das via E-Mail stattfindet). Ich war ja bei der Eröffnung und am vorletzten Tag bei der Podiumsdiskussion da. Ich radelte im Regen an einem grauen Sonntagnachmittag gen Berlinische Galerie, kam kurz nach den angekündigten 15 Uhr dort an und war extrem überrascht, dass da eine lange Schlange bis vor zur Neuen Jakobstraße anstand. Zur Podiumsdiskussion wurde man etwas schneller durchgeschleust, aber auch da, ein mit ungefähr 250 Leuten übervoller Raum, viele saßen auf dem Boden. Das hatte ich nicht erwartet. Wie erklärst du dir diese riesige Resonanz? Ich meine, ja, das Thema ist brisant und aktuell, aber gleichzeitig saßen die Leute auch schon zu Zeiten meiner Geburt in großen Hörsälen und diskutierten Karl Marx und die Klassenfrage, stellten ähnlich Forderungen und dies vergleichsweise vehementer. Und eigentlich ist die Frage nach Gerechtigkeit ein Dauerbrenner seit Anbeginn, was ist das Zeitspezifische?

Anna-Lena Wenzel: Lieber Andreas, das Thema ist auf jeden Fall ein Dauerbrenner und doch bedarf es immer wieder einer Aktualisierung. Die Reaktionen zeigen, dass wir mit der Ausstellung ein Thema adressieren und Denk- und Redeanstöße liefern, zu etwas, was zum Alltag jede*r Künstler*in gehört, aber zu selten angesprochen wird – obwohl schon Arthur Segal 1921 in seinem Bild die Paradoxien des Künstlerlebens festhält und Klassismus in den 1970/80ern breit diskutiert wurde. Das Zeitspezifische ist, dass sich die Gegensätze zwischen Arm und Reich kontinuierlich verschärfen, die Durchlässigkeit des (Bildungs-)Systems eher ab- als zugenommen hat und die Situation der Künstler*innen durch die Raumnot und durch die erhöhte Konkurrenz aufgrund der Vielzahl von Künstler*innen, die nach Berlin kommen, immer prekärer wird.
Darüberhinaus haben wir versucht, eine möglichst intersektionale Perspektive einzunehmen: Wir sprechen ­Alters­armut genauso an, wie wir danach fragen, wie sich ein Systemwechsel auswirkt und stellen Arbeiten aus, die aufgrund ihrer „weiblichen“ Handschrift, ihrer naiven Bildsprache oder ihrer Alltagsbezogenheit häufig abgewertet werden und unsichtbar bleiben.

Koch: Ja, da habt ihr ein breites Spektrum an Arbeiten zusammengetragen. Mir ging es ein bisschen so, dass ich einmal den Rundlauf machte und vor allem die Schilder las, auf denen ihr teils recht lustig, jedenfalls kurz und informativ jeweils einen Aspekt der „Produktionsbedingungen“ der jeweiligen Künstler*innen und deren Werk drucktet. Die Arbeit wurde dadurch etwas in den Hintergrund gerückt. Ich kann mich an kaum noch eine erinnern. Aber es war auch Ende November und länger her. Es ist wie bei vielen Ausstellungen mit politischen Anliegen, dass die künstlerische Arbeit oft illustrativ wirkt, es sei denn sie ist dokumentarisch. Ihr habt ja eine Mischung, manchmal sind eben die Bedingungen beschrieben und das eigentliche Werk steht für was anderes, manchmal thematisiert die Arbeit direkt „Klassenfragen“, wie zum Beispiel die ausgestellten Briefe der Künstler*innen, die vom bbk gebeten wurden, ihre Lebenssituation zu schildern. Dies war zusammen mit dem Hindernis (ein bei Pferdespringen verwendetes Sprungelement) eine kuratorische Setzung von euch. Wie war denn der Prozess zu dieser Gruppenausstellung, denn ihr ward ja auch kuratorisch eine Gruppe. Willst du was zu euren Produktionsbedingungen sagen?

