Peter Friedl

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2022:Mai // Raimar Stange

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05-2022

BLACK FRIEDL


Die Figur des „Schwarzen“ begegnet einem in Peter Friedls Werk des öfteren und in überraschend vielen unterschiedlichen Darstellungsweisen. Statt in identitätspolitischer, jedwede Möglichkeit von Solidarität und Empathie ausblendender Dummheit zu fragen, ob ein „weißer Mann“ über „People of Color“ überhaupt künstlerisch arbeiten darf, steht hier vielmehr die Frage an, wie dieses getan werden kann und aus welchem Grund.

Am offensichtlichsten erscheinen „People of Color“ wohl in Friedls Marionettenensemble „The Dramatist (Black Hamlet, Crasy Henry, Guila, Toussaint)“, 2013. Vier an dünnen Fäden von der Decke hängende Figuren stellen in dieser Installation historische Personen dar, die in Zeiten des Umbruchs von Bedeutung waren. Einer von ihnen ist „John“ Chavafambria, der „afrikanische“ Heiler und Wahrsager, der Anfang des 20. Jahrhunderts bekannt wurde als Protagonist der Studie „Black Hamlet“ des südafrikanischen Psychoanalytikers Wulf Sachs. Die Studie gilt als das erste Buch zur Psychoanalyse, das in Südafrika publiziert wurde, und fragt unter anderem danach, ob die „westliche“ Psychoanalyse auch „gültig“ für andere Kulturen ist. Als zweiter „PoC“ hängt dort an dünnen Fäden Toussaint Louverture, geborener Sklave und Anführer der Haitianischen Revolution von 1791. Neben den beiden werden noch Henry Ford, der Gründer des gleichnamigen Automobilkonzerns und Julia Schucht, die Gattin des Philosophen Antonio Gramsci vorgestellt. Eigentlich an unterschiedlichen Raum- und Zeitstellen verortet, stehen diese vier Marionetten in „The Dramatist“ zu gedanklichen Inszenierungen einer nicht linearen Geschichtsschreibung bereit, zu einer im besten Fall anti-hegemonialen Geschichtsschreibung, in der dann auch die Rolle der „People of Color“ uminterpretiert wird.

Kein „Hamlet“, aber ein „Othello“ ist dann auf diversen Arbeiten der kleinformatigen Zeichnungen „ohne Titel“, 1994–2022, zu sehen. Es handelt sich um Ira Aldridge (1807–1867), dem afroamerikanischen Schauspieler, der 1826 in London an einer kleinen Bühne als „Othello“ debütierte. Der in New York geborene, später nach Europa ausgewanderte Shakespeare-Darsteller ist vom Künstler in unterschiedlichen Modi auf das Papier gebracht, das Spektrum reicht von skizzenhaften Darstellungen bis zu vollständig durchgearbeiteten Blättern. Ira Aldridge ist dabei in unterschiedlichen Posen und Rollen auf der Bühne gezeichnet. Als Vorlagen für die Darstellungen dienen zeitgenössische Abbildungen, auch frühe Theaterfotos, die durch die vermeintliche subjektive Intimität des Genres Zeichnung prompt ihre vermeintliche Objektivität verlieren. Die Zeichnungen des Schauspielers gehören zu Friedls Unternehmung, die Optionen eines „Erinnerungstheaters“ auszuloten, dieses in dem Sinne, dass das Theater als ein erzählendes Archiv gedacht wird, das Geschichte(n) visualisiert und zugleich aufruft. Dabei unterminieret das „Erinnerungstheater“ das „real-existierende“ Theater und dessen konforme Erzählungen von Historie dadurch, dass es sonst ausgegrenzte und verdrängte Seitenstränge in den Vordergrund stellt – hier in Gestalt des heute nahezu vergessenen afroamerikanischen Schauspielers.

