Fußnote zu ABM

Kulturförderung im Nachwende-Berlin durch das Arbeitsamt

2018:März // Annette Maechtel

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03-2018


Das Programm der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) war als eine Form der Existenzsicherung konzipiert, mit dem Ziel, die hohe Arbeitslosigkeit im Osten Deutschlands nach der Wiedervereinigung aufzufangen und Möglichkeiten der Eingliederung zu bieten.
ABM-Stellen konnten im Rahmen des „Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost (GAO)“-Programms der Bundesanstalt für Arbeit beim Arbeitsamt beantragt werden.1 Damit verbunden waren Personal- und Investitionsmittel.2 Für die Jahre 1991 und 1992 gab es für diese Förderprogramme ein Finanzvolumen von 12 Mrd. DM. Arbeitslosigkeit sowie Sitz in Ostberlin waren die Voraussetzungen, da diese Gelder als kurzfristig verfügbare Mittel für die neuen Bundesländer gedacht waren. Um eine schnelle „Beschäftigungswirksamkeit“ zu erreichen, wurde auf langwierige Prüfungen einzelner Investitionsvorhaben verzichtet. Über eine Vereinsstruktur konnten auch ansonsten nicht-institutionalisierte Initiativen formal als Arbeitgeber fungieren.3 Das Sozialpädagogische Institut (SPI)4 kam in einer „Kulturanalyse Ost“ von 1993 zu dem Ergebnis, dass 90 Prozent aller in Berlin (Ost) seit 1990 entstandenen kulturellen Projekte personell durch AB-Maßnahmen finanziert und 80 Prozent der Nebenkosten aus dem „Arbeitsmarktpolitischen Rahmenprogramm Berlins“ getragen wurden.5Einer Erhebung des Kulturbüros Mitte zufolge waren 1993 im Bezirk Mitte alleine 1426 ABM-Stellen im kulturellen Bereich vergeben worden.6Das Tacheles hatte beispielsweise 45 ABM-Stellen7 und ab 1992 wurden auch Botschaft e.V. durch sechs ABM-Stellen für die Bereiche „Öffentlichkeitsarbeit“, „Kontakte“, „Finanzen“, „Baumaßnahmen“ und „Gestaltung des Wohnumfeldes“ unterstützt.8 Botschaft e.V. wurde unter „Freie Gruppen“ mit dem Arbeitsschwerpunkt „Alltagskultur“, die laut SPI etwa 10 Prozent der Ostberliner Kulturprojekte in freier Trägerschaft ausmachten, in der erwähnten „Kulturanalyse Ost“ vorgestellt.9 Als „Leistungen“ der Gruppe werden darin „Ausstellungen, Gesprächsrunden, künstlerische Einzelveranstaltungen und Reihen zu Stadtgeschichte, Stadtplanung, Wechselbeziehungen zwischen künstlerischer und technischer Entwicklung, Prägung des Alltagsbewusstseins durch Medien, künstlerische Aktionen im Stadtraum“ gelistet. Laut SPI bildeten bei Botschaft e.V. sechs ABM-Stellen, ein befristeter Mietvertrag und eine sporadische Projektförderung die „Arbeitsgrundlage“. Neben den monatlichen Bezügen gehörten Investitionsmittel für die Grundausstattung des Arbeitsplatzes dazu. Botschaft e.V. konnten darüber die Kosten für beispielsweise Faxgerät, Computer oder auch einen Beamer finanzieren. Philip Scheffner hebt hervor, dass diese Investitionsmittel zentral für die Arbeit von Botschaft e.V. waren.10 1992 sind nach einer groben Hochrechnung zwischen 120 bis 140 Millionen DM in ABM-Maßnahmen im Ostteil von Berlin investiert worden.11 Jedoch waren die ABM-Fördermittel nur als zeitbefristete Förderung geplant und konnten sich nur in einzelnen Fällen in eine dauerhafte Senatsförderung (wie bei den Kunst-Werke) umwandeln. Die ABM-Beantragung wurde maßgeblich u.a. auch durch den Verein Förderband e.V. unterstützt,12 der seit der Gründung 1989 kulturpolitisch wirksam war, um übergreifende Strukturen zu schaffen.13 Förderband e.V. verteilte keine Gelder, sondern verwaltete arbeitsmarktpolitische Maßnahmen. Im ­bildlichen und konkreten Sinne sollte der Verein Projekte befördern, nicht aber selbst betreiben.14 Konkret hieß das, als Beschäftigungsträger die AB-Maßnahmen zu beantragen. Durch diesen infrastrukturellen Ansatz erhoffte sich der Verein „Synergieeffekte“15, die beispielsweise in Form von gemeinsamen technischen Investitionen realisiert wurden und den Erhalt der temporären Projekte ‚langfristig‘ sichern sollten.16
In diesem ABM-Rahmen entstanden neben Kulturprojekten auch wissenschaftliche Studien wie beispielsweise die Studie „Stadtkultur Mitte“, die den Ist-Zustand der vorhandenen kulturellen Infrastruktur sowie den Wandel im Projektzeitraum erfasste.17 Sie kam zum überraschenden Ergebnis, dass die Bundesanstalt für Arbeit, über die die ABM-Stellen bewilligt wurden, „indirekt zum Kulturförderer“ geworden war.18 Dadurch konnte sich die Kulturszene trotz Kürzung der öffentlichen Mittel für Kulturförderung (im Vergleich zu den aus jeweils unterschiedlichen politischen Gründen, aber doch stark subventionierten Kulturbereichen in Ost- und Westberlin vor der Wiedervereinigung) ausdifferenzieren. Insofern haben die bezirklichen Arbeitsämter durch ihre arbeitsmarktpolitischen Entscheidungen nicht unwesentlich über den Handlungsspielraum von Kulturarbeit und Kulturpolitik im Bezirk entschieden.

