One Night Stand

Erotica

2018:März // Stephanie Kloss

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03-2018

Darf man das überhaupt noch: eine Ausstellung in einem Sexshop machen mit Arbeiten zum Thema? Gerade jetzt?

Wir, (zwei Frauen), konnten es nicht allen recht machen. Die einen vermissten ein diskursives Konzept, die anderen eine Stellungnahme zum Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes oder zum „Wedeln“ der Filmindustrie, manche bemängelten gar die schlecht gekleideten Besucher der Ausstellung.
Doch den meisten schien das Ambiente gefallen zu haben. Ein leuchtend rotes, großes Herz im kalten Dunkeln, darauf konnten sich viele einigen, das zog an. Eine hysterische Menschentraube sammelte sich am frühen Abend vor dem „Erotica“, im Hintergrund schimmerte verlassen die Volksbühne, drinnen ging gar nichts mehr.
Die Erwartungshaltung, zu einem kulturellen Event einfach so in einen Sexshop zu gehen, schien riesig. Zugleich geheimnisvoll und cool, ohne Debatte, Scham oder Vorhang.
Kunst von 27 Künstlern gab es auch, für jeden Geschmack war etwas dabei: viel nackte Haut, Performance und Lesung, Selbstbespiegelung, Ironie und kritische Ansätze, nur die konnte leider niemand sehen. Das war aber auch irgendwie egal. Es war voll, es war warm, es gab Bier und Wein und tatsächlich waren die meisten schon mal da im „Erotica“. Nur nicht alle zusammen. Allein oder zu zweit waren sie da, hatten etwas gekauft, für sich, den kleinen Maxim oder andere, waren im Kino, in einer der Kabinen, im Seitensprungzimmer, das 20 Euro für anderthalb Stunden kostete, oder ließen sich an der Stange was vortanzen. Nun, da alles ausgeräumt war, man nichts visuell Anreizendes außer den anderen, vermummt in dicke Daunen, in der Masse wahrnehmen konnte, kam es zu Irritationen. Das Spektakel war auf einmal der Zuschauer, gut oder schlecht angezogen, ziemlich real und echt, irgendwie lebendig. Die Stimmung war heiter, teils melancholisch, ja so war es früher in Mitte in den 90ern … der Abend ein voller Erfolg. Sex sells. Immer noch.
Zwei überregionale Zeitungen schrieben über das Event, die BZ schickte um 22.10 Uhr einen Liveticker: „Riesiger Auflauf vor Sexkino Erotica! Grund ist kein außergewöhnliches Programm in den Solokabinen, sondern Kunst. Das Kino ist eigentlich geschlossen. Aber bevor der neue Mieter mit dem Umbau beginnt, gibt es eine Ausstellungseröffnung mit über 20 Künstlern.“
Es heißt, 1899 habe das erste Sexkino in Berlin eröffnet, in der Münzstraße in Mitte, mit 158 Plätzen. Gezeigt wurde weniger Sex als Striptease. Die ersten Sexkinos gab es erst 1968 in Dänemark, in den 70ern folgten die Vereinigten Staaten. Dort hatten Pornokinos vor allem durch legendäre Werke wie „Deep Throat“ ihre Blütezeit. Heute macht die Pornofilmindustrie angeblich mehr Umsatz als Hollywood.
In den Regalen des „Erotica“ stapelten sich die Filme der Produktionsfirma Hustler, die „Desperate Housewhores“ zum Beispiel. Auch deutsche Produktionen liefen gut, etwa die Serie „Ich bin jung und brauche das Geld“ oder die Streifen der Pornodarstellerin Vivian Schmitt.
Das hört sich alles harmlos an, gibt es in Berlin sowieso ganz andere Veranstaltungen wie Gegen, Pornceptual, Buttons, Herrensauna, Fausthaus, Sneakersox und was nicht alles. Es gibt SM-Studios, den Puff, VR und das Internet, Porno überall und für alle noch erdenklichen Vorlieben. Und es gab eben das „Erotica“ und seinen Slogan: „Einzig und nicht artig“. Doch Mitte möchte heute artig sein. Das „Erotica“ muss schließen, nicht weil etwa der Besitzer des Hauses wechselt oder die Miete nicht mehr bezahlt werden kann, sondern ganz einfach, weil man das Gewerbe dort nicht mehr haben möchte. Es wird gemunkelt, ein Künstlerbedarf übernehme ironischerweise die Geschäftsräume.
„Ey Mädels (!), ihr braucht mir nix von Gentrifizierung zu erzählen, det wes ick allet.“ Es hatte etwas gedauert, bis Mario, der Besitzer des „Erotica“, sich dazu bereit erklärte, dass wir in seinen leeren Räumen die Ausstellung machen konnten: „Nur für einen Abend! One Night Stand!“ Im Gegenzug halfen wir beim Ausräumen und bekamen wiederum Sextoys von ihm geschenkt. Als er das Ausstellungsplakat sah, das den Pole-Dance-Raum zeigte, konnte er seine Tränen kaum zurückhalten.
Mario, 50, war früher Tae-Bo-Trainer. Er übernahm 1999 das Geschäft: „Nach der Wende war’n wir alle neugierig“, sagt der Ostberliner. Im Westen der Stadt flackerte in den 80ern ein Rotlichtkino neben dem anderen, in Ostberlin durften sie erst nach dem Mauerfall aufmachen. Hier war es schwierig, Lizenzen zu bekommen, während im Westen noch Altzulassungen galten. Trotzdem gab es einen kleinen Boom im Osten“. Heute gibt es Pornhub und Co. Dennoch, sein Laden war gut besucht, bis zuletzt. Er schließt ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem es sogar möglich erscheint, dass solche Orte für Sex und Triebabfuhr demnächst wieder mehr Zulauf bekommen.
Draußen vor der Ladentür hing bis zum Schluss auch ein Gemälde. Es zeigte eine Frau in Lederstiefeln, die ihren nackten Hintern in die Höhe reckte. Kürzlich kam noch das Ordnungsamt vorbei: Das Geschlechtsteil müsse abgedeckt werden, hieß es. „Ich habe nichts abgeklebt.“ lächelt Mario, in der Kunst gebe es nun mal keine Pornografie. Bilder mit nackten Damen werden heute sogar im Museum abgehängt.
An Stelle des Gemäldes zeigte ein Künstler am Abend der Ausstellung seinen ganz eigenen Porno: es war eine Kurve, seine Kurve bei artfacts, abfallend, aufsteigend, noch mehr abfallend. Sinnbildlich für alles Mögliche. Die Höhepunkte waren mit Glühbirnen markiert, ganz altmodisch, wie auch das Erotica. Doch das „Erotica“ soll an anderer Stelle wiedereröffnen. Geht es nach Mario, werden wir die Eröffnungsveranstaltung bestreiten. Das Spektakel hat ihn begeistert.
 
„Erotica“, Ausstellungseröffnung, Foto: Julie Becquart