Fragen an Marc Bausback

Dieser neoliberale Be-yourself-and-special-setz-Dich-durch-Quatsch muss dringend aufhören

2022:Mai // Christoph Bannat

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05-2022

Christoph Bannat: Woher kommst Du? Und wie ist Dein Selbstverständnis?

Marc Bausback: Ich habe ein gewisses Talent darin, relativ schnell renommierte Leute in verschiedenen Disziplinen kennenzulernen und mit ihnen zusammenarbeiten zu können, mich dann aber auch immer wieder aus diesen Kontexten selbst rauszustreichen: teilweise freiwillig und bewusst, teilweise unfreiwillig und unbewusst. Das hat etwas mit meiner Sozialisation als Klassenübergänger zu tun. Als Sohn einer alleinerziehenden Reinigungskraft und Erstakademiker in meiner Herkunftsfamilie habe ich von je her ein gespaltenes Verhältnis zu Menschen, die mit einer gewissen Selbstverständlichkeit Macht für sich beanspruchen. Ein Bewusstsein dafür habe ich aber noch gar nicht so lange. Der marxistische Schriftsteller Otto Rühle hat diese intuitive Skepsis gegenüber Autoritäten in den 1920ern als „proletarische Protestmännlichkeit“ bezeichnet. Wobei ich eben kein Arbeiter bin, sondern mentalitätstechnisch zwischen den Klassen hänge. Sozialisiert von einer Arbeiterin, ausgebildet als Architekt und arbeitend als Künstler. Klassenübergängerschaft ist im wesentlichen Orientierungsarbeit. Du bist eigentlich die ganze Zeit damit beschäftigt, Dich zu orientieren. Ich glaube, so kam ich erstmal auch zur Architektur. Diese hat zunächst einmal Orientierung im Raum bedeutet. Mein Zeichenlehrer hat dann auch noch gesagt: „Alles, was Du zeichnen kannst, besitzt Du auch.“ Ich hab dann gar nicht so viel gezeichnet, aber für mich war das eine wunderbare Werteverschiebung. Das bedeutete, ich darf die Welt besprechen und beeinflussen. Auch ohne ökonomisches Kapital. Es hat jetzt aber noch einmal 20 Jahre gedauert, um das auch wirklich so zu fühlen und reflektieren zu können. Dafür brauchte es erst ein Buch, das meine Partnerin, die Schriftstellerin Daniela Dröscher 2018 geschrieben hat: „Zeige Deine Klasse“. Damit hat sie mir gezeigt, dass wir uns als soziologische Wesen betrachten können und nicht alles individualpsychologisch begründen müssen.
Ich glaube, wir, als Kinder der Nachkriegsgeborenen, sind in diesen Selbstverwirklichungsirrsinn hineinsozialisiert worden. Und der spaltet uns. Solange der lohnabhängige Gesellschaftsteil damit beschäftigt ist, zu den Happy Few zu gehören, weil dieses Versprechen immer im Raum hängt, wird nach unten getreten und nach oben gebuckelt.
Das merke ich auch immer wieder in Kunst- und Theaterkontexten. Die sind wesentlich feudaler und kapitalistischer geprägt als die meisten nicht-künstlerischen Kontexte, die ich kennengelernt habe.
Ich glaube, die Umorientierung der Mitte von oben nach unten ist ein zentraler Mentalitätssprung den wir noch nicht geleistet haben. Dieser neoliberale Be-yourself-and-special-setz-Dich-durch-Quatsch muss dringend aufhören. Da kann die Kunst einiges lernen und für tun.
Der alte Enzensberger hat einmal gesagt: „Die Bohème sind Kleinbürger, die versuchen andere Kleinbürger zu erschrecken.“ Ich finde das nicht nur witzig, sondern es trifft einen ungeliebten Umstand der institutionalisierten Kunst- und Theaterszene: Sie ist Mittel- und Oberklasse. Ich finde Künstler*innen sollten sich bewusst machen, dass sie Kapital akkumulieren, sehr viele nicht ökonomisches, aber alle kulturelles. Solange sie das Spiel der Oberklasse mitspielen, in dem sie Distinktion als hohes Gut handeln, macht genau dieser Versuch sie dadurch zu Gesellschaftmitgliedern, die stets nach oben schielen. Genau das ist die Definition eines Kleinbürgers.
Aber um auf Deine Ausgangsfrage zurückzukommen: Meinem Selbstverständnis nach bin ich in erster Linie, was die französische Philosophin Chantal Jaquet einen „transclasse“ nennt, ein Klassenübergänger, und das prägt inzwischen alles was ich tue und sage, wie Du merkst.

Christoph Bannat: Wie kamst Du zum Schreiben?