Wenzel: Da sprichst du ein wichtiges Thema an! Aber bevor ich antworte, würde ich gerne auf deine Beschreibung der Ausstellung eingehen. Kannst du sagen, an welchen Stellen du die Label-Texte (auf denen Angaben zu den Berufen der Eltern, Versicherungswerte, Materialkosten etc. angegeben sind) lustig fandest? Und interessant, dass du dich an die Arbeiten kaum erinnern kannst, denn ich habe beobachtet, dass die Besucher*innen oft lange und konzentriert in der Ausstellung waren und sich auch die Audioarbeiten angehört haben – was ich nicht selbstverständlich finde.
Was die Zusammenstellung der Arbeiten betrifft, war es uns tatsächlich wichtig, eine Mischung hinzubekommen: Erfahrungsberichte zum Thema Klassismus mit älteren Arbeiten aus der Sammlung der BG und zeitgenössischen künstlerischen Positionen zu kombinieren, die das Thema in unterschiedliche Ebenen weiterdenken – sei es durch ihre Materialität (wie bei Gabriele Stötzer), ihren konzeptuellen Ansatz (wie bei Hito Steyerl/Giorgi Gago Gagoshidze/Miloš Trakilović) oder ihre physische, poetische Präsenz (wie bei Anna Schapiro).
Aber zu deiner eigentlichen Frage: Was für uns ein großes Thema war, war, dass wir eine Ausstellung über die prekären Produktionsbedingungen gemacht und diese gleichzeitig reproduziert haben. Dafür würde ich gerne kurz ausholen und die Bedingungen transparent machen: Wir hatten über die nGbK ein Budget von 55.400 Euro zur Verfügung, von dem unter andem die Aufsichten, der Aufbau, die Druckerzeugnisse und die Veranstaltungen bezahlt werden mussten. Die Kurator*innenhonorare werden in der nGbK anteilig vom Gesamtbudget berechnet – das waren in unserem Fall 3000 Euro für zwei Jahre Arbeit. Aufgrund des engen Finanzplans (u. a. auch aufgrund gestiegener Kosten) konnten wir die Honorare oft nicht in dem Maße ausbezahlen, wie wir es uns gewünscht hätten – und es angebracht gewesen wäre. Wir haben versucht, das so transparent wie möglich zu machen – und stießen auf viel Verständnis. Dennoch war es ein heikles Unterfangen.

Koch: Da hast du mich jetzt kalt erwischt, „lustig“ ist wohl der falsche Ausdruck und auch nicht negativ gemeint, wahrscheinlich wurde mein Galgenhumor angeregt, so wie ich auch oft schmunzle, wenn ich die Serie „Reden wir über Geld“ freitags in der Süddeutschen Zeitung lese, kennst du die?

Wenzel: Ja, klar! Die lese ich auch immer als erstes.

Koch: Und direkt zitieren kann ich jetzt natürlich auch nichts. Humor entsteht ja oft aus einer befreienden und überraschenden Geste heraus und das ist wohl der Fall, wenn plötzlich Transparenz in einem ansonsten tabuisierten Gebiet entsteht. Vielleicht fällt dir was ein, wo das der Fall gewesen sein könnte?

Wenzel: Wahrscheinlich bei Douglas Boatwright, da heißt es: Alter des Künstlers, als ihm ein potenzieller Arbeitgeber das letzte Mal sagte, dass ein stark unterbezahlter Job im Lebenslauf gut aussehen würde: 43.

Koch: Ja, so was. Ich meine, der Zustand der Gesellschaft, den du oben angesprochen hast, ist eher tragisch, aber ich empfand die Ausstellung eben nicht so, sondern auch leicht und durchaus humorvoll. Vielleicht ist das ja eine Möglichkeit mit unserem oft schwierigeren Leben zwischen allen Klassen umzugehen (das fand ich bei der Podiumsdiskussion interessant, wo Metaphern wie der Paternoster auftauchten, für unser Dasein zwischen Existenzminimum und Sammlerdinner).
Und irgendwie klingen dann halt 3000 Euro für zwei Jahre Arbeit auch lustig, so traurig das ist. Wir thematisieren das in der von hundert ja immer wieder, in unserer Arbeit-, Alter-, Angst-Trilogie zum Beispiel, oder jetzt mit einem Geld- und einem Klasse-Spezial. Die ganze von hundert wäre ja so ein Projekt. in das viele Leute viel Arbeit stecken und gar nichts bekommen und ich wohl am meisten dafür arbeite und dafür auch noch draufzahle, pro Heft ca. 100 Stunden und 400 Euro minus.

