Maschenmode

2018:März // Peter K. Koch

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03-2018

Rammböcke
Rumgeblöke
Rammblock
Kunstbock


Fünfeinhalb Monate bevor die Neunziger endeten, kam ich von Köln nach Berlin. Gerade noch rechtzeitig. Ich kannte so gut wie niemanden. Erste Wochen in der Wohnung eines alten Freundes. Urbanstraße, Neukölln. Rattige Gegend. Ich hatte gerade ein Studium beendet, hatte mich schleichend zum Künstler entwickelt, wollte das wahrscheinlich immer schon, wusste es wohl nur nicht. Was ich allerdings ziemlich sicher wusste, war, dass ich aus Köln wegwollte. Zu eng, zu teuer, zu deprimierend. Es musste nicht unbedingt Berlin sein, ich wusste aber auch nichts anderes. Hamburg, München, Frankfurt, lauter Katastrophen. Fand’s dann auch sofort super und war vielleicht acht Wochen in der Stadt, als da eines Abends auf der Torstraße/Ecke Friedrichstraße dieser leerstehende Laden war. Der Tipp einer Freundin. Zugegebenermaßen war ein leerstehender Laden zu der Zeit nichts Besonderes. Die halbe Stadt stand ja noch leer. Ich war wohl auch auf der Suche nach einem Ort, an dem man was machen konnte. Sah jedenfalls so aus, als würde der hier schon länger leer stehen. Von außen nur Staub und Verbauung. Trübe Scheibe vor hässlicher Einrichtung. Über der Front ein Namenszug aus einzelnen abgerundeten Holzbuchstaben: M A S C H E N M O D E. Sah irgendwie fehlplatziert aus. Auf den Namen konnte ich mir keinen Reim machen. Modemaschen kannte ich, aber keine Maschenmode. Es handelte sich um einen Laden, der Anfang bis Mitte der Neunziger Strickmoden verkauft hatte, kam dann später raus.

Ich hatte zu der Zeit verschiedene Videosequenzen gemacht und schlug der Freundin vor, den Laden für eine Woche zu mieten, um eine 24/7-Projektion auf die Scheibe zu machen. Fand sie auch direkt gut. Ging dann alles schnell. Vermieter angerufen, wollte 150 Mark. Strom gab es nicht, Heizung gab es nicht. Drinnen muffig und verrottet, aber gerade noch ok. Die Scheibe geputzt, Strom vom Nachbarn besorgt, die Projektion eingerichtet und eingeladen: 19. Oktober 1999, 20 Uhr, Peter K. Koch und Stephanie Kloss, Programm.

Viele Leute kamen nicht, aber zum Ende der Woche haben wir eine Abschlussparty gemacht. Da wurde getanzt und getrunken, plötzlich alle in aufgekratzter Stimmung. Auch mein Neuköllner Freund war da, Guido W. Baudach. Wir fanden den Raum dann beide sehr gut und günstig. Also kam die Idee auf, aus der einen Woche drei Monate zu machen. Er wollte allerdings eher einen kuratierten Laden machen, in welchem man die besten zehn Produkte oder so was Ähnliches verkaufen könnte, also sowas wie einen Shop mit wechselndem Programm, Produkte und Kunst. Die Idee war noch etwas schwammig. Ich hatte mehr Bock auf Ausstellungen, ich wollte als Künstler sichtbar werden und Leute kennenlernen. Wir haben uns dann darauf geeinigt, mit drei vierwöchigen Ausstellungen zu beginnen, um dann zu sehen, was weiter passiert. Die erste Ausstellung fand mit Marcus Kaiser statt. Noch immer ohne eigenen Strom, aber mit viel Energie. Kurz danach waren wir dann zu dritt im Team, Martin Germann kam hinzu. Es folgten zwei weitere Ausstellungen und nach Ablauf der drei Monate wurde die Vereinbarung getroffen, den Laden dauerhaft anzumieten. Guido sollte und wollte das operative Geschäft mit dem Ziel übernehmen, ein wöchentliches Ausstellungsprogramm zu organisieren. Ich wollte im Hintergrund wirken, Kontakte herstellen, die Website betreuen und als Künstler arbeiten.
In den folgenden Wochen und Monaten wuchs langsam die Sichtbarkeit, relevante Leute fingen an, den Ort wahrzunehmen, neue Künstlerinnen und Künstler stießen zum Umfeld dazu, Suse Weber, Thomas Zipp, einige andere. Eröffnung war jetzt generell jeden Freitag. Barbetrieb im Flur, die Einnahmen für den laufenden Betrieb. Im ersten Jahr fanden so zirka 30 Ausstellungen statt. Vielleicht ein paar mehr oder ein paar weniger. Ein echter Crashkurs in zeitgenössischer Kunst für den künftigen Galeristen, der sich nach und nach mit der Idee anfreundete, dass es ausschließlich um Kunst gehen könnte und sonst nichts. Lässt man dieses erste Jahr Revue passieren, dann gab es da ein paar richtige Highlights, aber auch einen ziemlichen Haufen fauler Eier. Es musste halt jede Woche pünktlich geliefert werden. Deadline Freitag.

