Whose Expression?

Brücke-Museum

2022:Mai // Anna-Lena Wenzel

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05-2022

Die Ausstellung „Whose Expression?“ im Brücke Museum war eine unbedingte Empfehlung. Ihr Ziel: die Sammlung zu dekolonialisieren, was an sich eine Unmöglichkeit darstellt, denn der koloniale Kontext, in dem die Künstler der Brücke gearbeitet haben, lässt sich nicht auflösen. Aber er lässt sich darstellen und vermitteln. Und das gelingt der Ausstellung ausgezeichnet, wenn sie auch an einigen Stellen über das Ziel hinausschießt. Schon der Einführungstext gibt die Richtung vor und schreibt aus heutiger Per­spektive problematische Begriffe wie „Primitive“ verkehrt herum, um – wie es heißt – das Lesen zu unterbrechen. In einem Glossar zum Mitnehmen werden auf informative Weise einige dieser Begriffe erläutert und in den Diskurs um Dekolonialismus eingeführt. Im nächsten Raum bedeckt ein ausführlicher Zeitstrahl die Wand, der sowohl die Biografien der Brücke-Künstler als auch den kolonialen Kontext vermittelt. Dienen diese Texte der Einführung, gibt es in der Ausstellung noch weitere Formate, mit denen eine Kontextualisierung und Kommentierung vorgenommen wird: Gespräche mit Expert*innen werden in Form von Bildschirmen an den Wänden verfügbar gemacht. Historische Fotografien von ethnologischen Sammlungen, die die Künstler besucht haben, sogenannten Völkerschauen und Eindrücken der Reisen in die damaligen Kolonien werden als Wandtapeten verwendet. Digital gibt es zusätzlich das Programm „Various Answers“, in dem einzelne Werke von Workshop-Teilnehmer*innen, die aus diversen Kontexten kommen, u.a. auf Sexismus und Rassismus befragt. Handelt es sich bei der porträtierten Frau um eine Sexarbeiterin? Wer blickt und wer wird angeblickt? Originale Kunstwerke gibt es natürlich auch – Bilder, Skulpturen, Zeichnungen und Skizzen. Der Blick auf sie verändert sich durch die Präsenz der Objekte, auf die sie sich beziehen, wie zum Beispiel die Benin Bronzen, aber auch durch die Kontrastierung der exotischen Südseebilder mit der kolonialen Realität. Dieses In-Verhältnis-Setzen hilft, der Leerstellen bewusst zu werden, die es gibt: Seien es die fehlenden Namen der Urheber der meisten Objekte, die aus den Kolonien nach Europa gekommen sind (gekennzeichnet durch „Einst bekannte*r Urheber*in), die Reduktion der porträtierten Schwarzen Menschen auf einen Vornamen, ein Mitdenken der Lebensumstände derjenigen, die bei den Völkerschauen den Blicken ausgesetzt waren, oder die Fokussierung auf das Südseeidyll aus strategischen Interessen, weil das besser vermarktbar war und man höhere Preise erzielen konnte.
Ist man am Ende der Ausstellung angelangt, schwirrt der Kopf von diesen vielschichtigen Informationen, dabei habe ich mir weder eines der Videos angeschaut noch die Gewächshaus-Bibliothek vom C&Center für Unfinished Business betreten. Auch wenn die Infos alle wichtig sind – weniger hätte gereicht, auch um den Bildern etwas mehr Raum zu lassen und darauf zu vertrauen, dass die Besucher*innen durch die Sensibilisierung am Anfang von alleine anders/ neu gucken. Der große Benefit der Ausstellung ist, dass sie neben der Grundlagenarbeit, die sie leistet, ein Gefühl für den Handlungsspielraum vermittelt, den die Künstler damals hatten. Waren sie einerseits Kinder ihrer Zeit, hätte es andererseits Möglichkeiten gegeben, aus der kolonialen Propaganda herauszutreten oder sich die Kunst der „Primitiven“ nicht nur anzueignen, sondern diese als ebenbürtig anzuerkennen. Dass die Ausstellung an einigen Stellen etwas zu aktivistisch wirkt mit ihren Vorwürfen, auch dies gehört zu den wertvollen Erkenntnissen, die sie vermittelt.
Die Begleitausstellung im Kunsthaus Dahlem kann dagegen nicht mithalten – man streift durch die rohe Architektur, zögert beim Griff zum unhandlichen Plakat, das als Flyer fungiert, geht an der Hörstation vorbei und steht vor einem Parlament der Dinge. Hier soll sich die Blickrichtung umkehren, sollen die Dinge uns anschauen, aber leider geht das nicht richtig auf, werden wir nicht konsequent genug angeschaut, denn die meisten Objekte liegen und gucken an die Decke. Die restlichen Arbeiten oben auf der Empore wirken verloren und bemüht, aber wenig zugänglich. Man muss erst den Text dazu lesen, um zu verstehen, dass es um „Verbindungen“ geht, die zwischen den Objekten und ihren Herkunftskulturen gespannt werden wollen. Das passiert so oft: dass die Kunstwerke nicht für sich sprechen oder dass man ihnen nicht vertraut bzw. dass sie überfrachtet werden mit Bedeutung. Mich lässt das oft unbefriedigt zurück. Ein weiterer Gedanke: dass ein so krasser Raum wie das ehemalige Atelier von Arno Breker eine stärkere Setzung braucht, keine Performances und Hörstücke, die einfach untergehen und keine Gegenerzählung zu etablieren im Stande sind.

„Whose Expression? – Die Künstler der Brücke im kolonialen Kontext“
Bussardsteig 9, 14195 Berlin 18.12.2021– 20.3.2022
 
Ernst Ludwig Kirchner, Tanzende, 1911, Collection Stedelijk Museum Amsterdam, Foto: Erik and Petra Hesmerg
„Whose Expression?“, Installationsansicht, Brücke-Museum, 2021, Foto: Roman März