Wo ich war

2022:Mai // Esther Ernst

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05-2022

CO-HABITATION 27. Juni 2021
Silent green, Berlin Wedding

Cohabitation ist ein Manifest für Solidarität von Tieren und Menschen im Stadtraum. Krööt Juurak & Alex Bailey zeigen Performances, die sie exklusiv für Haustiere veranstalten. Das ist verstörend und beeindruckend. Daneben dokumentiert ein Raum die Ablösung der Nutztiere aus der Stadt, hin zur Zunahme der Haustierhaltung samt riesiger Fleischindustrie für Tierfutter. Cyprien Gaillards Halsbandsittichvideo aus Düsseldorf, ein Raumexperiment mit einer vollumfäng-lichen Demokratie für Tier- und Menschenrechte, ein Bauprojekt unter Einbeziehung von lebenden Bäumen und ihren Wuchsverhältnissen, die Forderung nach Zoookratie, Untersuchungen und Kartierungen zu Füchsen, Hasen, Biebern, Waschbären und Vögeln in Berlin, Pythons in Bangkok, Tiere im Zoo, Tauben und Züchter in Beirut, die Renaturierung der informellen Zeltstadt von Transitmigrant*innen in Calais und noch viel mehr zum Wundern und Nachdenken. Alles zugänglich da!



SONAMBIENTE BERLIN TXL 2. Sept. 2021
Klangkunst zum Abschied von TXL
Flughafen Tegel, Berlin

Das Beste war die Wurst-Bier-Bude auf dem langsam zuwuchernden Hexagon-Parkplatz. Ansonsten wars trübe. Trostlos. Natürlich, das Erlebnis durch die verwaisten Gänge ohne jedes Ziel, einer Werbung, einer Aufforderung oder andere Muntermacher zu schlendern, ist groß. Dazu Blixa Bargeld’s Ausrufen von verschobenen Flügen, fantasievollen Reiserouten und dubiosen Koffern zuzuhören, nett. Irgendwie kommen die 5 Positionen aber nicht gegen diesen Ort an. Vielleicht gerade weil sich fast alle auf den Flughafen beziehen, wirkt die Kunst so pupsig. Und von experimenteller Klangkunst ist gar nicht die Rede. Laurie Andersons Mond-Sterne-3D-Brillen-Welt find ich enttäuschend nichtig. Hans sagt, die Technik kommt verfrüht auf den Markt, die kann noch nix. Aber inhaltlich wars auch dünn. Fühlt sich dann schnell nach Kirmes an.



BALTHAUS FRITZ 16. Sept. 2021
Poststudio
Vexer Verlag, Berlin

Präzise, konzeptuelle und sinnliche Arbeiten. Die Meisten machen schmunzeln. So zum Beispiel seine nüchterne Dokumentation von grauen Teppichen, Tapeten oder Wandaufbauten diverser Kunstmessen, die Balthaus in Heftform aufgeklappt auf Boden und Wand präsentiert (1999 hat man auf der ART COLOGNE tatsächlich noch Raufaser verwendet!). Oder seine barock drapierten Schlüsselbunde, Nachahmungen aus dem Schloss Wiepersdorf (Hausmeister bestochen). Oder die Bohrmaschine, die als drehende Skulptur präsentiert, und dabei vom eigenen Licht beleuchtet wird. Oder die Bohrlöcher in der Wand, die er aus einem anderen Ausstellungsraum übernommen und hier fein säuberlich installierte. Und so weiter. Alles schön gestaltet in der nigelnagelneuen Monografie und als gelungene Ausstellung im Vexer Verlag.



DOLL TATJANA 28. Okt. 2021
Was heißt Untergrund
KINDL - Zentrum für zeitgenössische Kunst, Berlin

Uff, Power. Ich mag Doll’s potente Bildwelten. Ich bewundere ihren Mut für das Einfache. Ihre Uminterpretationen von Piktogrammen und ihre Kombinationen von Bildsprachen, genauso ihre borstigen Wiederholungen in Serien. Alles in gross und grob gemalt. Voller Experimentierfreude und Risiko. Das kann die. Schwarzes X auf Orange. Blauer Engel Umweltsiegel auf angeranzter und abgespannten Leinwand mit unzähligen Arbeitsspuren. Eurofighter, Euofighter als Animation (funktioniert für mich null, ihre Animationen wirken total pupsig neben ihrer Malerei), andere technische Geräte, spirituelle Wesen aus Stein, Popkultur, Werbung, Kunstgeschichte, alles verleibt sie ein und spuckt es in Doll-Sprache wieder aus.