Marc Bausback: Ich würde mich gar nicht als explizit Schreibenden bezeichnen. Ich komme, was meine Ausbildung angeht, wie beschrieben vom Raum, und die Schrift bietet, genauso wie der Raum, Orientierung.
Auch meine Bühnenbilder waren immer sehr konzeptionell geprägte Arbeiten. Ich konnte jeden Entwurf auch immer sprachlich begleiten. Ich glaube, die Kunst, die ich kann, will auch immer Verständnis produzieren. Der Versuch ist eigentlich immer, einen Zaubertrick zu vollführen und gleichzeitig zu zeigen, wie er gemacht ist. Ich brauche, wie gesagt, Orientierung und dafür erfinde, entlarve oder entdecke ich Konstruktionen. Je nachdem. Als „trans­classe“ bin ich dem Notwendigkeitsgeschmack immer näher als dem Luxusgeschmack.
Ich glaube, dass die Kunst helfen kann, uns zu orientieren und damit zu retten. Aber eben nicht die Distinktionskunst der Oberklasse, die, wie Bourdieu es bezeichnet hat, den „legitimen Geschmack“ bedient. Wenn ich also Worte benutze, dann um mir und oder anderen das klar zu machen.

Christoph Bannat: Wie sahen Deine ersten Veröffentlichungen aus?

Marc Bausback: Das ist eine sehr gute Frage. Ich habe neulich aus einem Essay von Daniela Dröscher einen 30-minütigen Film gemacht und in einer öffentlichen Besprechung der Arbeit zwischen Dani und der Publizistin Mascha Jacobs fiel ein Zitat von Gilles Deleuze: “Life is not personal.“
Das finde ich einen Megasatz. Der wird nur leider in unserem System immer krasser missinterpretiert. Die Leute sind bemüht, ihre Geschichte permanent als lineare selbstverantwortliche Erfolgsgeschichte zu veröffentlichen, auch ich. Also man hat das geschaffen und dann das Nächste und so fort. Dabei würden wir viel mehr zusammenrücken können, wenn wir dazu unser strukturelles Scheitern miteinander abgleichen. Also auch alles, was wir nicht geschafft und gemacht haben. Aber eben auch nicht als Wert, wie man das so gerne in der Kunst macht, sondern als geteilte Erfahrung in einem System, das deterministischer funktioniert, als es behauptet. Das ist mir noch nicht so lange klar. Insofern antworte ich jetzt mal so ein bisschen pathetisch: Ich komme erst langsam dahin, wirklich so zu veröffentlichen, dass ich es für andere von möglichem Wert halte.

Christoph Bannat: Deine Ballhaus-Aktion behandelt Begriffe wie Volk, Nation, Besitz oder Heimat.
Wie sah die Performance aus? Ist Performance überhaupt die richtige Bezeichnung?

Marc Bausback: Die „Bizarrerien“ waren eine Serie von sieben Plakaten, die eine Wieder- und Erstaneignung von Begriffen der Rechten darstellen. Da wird z.B. „der große Austausch“, also eine rassistische Wortschöpfung, als eine Art Schenkshow beworben und uminterpretiert. Dani und ich wurden vom Ballhaus Ost gefragt, ob wir zu einem Festival über FanFiction eine Performance beisteuern wollen. Wir waren bereits dabei, diese Textfiguren zu entwickeln und fanden es aus einer Theaterperspektive heraus interessant, einfach nur die Plakate auftreten zu lassen. Also Wesen, die erst im Lesen vor einem entstehen. Wir haben dann das gesamte Theater einfach mit diesen Textwesen zuplakatiert und selbst nichts gemacht.
Christoph Bannat: Dekonstruierst Du diese Begriffe, um sie neu zu besetzen?

Marc Bausback: Diese Arbeit ist ja 2019 entstanden, also lange vor der Bundestagswahl. Schon damals war aber deutlich, dass rechte Vordenker wie Götz Kubitschek es auf die Aneignung der Alltagssprache abgesehen haben. Er hat damals beispielsweise schon dafür geworben, den Begriff der Normalität zu okkupieren. Was ja dann im jüngsten Bundestagswahlkampf der zentrale Kampagnenbegriff der AfD wurde. Ich wusste, dass das kommen würde, weswegen ich bei den „Great Expectations“ auch das „Normalmonster“ entwickelt habe. Das fand ich super, noch vor der AfD im Stadtraum den Begriff der Normalität zu besetzen. Das hat ja auch geklappt, kurz bevor sie ihren Normalitätsquatsch hängen konnten.
Aber du hast ja nach den „Bizarrerien“ gefragt. Die Begriffe „Heimat“, „Nation“, „Volk“, „Alternative“ und „Pluralistin“, „der große Austausch“ und „Identitär“ sind bei uns Jahrmarktsfiguren, die laut sind und denen zugleich die Schärfe genommen wird. Im Grunde fahren wir mit diesen Arbeiten die gleiche Strategie wie die Rechten. Wir eignen uns Begriffe an und laden sie anders auf, mit humoristischem Pathos. Das ist übrigens auch das Einzige, was die Rechten technisch einfach echt nicht beherrschen: Humor. Und Schönheit.

