Mammen Mattheuer Neel

u.a. Aurel Scheibler

2018:März // Christoph Bannat

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03-2018

Synaptische Korrespondenzen

Drei Maler, drei Retrospektiven und eine Themenausstellung, die mit feinen Bewusstseinsfäden miteinander verbunden zu sein scheinen.


Jeanne Mammen, 1890 in Berlin geboren, musste 1914 Paris verlassen und zog zurück nach Berlin. Ihre Arbeiten waren jetzt in Frankfurt und Berlin zu sehen. Alice Neel, 1900 geboren, lebte Ende der 20er Jahre für kurze Zeit in Kuba, danach in New York, dort zuerst in Spanish Harlem, später in Greenwich Village und an der Upper West Side. Ihre Arbeiten wurden in Hamburg und Berlin gezeigt. Walter Mattheuer, geboren 1927, war einer der wichtigsten DDR-Maler, die Kunsthalle Rostock stellte im Herbst 2017 seine Arbeiten aus. Gemeinsam stehen die drei Künstler für das 20. Jahrhundert.
Die Themenausstellung „Glanz und Elend in der Weimarer Republik“ fand in der Schirn statt und umfasste 200 Werke verschiedener Künstler, die zwischen 1918 und 1933 entstanden sind. In dieser Ausstellung laufen die Bewusstseinsfäden der drei oben genannten Retrospektiven zusammen. Hier findet man Verdachtsmomente für mögliche Zusammenhänge. Und hier beweist Frankfurt einmal mehr seinen guten Ruf als „die Stadt“ in Deutschland mit den besten bildungsbürgerlichen Ausstellungen.
Mit dem Kriegsanfang 1914 musste die deutsche ­Familie Mammen Paris verlassen. In Berlin der 20er Jahre wird Jeanne Mammen, neben Dodo, die stilbildende Illustratorin der „Neuen Sachlichkeit“. Neben Arbeiten aus den 20ern, zeigte die Berlinische Galerie zwei weitere Schwerpunkte: Die Zeit der „inneren Emigration“ während der 30er- und 40er-Jahre nach der Gleichschaltung der Presse durch das Nazi-Regime, sowie Arbeiten nach 1945.
Für die große Neel-Retrospektive waren die Hamburger Deichtorhallen die letzte Ausstellungsstation nach Helsinki, Den Haag und Arles in Europa. Zeitgleich zeigte Aurel Scheibler eine kleine, äußerst feine, museumsreife Ausstellung ihrer Arbeiten aus den 30er bis 60er Jahren, ­darunter eine echte Ikone, Werktitel: „Nazis Murder Jews“, von 1936. Eine Ausstellung, die als Ganzes von der Bundesrepublik Deutschland für das Archiv des kollektiven Un-Bewussten gekauft werden sollte. In das auch Mammens androgyner, picassoesker Soldat in Nazi-Uniform gehört, gemalt 1940. „Glanz und Elend“ zeigt Jeanne Mammen im Zusammenhang mit anderen Künstlerinnen – und ich denke mir noch Alice Neel dazu, denn beide bestärken den Glauben an die Darstellbarkeit von Welt, befeuert durch den an eine soziale Utopie. Wobei der Glaube an die Darstellbarkeit von Welt sich nicht von selbst verstand, nach Einstein, Kandinsky, Malewitsch, erstem Weltkrieg, Massenarbeitslosigkeit und Massenvernichtung durch Giftgas. Eine Zeit in der die Weltzusammenhänge zunehmend abstrakt erschienen, um sich dann am 25. Oktober 1929, im Supergau der New Yorker Börse, dem schwarzen Freitag, ganz konkret zu bündeln. 1935 tritt Alice Neel in die Kommunistische Partei ein. Seitdem erhält sie, bis in die 50er Jahre, finanzielle Unterstützung, zunächst aus dem WPA-Programm der Künstlergewerkschaft. Die 30er Jahre werden Neels schwerste Zeit. Nach dem plötzlichen Tod ihrer ersten Tochter 1927 wird sie von ihrer zweiten Tochter durch den Wegzug ihres Manns nach Kuba getrennt. Es folgten ein Aufenthalt in der Psychiatrie und zwei Selbstmordversuche. Ende der 30er stabilisiert sich ihr Zustand und sie wird Mutter zweier Söhne. Aurel Scheibler zeigt Bilder aus dieser Phase, darunter einige düstere urbane Szenen. Heute ist sie für ihre eher hellen Porträts bekannt. Darunter viele Porträts, die zeigen, dass sie ihren politischen Weggenossen zeitlebens treu geblieben ist. Wodurch in den Hamburger Deichtorhallen ein Proustsches Panorama entsteht, in dem wir Menschen über Jahrzehnte, in einer Art malerischer Langzeitbelichtung, erleben – kontrapunktisch gesteigert durch ihre malerische „Momentaufnahme“, einer im Laufe der Zeit immer schneller werdende Pinselführung.
Neels programmatische Linie verläuft von Robert Henri (Mitgründer der Ashcan-School und Lehrer an der Philadelphia School of Design for Women, die auch Neel besuchte) über den Verismus zur „Neuen Sachlichkeit“. Petra Gördüren präzisiert diese Linie in ihrem Hamburger Katalogbeitrag, indem sie Verdachtsmomente einer ­visuellen Begegnung von Neel mit Arbeiten von Grosz, Dix oder Beckmann sammelt. Die „Neue Sachlichkeit“ führte die menschliche Hässlichkeit (bis zur Karikatur), jenseits religiöser Drohgebärden, als Realismusprinzip in die Kunst ein.