SCHMIT TOMAS 5. Nov. 2021
Sachen machen
Kupferstichkabinett Berlin

Herzlich gelacht habe ich über Schmits Schwabbelphase, bei der er irgendwann in den 80er Jahren seine mit Lineal und Zirkel gefertigten Zeichnungen satt hatte und sich mehr Improvisation und Spontanität wünschte und dann blätterweise Fantasiefiguren und Tiere zeichnete. Überhaupt begeistern mich seine vielfältigen Zeichnungsansätze: einerseits die Lust am Spielen, an den Worten, an der Bildersprache, dann seine gedanklichen Aufzeichnungen, sein zeichnerisches Deklinieren von Situationen, oder die seriellen Welterklärungen, also durch Zeichensysteme sich die Welt erklären, die Ver- und Entwendung von Diagrammen, usw. Alles toll. Manches find ich schwieriger zugänglich, anderes fast schon wieder kindisch. Alles prima vermittelt. Obwohl die Zeichnungen im Kupferstich tendenziell öde präsentiert werden. Warum eigentlich?



FREISTAAT BARACKIA 29. Dez. 2021
Landscapes of Liberation
Kunstraum Kreuzberg Bethanien Berlin

Barackia ist ein von Wanderarbeiter*innen und entrechteten Stadtbewohner*innen 1872 in Kreuzberg gegründeter Freistaat. Darüber verliert die Ausstellung - trotz Ankündigung - allerdings kein einziges Wort!?! Davon angelockt und gleichsam enttäuscht, frage ich mich, wie man selbstbestimmte Räume, freie Gemeinschaften, visionäre oder autarke Lebensformen ausstellt. Auf keinen Fall, in dem man z.B. drei Wagen einer Wagenburg in den Ausstellungsraum zerrt und glaubt, dass sich so ein autonomes Leben vermittelt. Ausstellung ist doch das komplett falsche Format. Spaziergänge im urbanen Raum, Begegnungsmöglichkeiten vor Ort hätten das Anliegen adäquat vermittelt. Video-, Sound-, Text-, und Fotodokumentationen können vermitteln, aus- und abgeschnittene Objekte wirken dagegen sehr stümperhaft und unbeholfen.



BOGGASCH FRAUKE / RAHN AYUMI 6. Jan. 2022
night parade
Kunstverein Neukölln

Toll, da kommen zwei Künstlerinnen zusammen, die ganz dicht beieinander sind und dennoch zwei eigenständige Sprachen sprechen. 100 Geisterzeichnungen hängen fantastisch durchmischt an der Wand und hüpfen leichtfüssig durch die Klaviatur der vielbeschworenen japanischen Dämonen. Bin begeistert. Und möchte auch so zeichnen können.



ETHNOLOGISCHES MUSEUM 16. Jan. 2022
& MUSEUM FÜR ASIATISCHE KUNST
Humboldt Forum Berlin

Uff, ist der Sandstein der Schlossfassade echt aufgemalt? Gehört das auch zur Rekonstruktion? Und die Kunst am Bau, (Dellbrügge & de Moll?!?), ähm, versteht das eine*r? Wir retten uns schnell in die ethnologische Sammlung, wo am Eingang ein Begleitheft zur postkolonialen Provenienzforschung ausliegt. Schlichte Räume, schlichte Vitrinen, alles ein bisschen ohne Gesicht, aber auch nicht unangenehm. - Ich denke an das neu gebaute Archäologische Museum in Heraklion, in dem die Exponate neu geordnet und in jeweils sehr spezifische Ausstellungssituationen gebetet wurden. - Anja sagt, das Einzige, was geht, sind Repliken. Die Auseinandersetzung mit vergangenen und gegenwärtigen Kulturen anhand einzelner Objekte ist und bleibt toll und seltsam. Wie Zoo halt. Ausgestellte Tiere ohne natürlichen Kontext.