Christoph Bannat: Danach bist Du in den öffentlichen Raum gegangen. War die Lockdown-Situation der Anlass, Dein Publikum zu suchen?

Marc Bausback: Ja, der Lockdown war auf jeden Fall die Begründung, die ich dem Fonds Darstellende Künste gegeben habe, der das alles finanziert hat. So eine Kampagne ist ja nicht billig. Der Lockdown hat ja schon das systemische Problem der ungerechten Vermögensverteilung geradezu blank gelegt und ich wollte auf jeden Fall etwas Motivierendes in die Straße hängen, das eine Vorstellung davon gibt, wie es anders sein könnte. Als ich die Litfaßsäule vor Julia Stoschecks Galerie mit den „Erleichterten Erben“ plakatiert habe, die ihr ganzes Vermögen verteilen, sollte das übrigens als Motivation in alle Richtung gemeint sein. Ich glaube, man muss die Reichen und Vermögenden direkt ansprechen und benennen. Teil ihrer Strategie, den Status quo zu stabilisieren, ist ja, sich auf Privatheit zu berufen. Geld und Besitz sind aber nichts Privates, sondern etwas Politisches. Das ist auch so ein Mentalitätssprung, den wir noch nicht gemacht haben. Aber ich glaube, der wird kommen. Eine Ahnung davon hat man ja schon jetzt, wo der Staat im großen Stil Geldverteilungen vornimmt. Ich habe den Autor und Dramaturgen Mehdi Moradpour einmal sehr eindrucksvoll in einer Gesprächsrunde erlebt, wo er sanft und freundlich darauf insistiert hat, dass man viel mehr über die Reichen statt über die Armen sprechen muss. Von denen weiß man nämlich viel weniger.
Christoph Bannat: Die Begriffe waren Mittelklasse, Erben, Selfmademan, Monster und Investoren. Gibt es einen gemeinsamen Nenner? Eine Haltung im Umgang mit den Begriffen, die sich aus Klang, Dekonstruktion der Syntax und grafischen Ordnungen ergibt?

Marc Bausback: Formal kann ich sagen, dass ich große Freude an Alliterationen habe. Das merkt man in den Arbeiten sicher klar. Sie stehen in der Tradition früher Jahrmarktplakate, leben also von der Superlative. Auch wenn diese im Grunde kindliche Sprache des Staunens historisch oft rassistisch und für alle erdenklichen Formen des Otherings instrumentalisiert wurde, und also sehr behaftet ist, kann man von diesem Duktus etwas lernen und ihn anders benutzen. Es geht irgendwo immer ums Lernen. Das ist bei einem „transclasse“ ein fortwährender Vorgang. Du hast laufend das Gefühl lernen zu müssen, um einen Mangel an Tradition auszugleichen, weil du nicht selbstverständlich etwas aus deiner Herkunft fortschreiben kannst.

Christoph Bannat: Das sind ja Plakate für etwas, deutlich in Deiner Ballhausaktion, wofür aber ist dieser Aufruf zum Eintritt in welche Wunderkammer, welche Medicine-Show? Oder ist es eine Form von Moritaten-Gesang ?

Marc Bausback: Als ich fünf Jahre alt war, stand ich im Sandkasten und mein bester Freund drosch auf mich ein, während ich stoisch zu meiner Mutter schaute. Ich würdigte ihn keines Blickes, als wäre er gar nicht da und irgendetwas anderes fände statt. Meine Mutter schrie gemeinsam mit der Mutter des Jungen im Chor: „Schlag zurück, warum schlägst Du nicht zurück?“ Als er sich ausgetobt hatte, stand ich immer noch und sagte zu den Frauen: „Ich kann ihn doch nicht schlagen, er ist doch mein Freund.“
Ich glaube, von dieser Mischung aus Blödheit, moralischem Anspruch und Ignoranz gegenüber den Machtverhältnissen hab ich immer noch etwas. Wenn es nach mir ginge, würde sich die ganze Welt schnellstmöglich in einen Hippiezirkus verwandeln und alle sich mit Rücksicht, Brüder- und Schwesterlichkeit begegnen. Aber die zynischen Realisten haben ja immer noch das Ruder fest in der Hand. Das gilt es zu ändern.

Christoph Bannat: Was planst Du als nächstes? Und an welchem Ort ?

Marc Bausback: Als Nächstes mache ich mit Daniela ­Dröscher einen Film: „Orlando – eine kurze Geschichte der Mittelklasse“ mit Hilfe des Haupstadtkulturfonds und dann werden wir eine Plattform für die „transclasses“ entwickeln. Das dauert aber noch. Ich hoffe, dass wir im Laufe des Jahres dann auch online gehen. Die Domain ist jedenfalls schon reserviert: transclasse.de.


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alle Fotos: Marc Bausback, „Great Expectations“, www.greatexpectations.de