Diese Aufwertung vermeintlicher Nebenrollen, um im Bild zu bleiben, baut auf Gilles Deleuzes/Felix Guattaris Konzept der „Minor Art“ und dessen Annahme, in Szene Gesetztes, eigentlich Marginalisiertes, könnte herrschende Normen in Frage stellen. Diese politische Infragestellung ereignet sich in der „Minor Art“ beziehungsweise „Kleinen Literatur“ durch Kunst bzw. Literatur von Minderheiten, denen nichts anderes übrig bleibt, als in einer „uneigentlichen“ Sprache zu sprechen. Hierfür sind Deleuze/Guattaris Kronzeuge: Kafka als deutschsprachiger Jude im tschechischen Prag, der das „Pragerdeutsch“ nutzte für seine eigenen „kleinen“, eben nicht großartigen und gezielt abweichenden literarischen „Gebrauchsweisen“. Wichtig für meine Überlegungen hier ist auch der in ihrem Aufsatz „Kafka. Für eine kleine Literatur“ in Klammern geschriebene Zusatz von Deleuze/Guattari: „(man vergleiche in anderem Kontext, was die Schwarzen heute mit dem Amerikanischen machen können)“. Friedl, als Künstler übrigens ebenfalls ein Außenseiter in der Gesellschaft, verfährt mit seiner „Minor Art“ also durchaus ähnlich wie Afroamerikaner mit ihrer Umnutzung (als „Signifying Monkey“, wie es Henry-Louis Gates Jr. benannt hat) der „weißen“ Sprache.

Ebenfalls in der Ausstellung „Report 1964–2022“ zu sehen, ist das Video „Liberty City“, 2007. Die Arbeit erinnert mahnend an die brutale Tötung eines „schwarzen“ Motorradfahrers Arthur McDuffie bei einer Verkehrskontrolle in Miami durch US-amerikanische Polizisten 1979. Nachdem die Polizisten fünf Monate später vor Gericht freigesprochen wurden, kam es in Liberty City, Miami, zum Aufstand der afroamerikanischen Bevölkerung. In seinem Video dreht der Künstler das Tötungsdelikt um: Nun ist ein weißer Polizist das Opfer und „PoC“ sind die Täter. Gefilmt wurde die nach- und zugleich umgestellte Szene in der Ästhetik einer zufällig gemachten, also künstlerisch vermeintlich wenig wertvollen Aufnahme eines Augenzeugen. Die in „Liberty City“ inszenierte Umkehrung verfremdet die Geschichte mehr oder weniger provokant und reflektiert Rassismus in Form einer bewusst kontrafaktischen Darstellung. Eben dadurch gelingt es, Fragen nach real-existierenden Modalitäten von Herrschaft aufzuwerfen und aus einer ungewohnten Perspektive zu beleuchten.

Eine weitere Möglichkeit, („schwarze“) Geschichte neu zu denken, wird in „King Kong“, 2002, entwickelt, einem Video, das quasi als Musikvideo mit dem Singer-Songwriter Daniel Johnston daherkommt. Johnston, ein legendärer Einzelgänger in der Musikbranche trägt da seinen King-Kong-Song von 1983 vor, in dem er die Story der fiktiven, überlebensgroßen Affenfigur in dem gleichnamigen Film nacherzählt. Dabei sitzt der Sänger, von Kindern, darunter „dunkelhäutige“, umringt, auf einer Bank in dem ehemaligen Johannesburger Stadtteil Sophiatown. Dieser Stadtteil ist einerseits Schauplatz des Musicals „King Kong“, 1958, in dem es um das tragische Schicksal eines südafrikanischen Boxers geht. Andererseits wurde Sophiatown von dem Apartheidsregime mit Hilfe von Zwangsumsiedlungen gnadenlos gentrifiziert. „PoC“ tauchen hier also in ganz verschiedenen Manifestationen auf: als „reale“ Kinder, als Sujet eines Musicals und gewissermaßen in Form einer Fabel. Als Film-Kunstfigur „King Kong“ – übrigens die erste Film-Kunstfigur, die nicht aus Literaturvorlagen übernommen wurde, sondern 1933 speziell für den Film kreiert wurde –, die da die so „schwarze“ wie monströse, so archaisch „natürliche“ wie gleichzeitig vermeintlich zivilisationsfeindliche Gefahr symbolisiert.