Nach Abschluss des ersten kompletten Jahres kamen Anfang 2001 weitere Künstler dazu, Hofer, Dahlem, Butzer, Selg und andere. Maschenmode hatte sich zu einem Treffpunkt für die Szene entwickelt, möglicherweise zu dem Treffpunkt für die Szene. Funktionierte wie ein Schwamm. Von überall aus Deutschland kamen neue ambitionierte Akademieabsolventinnen und -absolventen nach Berlin. Aus Hamburg, aus München, aus Frankfurt, aus Braunschweig, aus Was-weiß-ich-woher. Im Gegensatz zu heute war ja alles viel kleiner und übersichtlicher. Es gab vielleicht 20 Projekträume in der Stadt, von denen fünf bis sieben wirklich relevant waren. Dort traf man sich. Mit dieser zweiten großen Welle der Neuankömmlinge, zu der auch wir gehörten, kam spürbar Substanz dazu, was auch dazu führte, dass der Ton etwas rauer wurde. Zukünftige Positionskämpfe deuteten sich langsam an.

Im Winter 2001 folgte dann die Maschenmode-Gruppenreise nach Łódź. Ein verlängertes Wochenende mit ca. 25 assoziierten Künstlerinnen und Künstlern in die tiefgefrorene polnische Provinz, bei der, wie nicht anders zu erwarten, Unmengen an Alkohol konsumiert wurden, aber eben auch Gruppenpolitik im engsten Sinne gemacht wurde. Spätestens nach dieser Reise war mir klar, dass ich mit dieser Art von maskulinem Kulturdarwinismus nicht ganz so viel anfangen konnte. Von innen betrachtet muss man aber feststellen, dass es genau diese Verdrängungsprozesse waren, die den weiteren Erfolg des gesamten Projektes ermöglicht haben. Von außen betrachtet war es ein rückwärtsge­wandtes, schon in der Vergangenheit mehrfach erfolgreiches, männerbündlerisches Vorgehen, das einen verschworenen Kern von Künstlern zusammengebracht hat, der sich dann als Rammbock erfolgreich vorwärts bewegt hat. Frauen spielten lediglich eine untergeordnete Rolle, was sich mit meinem Genderverständnis schwer vereinbaren ließ. Ich war mir damals eigentlich sicher, dass dieses Thema spätestens mit den egalitären Bewegungen der Neunzigerjahre ein für alle Mal vom Tisch wäre. Das hier war für mich der lupenreine Rückfall. Eine Wiederholung männerdominierter und ausgrenzender Tendenzen der 1980er Jahre. Und wo stehen wir jetzt?

 
Peter K. Koch „Maschenmode“, 2007, Ausstellungsansicht „Der silberne Koffer“, montgomery