Mein Ding (3)

Paradies-Daunendecke

2022:Mai // Kerstin Wesslau

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05-2022

Das erste Ding wird das letzte sein.
Es wird nicht gestanden.
Die meisten enden im Liegen.
lang ausgestreckt, zugedeckt.
Davor gab es zu viele Dinge.
Am Beginn sind es wenige.

Das erste Ding außerhalb wird die Brust sein.
Es folgen Hände und eine Bettdecke.
Danach wird ergriffen, was begriffen werden kann.
Was zwischen Aneignung und Loslassen erkundet wird, umfassen die vagen Wörter fremd, trennen und zusammen, eigen.


Mir nicht eigen ist der Wunsch nach einer Decke zum Wärmen in der Nacht. Ich bevorzuge eine weiche Daunendecke, auch wenn mir weder die Herkunft, die Prozentzahlen des Verhältnisses von Daunen zu Federn, das Gewicht, noch Steppvariante oder Reinigungsempfehlung bekannt sind. Die Daunendecke, frz. Duvet, wurde in Deutschland laut Wikipedia 1879 durch Eduard Frankenberg, später Frankonia Werke Kirchner & Griebe, Teil der späteren Firma PARADIES in Hannover patentiert und produziert. In der Schweiz wird sie mit dem Begriff „nordisch schlafen“ in Zusammenhang gebracht. Sicher spielen für einen guten Schlaf die Qualität von Matratze, Lattenrost, Bettgestell, Kissen und Wände zum Wohlfühlen eine große Rolle, wie auch das Umfeld, das Design des Überzugs, die Gerüche, die Eigenarten mitschlafender Menschen, der Kontext, die Gedanken, die Aussichten. Gut träume ich warm umhüllt auf mittelharter Matratze mit sorgen- und angstfreiem Blick in Bäume. Meine Träume sind nicht immer gut. Der diesjährige Modetrend zu weiten Daunen-Bettdecken-Mänteln scheint möglichen Auswirkungen der anhaltenden weltpolitischen Lage in kälteren Regionen vorausgreifen und negative Konsequenzen für Modebewusste abfedern zu wollen. Sicherheitshalber besäße ich auch gern einen solchen Mantel. Bei „Egoist“ habe ich einen für 981 Euro im Schaufenster gesehen. Ob der was für die ortlose Nacht taugt, ist momentan gerade und zum Glück von mir schwer einzuschätzen und überprüfbar. Ebenso ist nicht bekannt, wer und wie viele Tiere dafür gerupft wurden. Die Gänse kamen angeblich aus Kanada, nicht aus dem politisch suspekten weiten Sibirien.

Welche Gänse oder Enten aufgrund meiner Bettdecke nicht mehr fliegen oder wohin sie geflogen wären, wenn sie die Federn und Daunen noch gehabt hätten und am Leben wären, ist mir unbekannt, und ich mag mir ungern vorstellen, welche verirrten Himmelsflüge und Flugformationen (durch den Klimawandel bedingt) nicht die Anderen durch ihre Gelüste auf Fleisch, zarte Kruste, scharf oder mild, traditionell oder indisch, Biohof oder in Massentierhaltung oder durch das Bedürfnis nach Engelhaftigkeit mit dem Erwerb von aufgeklebten Federn auf Pappflügeln häufig zu einem friedlichen Fest, sondern ICH persönlich, damit zwar jetzt dankend aber endgültig unwiderruflich, verhinderte. Höhenflüge sind wichtig, kleine wie große. Auch mitten im Frühwinter habe ich noch schnatternde Zeichen am Himmel gesehen und sie mit viel Hoffnung und Sehnsucht verbunden.