Wenzel: Ja, das hast du schon oft transparent gemacht und ich schätze nicht nur, dass diese Themen aufgegriffen werden, sondern auch den autobiografischen Ton in dem dies geschieht. Das macht es einfacher, sich dazu ins Verhältnis zu setzen.

Koch: Und dadurch, dass sich, wie bei der Kunstproduktion auch, eine Sinnhaftigkeit einstellt, die dann im besten Fall auch noch wahrgenommen und rezipiert wird, ist man zu monetärem Verzicht bereit. So ging es euch ja bestimmt auch. Dann kommen natürlich gleich die Fragen hinterher, wer sich das leisten kann, nach dem Elternhaus, nach dem Stundenlohn in anderen Feldern usw., wichtige Fragen, aber ohne die Bereitschaft auch Zeit zu schenken, sähe es kulturell düster aus. Wenn wir nur noch verhandeln und monetär bewerten, befeuern wir vielleicht eher den Kapitalismus, als dass wir ihn abmildern.

Wenzel: Das stimmt. Du sprichst an, was uns auch oft beschäftigt hat: Was sind unsere Handlungsspielräume? Manchmal ist es nur ein Gedankensprung: Als im Verlauf der Ausstellung der Druck stieg, war es zum Beispiel eine bewusste Entscheidung, zur eigenen Geschwindigkeit zurückzukehren oder innezuhalten und zu fragen: Was wollen wir eigentlich? Ein anderes Beispiel sind die Briefe der Künstler*innen über 60: Man kann aus ihnen die schwierigen Arbeitungsbedingungen herauslesen und gleichzeitig spricht aus ihnen der Wille, trotz aller Widerstände Kunst zu machen.
Darüberhinaus stellen wir mit der Ausstellung zwei Lösungsvorschläge vor: mehr Transparenz und die Arbeit im Kollektiv – für uns die Alternative zum veralteten Bild des Künstlers als Einzelkämpfer. Wir verstehen die Ausstellung als Denk- und Redeanstoß für mehr Austausch über Herkünfte, (Nicht-)Erbschaften, über Scham und Auf- und Abwertungsmechanismen. Ich habe viel über den Zusammenhang von sozialer Herkunft und Habitus gelernt (wie das (Nicht-)Selbstverständnis Raum zu nehmen, der Drang, es allen recht machen zu wollen), gleichzeitig war es erhellend (und mitunter schmerzhaft), sich noch mal der eigenen Privilegiertheit klarer zu werden, in dem Moment, in dem man sich noch mal ganz anders in Relation setzt. Das Interessante ist doch, dass niemand gerne zugibt, privilegiert zu sein, selbst diejenigen, die Eigentum besitzen, haben das Gefühl haben, prekär zu leben, selbst diejenigen, die fließend Deutsch sprechen, haben das Gefühl. nicht gehört zu werden etc. pp.

Koch: Könnte das bedingungsloses Grundeinkommen ein Ausweg sein?

Wenzel: Jein. Erst mal sind angesagt: Mehr Umverteilung und mehr Weniger. Degrowth ist für mich das entscheidende Stichwort: weniger Ressourcenverbrauch – generell und in Bezug auf kulturellen Output. Ihr macht das mit dem verlangsamten Turnus der von hundert ja schon vor …

Koch: Abwarten, wenn’s klappt, haben wir aber dieses Mal die Pause zwischen zwei Ausgaben von 11 auf 9 Monate verkürzt. Danke für das Gespräch!


Klassenfragen – Kunst und ihre Produktionsbedingungen
Das Projekt ist eine Kooperation zwischen der nGbK und der Berlinischen Galerie, in deren Räumlichkeiten die Ausstellung realisiert wird. 25. 11. 2022–9. 1. 2023
nGbK-Arbeitsgruppe: Frauke Boggasch, Silke Nowak, Anna Schapiro, Anna-Lena Wenzel, Norbert Witzgall


Ausstellungsansicht: Klassenfragen – Kunst und ihre Produktionsbedingungen, Foto: Harry Schnitger
Faltblatt zur Ausstellung: Gina Mönch und Anna Landskron-Neumeier