Neel und Mammen folgten diesem. Doch anders als Neel wollte Mammen keine persönliche, sondern eine phänotypische Genauigkeit. 1932 reist sie nach Moskau ins Zentrum des Wunders der ersten gelungenen Revolution und kommt enttäuscht zurück. In Berlin werden Zeichnungen zerlumpter und bettelnder Kinder und das ruinenhafte Gesicht eines Kutschers gezeigt. Mit dem Zerfall der Kommunismus-Utopie und dem aufkommenden Faschismus wächst „das große Unbehagen der Epoche“, das zur existenziellen Erfahrung Mammens, Neels und Mattheuers gehört. Neel sieht, wie sich das Großkapital eher der faschistischen Führung als den doch immer nur zu kontrollierenden Volksmassen anschließt.
Bei Kriegsende flieht Walter Mattheuer aus russischer Gefangenschaft und verlässt auch später immer wieder, illegal, die sowjetische Zone für West-Ausflüge. Vielleicht ein Grund warum er dem staatlich verordneten Sozialistischen Realismus der DDR immer kritisch gegenüber stand. In seinem Bildnis „Die Ausgezeichnete“ von 1973/74, manifestiert sich seine Kritik am deutlichsten.
In der inneren Emigration werden Jeanne Mammens Arbeiten zunehmend abstrakter, zunächst im picassoesken Guernica-Stil, dessen Ursprungs-Original sie vermutlich 1939 in Paris gesehen hatte. Das Dokumentarische zeigt sich nur noch in ihren Titeln: „Polnische Bäuerin“ (1939–42) oder „Kind im Luftschutzkeller“ (1943–45).
Nach 1945 beginnt Mattheuer zunächst mit Plein-air-Malerei, Landschaftsbilder des Vogtlandes, seiner Heimat. Mit den Jahren widmet er sich zunehmend der Stadt und später einem pathetischen Symbolismus, der ihm seit den 70ern auch in West-Deutschland zunehmend Anerkennung verschafft, dessen Halbwertzeit, im Gegensatz zu seinen früheren Arbeiten, heute aber überschritten scheint. Durch Mattheuer erfahren wir von den persönlichen Bemühungen um Realität, jenseits des monströsen Politkitsch des staatlich verordneten Stils des Sozialistischen Realismus, dem es gerade nicht um eine „Neue Sachlichkeit“ ging. ­Boris Groys beschreibt das eindringlich in seinem Buch „Gesamtkunstwerk Stalin“.
Heute glauben wir weniger denn je an die Darstellbarkeit von Welt als Ganzer oder auch nur an die Abbildbarkeit von Klassenverhältnissen. Das Fragment erscheint uns wieder als der heile Teil der Moderne, auch in der Kunst. Als 1945 der Abstrakte Expressionismus amerikanischer Prägung die Weltmeinungsführerschaft übernahm, wollte er die Geschichte der Abstraktion weitererzählen. Neel porträtiert nach vielen Arbeiterbildnissen zu dieser Zeit die New Yorker Bohème. Mit der Pop-Art als Gegenentwurf zum abstrakten Expressionismus, die die Idee der Darstellbarkeit von Welt wieder aufleben ließ, bekam auch Neel zunehmend Bedeutung. Andy Warhol wünschte sich, nachdem er das Attentat von Valerie Jean Solanas überlebt hatte, von Alice Neel porträtiert zu werden. Es entstanden Porträts aus dem Umfeld von Warhols Factory, daneben immer wieder Bilder von ihren kommunistischen Langzeitfreunden.
In den 70er Jahren wird Jeanne Mammen zunehmend, jetzt im Kleeschen Sinne, abstrakter und Mattheuer immer symbolträchtiger, wobei seine Übergangsbilder immer wieder überraschen.
Heute leben wir in der Epoche des kleinen wohltemperierten Unbehagens und der Stagnation ohne Utopie – die kommunistische hat sich verflüchtigt und der Antifaschismus als Kampfbegriff ist stumpf geworden durch den inflationären Gebrauch in den 60er und 70er Jahren. Dabei bräuchten wir wieder einen solchen, denn männliche Cliquenherrschaft und Nationalismus mit totalitären Ansprüchen, verbunden mit einem Überwachungs -und Kontrollwahn, gepaart mit einem weltumspannenden Effizienzdenken, werden immer offensichtlicher. Jeanne Mammen stirbt 1976, Alice Neel 1984, Walter Mattheuer 2004, mit ihnen stirbt eine Generation, die den Kommunismus noch als große Utopie und den Faschismus am eigenen Leib erfahren hat.

„Jeanne Mammen – Die Beobachterin
Retrospektive 1910–1975“
Berlinische Galerie
6.10.2017–15.1.2018

„Alice Neel – Painter Of Modern Life“
Deichtorhallen / Halle für Aktuelle Kunst, Hamburg
13.10.2017–14.1.2018

„Alice Neel – The Great Society“
Aurel Scheibler, Berlin
13.10.2017–03.02.2018

„Glanz und Elend in der Weimarer Republik“.
Schirn Kunsthalle, Frankfurt
27.10.2017–25.2.2018

Wolfgang Mattheuer
Kunsthalle Roststock
2.7.–1.10.2017