1
Vgl. Deutscher Bundestag, Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage von PDS zur Flexibleren Gestaltung von Förderprogrammen, Drucksache 13/1250 vom 02.05.1995, online: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/13/012/1301250.pdf [Stand 25.07.2017].
2
Das Arbeitsförderprogramm des Bundes sah bei Hochschulabschluss zwei Jahre Förderung nach dem BAT 2a-Satz sowie 100 % Sachmittelförderung vor. Diese Stellen waren auf zwei Jahre befristet, eine Verlängerung erst wieder nach einjähriger Arbeitslosigkeit möglich.
3
Die Beantragung der Fördermittel war in den Anfangsjahren besonders niederschwellig hinsichtlich der bürokratischen Abläufe. Auch konnten kleine Träger unter zehn Stellen ABM-Stellen beantragen, auch dies änderte sich später. Vgl. Toni Steinmüller als Geschäftsführerin von Förderband e.V. im Telefonat mit der Autorin am 26.06.2017.
4
SPI war eine ursprünglich West-Berliner Institution, die bereits Erfahrungen mit der Hausbesetzerszene im West-Berlin der 1980er Jahre in der Beantragung von stadtpolitischen Förderprogrammen gesammelt hatte und grundsätzlich für eine sozial orientierte Stadtpolitik stand. Die spätere GSE entwickelte sich aus der SPI.
5
SPI Service Gesellschaft Berlin, beauftragt von der Senatsverwaltung für Arbeit und Frauen (Hg.): Kulturanalyse Ost-Berlin, Berlin 1993, S. 5.
6
Kulturbüro Mitte: Ergebnisse des Infopott-Fragebogens mit Stichtag vom 22.03.1993, Archiv der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Archiv Demokratischer Sozialismus, Ablieferung Kulturinitiative 89, Alt-Signatur 2008 –III – S/9 – S 98.
7
Vgl. Bezirk Mitte von Berlin, Protokoll 3. Sitzung des Ausschusses für Jugend, Familie und Kultur am 09.12.92, Top 4, Landesarchiv Berlin, D-Rep 050-01, Nr. 131.
8
Vgl. Protokoll Plenum von Botschaft e.V. vom 30.04.1991, Privatbestand Philip Scheffner, Berlin.
9
SPI 1993, S. 31.
10
Philip Scheffner, Botschaftsmitglied 1990–1996, im Gespräch mit der Autorin am 3. Mai 2013 in Berlin.
11
Katja Jedermann, Bärbel Mann et al.: Metropole ohne Milieu? Untersuchungen zu Problemen der Kulturarbeit in den Bezirken Ost- und West-Berlins, hg. von Zentrum für Kulturforschung im Auftrag des Senators für Kulturelle Angelegenheiten des Landes Berlin, Bonn 1993, S. 74.
12
Nicht nur Förderband e.V. agierte als Zwischenträger, sondern auch andere Vereine wie beispielsweise im Theaterbereich Theaterloge e.V. Jedoch war Förderband e.V. der größte Trägerverein, der als Netzwerk fungierte.