Den Einklang mit der Natur, genauer mit Gänsen und Enten, bezüglich meiner Nächte habe ich bisher weder erforscht noch angestrebt, muss ich bekennen. Frisch aufgeschüttelt und gelüftet erinnert mich meine Daunendecke an das durch die Gebrüder Grimm aufgeschriebene Märchen „Frau Holle“ und ich gedenke ihr, den Gebrüdern und Goldmarie besonders bei Schneefall. Mir fallen auch kaum Daunendecken in der Kunstgeschichte ein, außer das Rückenbett auf dem Bild „Der arme Poet“ von Carl Spitzweg, das Federn suggeriert. Ebenso schläft der Dichter John ­Giorno in Andy Warhols Sechs-Stundenfilm „Sleep“ in meiner Wahrnehmung deckenlos auf solchem. Wer schläft, sündigt nicht, wird gesagt. Eine steile These. Künstler*innen und ihre Werke schlafen nicht. Bei Yoko Ono und John Lennon sehe ich ein Kopfkissen, das nach Daunenfedern aussieht, sonst eine fast kratzig aussehende Decke. Sophie Calles abgebildete Betten lassen keine Daunendecken vermuten. Mit Filzdecken verbinde ich Joseph Beuys und Jannis Kounellis. Die Abbildungen des ungemachten Bettes von Tracey Emin lassen keine genauen Aussagen zur Art der eigentlichen Bettdecke zu. Das Kopfkissen scheint ein Federkopfkissen zu sein. Ebenso sind Kopfkissen bei liegenden Frauen z.B. bei Goya eher wichtig als Decken, so auch bei dem „Ursprung der Welt“ von Courbet. Andreas Koch hat seine Wohnung zur Schau gestellt. Leider kann ich keine von mir geprüften Aussagen machen, ob seine Bettdecke gezeigt wurde. Desweiteren ist anzunehmen, dass bei den Prozessionen von Herrmann Nitsch Federwerk benutzt wurde bzw. noch werden wird. Über die Nachhaltigkeit dieses Werkes könnte nachgesonnen werden, auch über den Verbleib der Kunstwerk-Bettdecken oder Künstler*innen-Bettdecken. Die Wiederverwendung von gebrauchten Fremdfedern und -daunen in meiner zukünftigen Kunst werde ich überdenken. Immerhin benutze ich meine Daunen-Bettdecke, ein Geschenk meiner Mutter, schon sehr lange und ich habe nicht unbedingt vor, sie mit einem neueren Modell zu ersetzten, höchstens zu teilen.

Für mich ist eine Daunendecke das unbedingte Ding am Ende bis Anfang des Tages in unserer Klimazone – möglichst meine eigene bei mir zu Hause in meinem Bett – wo immer das ist oder sein wird. Hannah Arendt pflegte den Nachmittagsschlaf, Albert Einstein schlief viel … mit welcher Art von Bettdecke und was daraus zu schlussfolgern ist, bleibt für mich noch offen. Beachtlicherweise scheint Friedrich Nietzsches Totenmaske auf Federn gebetet worden zu sein und zu touren. Das ist ein Ausblick. Es ist für mich ein angenehmer Gedanke, mein unvorstellbares, friedliches, schmerzfreies Ableben im Beisein meiner momentan, beständig oder zukünftig liebsten Menschen in sehr, sehr hohem Alter (bis dahin natürlich weitestgehend gesund, ausreichend genährt, bei Sinnen, friedlich und sicher) zu erspüren und meine Hände dafür über Tuch mit Federn und Daunen zu legen, dieses einander dann haltend, vielleicht auch zu falten.


Verwendete Quellen:
– https://www.pinakothek.de/kunst/carl-spitzweg/der-arme-poet (31.12.2021)
– https://www.vogue.de/lifestyle/artikel/john-lennon-yoko-ono-geschichte-hochzeitsfoto (31.12.2021)
– https://place-des-arts.com/de/artist/Sophie-CALLE/nQ8RqwzYmMGFzNaoD/Expo-1984-lHotel-C-Nimes/ 5c93c060e88c850d808bde38 (31.12.2021)
– https://www.nzz.ch/gesellschaft/das-zerwuehlte-leere-bett-ld.1339485 (31.12.2021)
– https://en.wikipedia.org/wiki/La_maja_vestida (31.12.2021) - https://netzpolitik.org/2016/zensur-facebook-gegen-den-ursprung-der-welt/ (31.12.2021)
– https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=nob5WuGJozc (31.12.2021)
– https://touringinstability.wordpress.com/2013/08/10/death-masks-of-nietzsche-dante-joyce-beethoven-andother- greats/ (31.12.2021)
– https://de.wikipedia.org/wiki/Erste_Deutsche_Daunendecken­fabrik_Kirchner_%26_Griebe (31.12.2021)