Eine vergleichsweise einfache Form der Repräsentation von „PoC“ ereignet sich in dem der Ausstellung den Namen gebenden Video „Report“, 2016, das auf der Documenta 14 in Athen erstmals gezeigt wurde. Wir sehen die Bühne des griechischen Nationaltheaters in Athen, leer bis auf die Brandmauern. In diesem „authentisch-minimalistischen“ Setting tragen wie Passanten aussehende Menschen Texte vor: 25 Menschen, wenige Schauspieler und viele Nicht-Schauspieler, die in Griechenland leben, dort nicht geboren wurden und die in ihrer jeweiligen Muttersprache oder einer Sprache ihrer Wahl Passagen aus Franz Kafkas „Bericht an eine Akademie“, 1917, vorsprechen. Vordergründig geht es in dieser Erzählung um die Menschwerdung des Affen „Rotpeter“, hintergründig aber handelt es sich um eine „Parabel eines Künstlers und der jüdischen Assimilation“ (Gerhard Kurz). Assimilation: Dieses Problemfeld weist klarerweise Parallelen zu dem Leben der in „Report“ auftretenden, oftmals durch einen Flucht- bzw. Migrationshintergrund mitgeprägten 25 Menschen auf, darunter selbstverständlich auch „PoC“. Dass das Vorsprechen als „mindere“ Form des Theaters zur „Minor Art“ gehört, versteht sich von selbst. Genauso wie die Tatsache, dass allein die große Anzahl der hier Vorsprechenden eine Sprecherposition in dem Video etabliert, die eben keine ist, die das Sprechen eines heroischen Einzelnen, eines selbstbewussten Subjektes gar, für möglich hält.
Übrigens: „King Kong“ klingt in „Report“ insofern leise an, als „Rotpeter“ eben auch ein Affe ist.

Noch ein Blick auf eine weitere Zeichnung Friedls, auf eine entscheidende, die einen Harlekin vorstellt. Diese thea­tralische Figur spielte in der Commedia dell’arte als derb-subversiver „Spaßmacher“ eine wichtige Rolle, wurde aber im 18. Jahrhunderts im Rahmen der sich durchsetzenden Vernunftemphase der Aufklärung von den „ernstzunehmenden“ Bühnen marginalisiert und verbannt. Der beinahe „rokoko-zärtlich“, aber dennoch, ganz im Sinne der „Minor Art“, alles andere als „meisterlich-gekonnt“ gezeichnete Harlekin wird dann hier auch von „den Brettern, die die Welt bedeuten“ verjagt, und zwar von einer im seriösen Schwarz gekleideten Frau. Die „Dialektik der Aufklärung“ und ihre hegemonialen Auswirkungen also stehen da ebenso zur Interpretation bereit wie der „Kampf der Geschlechter“. Dass der verjagte Harlekin auf „ohne Titel“, 2019, eine „schwarze“ Hautfarbe besitzt, bringt noch einen weiteren inhaltlichen Aspekt aufs Trapez, nämlich den der aggressiven Intoleranz einer logozentrischen Ratio, die nicht-eurozentristische Narrative zum Teufel jagen möchte.

PS: In der Werkgruppe „Rehousing“, 2012– 2019, den maßstabsgetreuen Nachbildungen geschichtsträchtiger und genau deswegen marginalisierter Gebäude, findet sich auch eine Sklavenhütte, die im 18. Jahrhundert in Louisiana gebaut wurde („Evergreen“, 2013), und ein von afrikanischen Flüchtlingen in Berlin errichtetes und später von der Polizei zerstörtes Haus („Oranienplatz“, 2014).

Peter Friedl, „Report 1964–2022“
KW Institute for Contemporary Art, Auguststraße 69
10117 Berlin, 19.2.–1.5.2022  
Peter Friedl, „The Dramatist (Black Hamlet, Crazy Henry, Giulia, Toussaint)“, 2013. Courtesy Carré d’Art, Musée d’art contemporain de Nîmes. Photo: Maria Bruni.
Peter Friedl „King Kong“ (Videostill), 2001
Peter Friedl, „Oranienplatz“, 2014. From the series Rehousing, 2012–2019. Collection Marco Rossi, Turin. Courtesy Guido Costa Projects, Turin. Photo: Jorit Aust.