13
Als eine der ersten Vereinsgründungen im Ostteil der Stadt wurde am 06.02.1990 Förderband e.V. offiziell gegründet. Katrine Cremer und Matthias Büchner: Soziokultur und freie Kulturarbeit, in: Evangelische Akademie Loccum (Hg.): Loccumer Protokolle, Loccum 1990, S. 179–183, hier S. 181.
14
Katrine Cremer war Gründungsmitglied von Förderband e.V., zitiert in: Ulrike Steglich (Hg.): Wildwuchs. 1991–1996. Jedes Chaos hat seine Ordnung, Berlin 1996, o. S.
15
Dietrich Petzold, in: ebd.
16
Nach Auslaufen der ABM-Stellen wurden ab 2008 im Rahmen der Initiative Kulturarbeit in Berlin 300 überbezirklich verfügbare Personalstellen für die infrastrukturelle Unterstützung von Kulturstandorten durch das neu aufgelegte Förderprogramm „Kommunal Kombi“ im Rahmen der Initiative Kulturarbeit Berlin über Förderband e.V. bewilligt. Dieses Programm lief 2011 aus und wurde als „Bürgerarbeit“-Programm mit nur noch einem Jahr Laufzeit und schlechterer Bezahlung fortgesetzt. Auch dieses Folgeprogramm lief nach 2013 aus. Stattdessen gibt es seit 2014 das bezirklich geförderte FAV (Förderung von Arbeitsverhältnissen)-Programm, das auf nur 9 Monate beschränkt ist. Aus diesem Programm hat KuLe aktuell eine Stelle bewilligt bekommen. Deutlich ist, dass die personelle Unterstützung sich zusehends verkürzt und deutliche Abstufungen erfährt. Vgl. dazu auch Kristine Schütt: Am Limit, in: SOZIOkultur, 25. Jg., Nr. 3, 2015, S. 32.
17
Durch den Stellenabbau gab es viel hochqualifiziertes Personal, das über die ABM-Stellen eingestellt werden konnte. Die promovierte Kulturwissenschaftlerin Annette Mühlberg wurde mit der Studie beauftragt, die über eine ABM-Stelle von Januar 1995 an für vier Jahre finanziert wurde. Auf Grundlage einer kultursoziologischen Aufarbeitung sollten Perspektiven für die Planungs- und Strategieebene der kommunalen Kulturarbeit im Bezirk Mitte erarbeitet werden, da „die überlieferten Begriffe der Kulturarbeit den neuen Anforderungen nicht mehr gerecht wurden“ und es „mit herkömmlichen Instrumenten nicht mehr möglich erschien, die Entwicklungsprozesse der Kulturarbeit im Bezirk Mitte wirkungsvoll zu beschreiben“. Vgl. Bezirksamt Mitte von Berlin, Kulturbericht 1998.
18
Annette Mühlberg: Zur Situation und zu den Perspektiven bezirklicher Kulturarbeit: in: Kulturamt Mitte 1999, S. 127–143, hier S. 133; vgl. auch ebd. S. 25.