DOMBOIS FLORIAN 21. Jan. 2022
Zugabe
Kunst am Bau, Brandenburger Landtag Potsdam

Vom Dach der Nikolaikirche blickend sagt Jörg, guck mal, was ist denn das da drüben im Hof des Landtags. Und ich, ha, das kenn ich aus der Heftreihe „Kunst und Bau Nummer“ vom Vexer Verlag, das ist Florian Dombois. Der hat passend zur Kulissenstadt Potsdam zwei abgeänderte Sanssouci Pavillons in Form von illusionistisch ineinander gesteckten Scheiben in den Hof gestellt und diese ebenfalls illusionistisch mit Schlosszeug bemalen lassen (oder selbst bemalt?). Auf dem Papier fand ich’s ein komisches Projekt. Jetzt vor Ort mag ich seine Zugabe sehr. Auch dass die Tauben drauf sitzen und runter scheissen.



LENGLET LUCAS 21. Jan. 2022
Columbarium
Kunst im öffentl. Raum, Am Alten Markt 10, Potsdam

Hinter der Nikolaikirche, da wo noch ein paar DDR-Platten stehen gelassen wurden, steht auf der grünen Wiese ein Columbarium. Was ist schon wieder ein Columbarium? Ahjah, ein Taubenhaus, respektive oberirdische Grabkammern, die reihenweise Urnen und Särge übereinander aufbewahren. In Italien nennt man die „Fornetti“ auch „Taubenschläge für die Seelen“. Der regelmässig durchlöcherte, gemauerte Backsteinturm von Lenglet erinnert mich auch sofort an die Taubenhäuser in Ägypten (und an den Schiefen Turm von Pisa). Er ist nur lose gemörtelt und tritt trotz des luftigen Charakters geschlossen auf. Schaut gut aus. Auch super platziert. Später lese ich, dass die Arbeit im Rahmen der Ausstellung „Ideale Städte - Unsichtbare Städte“ 2006 installiert wurde.



SHE SHE POP 22. Jan. 2022
Dance Me!
HAU2, Berlin

Wir haben ausgiebig diskutiert, wo der Haken ist und warum der Abend nicht funktioniert. Ich behaupte, weil die Spielregeln nicht tragen und die zwei Generationen, die gegeneinander antanzen, in einem Mischmasch zwischen Klischees, Vorurteilen, Ratschlägen, Choreographieversuchen zu vielen Ideen- und Regelsplittern versumpfen. Es ist nicht klar, ob Jung gegen Alt (und umgekehrt) sich battlen oder huldigen wollen. Sich gut oder naiv finden, einander ehrlich oder besser doch performativ begegnen wollen. Ebenso unlogisch bleibt, warum eine Gruppe mehr Energie vertanzt und die andere Gruppe deshalb gewonnen hat. Vielleicht hätten sie sich mehr am Sport orientieren und striktere Regeln von Anfang an ausmachen sollen und dann bierernst zum Kampf antreten. Aber so hängt irgendwie alles verwackelt in der Luft.



SCHEITERE AN EINEM ANDEREN TAG 9. Feb. 2022
Galerie Nord, Kunstverein Tiergarten, Berlin

Scheitern kommt vom Scheit (das Gespaltene), einem abgespaltenen Stück Holz, und wurde im 16. Jh. hauptsächlich in der Schifffahrt verwendet, also wenn das Schiff auf See in Stücke brach… So passt auch Sophia Pompérys Schiffsgerippe eines 2-Sitzer-Faltbootes, welches von zwei Wassereimern als Gegengewicht in der Luft schwebt. Toll sind auch ihre zwei ausgeklappten Zollstöcke, die zwei unterschiedliche Längen von zwei Metern anzeigen. Und natürlich Kerstin Drechsels Zeichnungsserie I ❤︎ Feminism in der sie Alltagsbilder rund um den Feninismus und queere Weiblichkeit aufzeigt. Der Ausstellungstitel verdeutlicht in meinen Ohren den Willen, nicht zu verzweifeln, obwohl das Leben garstig ist und lieber noch einmal gegen alle Ungerechtigkeiten anzukämpfen. Also das Scheitern zu verschieben. Das spricht mich allein ob des Trotzes an, ich krieg die Haltung aber mit den meisten Arbeiten null zusammen.


Alle Fotos: Esther Ernst