Basel

Unlimited 2021

2022:Mai // Kerstin Weßlau

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05-2022

Während die Umhüllung des Arc de Triomphe von Paris vom 18. September bis 3. Oktober 2021 nach den Plänen von Christo und seiner Frau Jeanne-Claude viel Beachtung fand, ist die schwebende Hülle „Anthropomorphe Form“ des Schweizer Architektenteams Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten in Zusammenarbeit mit Fabian Bircher vergleichsweise bisher wenig beachtet worden.
Der Entwurf wurde in der Sparte Architektur 2019, des SWISS ART AWARDs, des ältesten Kunstpreises der Welt (seit 1899) prämiert. Anlässlich der nun wieder möglichen Ausstellung dieses Preises 2021 wie auch des SWISS DESIGN AWARDs und des PRIX MERET OPPENHEIM in der Halle 3 des Messegeländes während der stattfindenden ART BASEL, (VOLTA, PHOTO MESSE) und neben der LISTE, wurde diese den Hauptraum überspannende Installation, eine weiße textile, auf bestimmte Parameter „reagierende“ hängende Decke, präsentiert.
Bestehend aus 2000 Quadratmetern durchscheinendem Stoff an fünf Achsen mit dünnen Seilen aufgehängt, bewegt sich das Material mit Hilfe von zweiundvierzig Motoren nach Algorithmen menschlicher und atmosphärischer Aktivitäten: z.B. der Geräuschpegel, die Anzahl der Gäste, ihre Verteilung und Bewegungen, der Sonnenwind, der CO2-Gehalt, das Wetter.
Anders als bei Christos Werk, das Sonne, Wind und Berührung direkt veränderte, entstehen durch Elektrizität die Übersetzung der Parameter fast unbemerkt fließend in verschiedene temporäre klar geometrische und abstrakte Formen, die wie ein verlangsamtes, zur Mediation entworfenes Spiel mit einem leichten Tuch anmutet.
Die weiße Zwischendecke evoziert in ihrer Wandelbarkeit das Abbild verschiedener Zustände die zwischen u.a. Schutzraum, Bedrohung, Tradition, Meditation, Leichtigkeit, Schwere, Intimität, Offenheit variieren. Sie ähnelt damit teilweise einem Organ der Auswirkungen der anwesenden Besucher*innen und bildet als Hintergrund der Ausstellung immer wieder neue Räume und von der oberen Umgehung aus immer wieder neue Sichtachsen in den Ausstellungsraum.
Als Kommentar zum jetzigen Zeitalter des Anthropozäns mit dem Einfluss des Menschen auf seine Umwelt und zur möglichen Bedeutung von Architektur geplant, bietet die Arbeit Potenzial für die Ausstellungen und Messen der Welt, deren meist rohe, hohe Decken mit Halterungen und Zuleitungen oft im starken Kontrast zu den Ausstellungen stehen.

Die Arbeit von Julius von Bismarck „Die Mimik der Tethys“ in den Räumen der ART UNLIMITED bewegt sich in ähnlichen Höhen und Reflexionen über die Auswirkungen des menschlichen Tuns und über die unberechenbare Kraft der Natur. Von Seebojen mit Beschleunigungssensoren sind beispielsweise Monsterwellen nachgewiesen worden. Inspiriert vom Seegott Tethys aus der griechischen Mythologie wird durch die senkrechten schwankenden Bewegungen der Boje über dem Kopf der Besucher*innen ein Unterwasser-Dasein suggeriert. Der wahrzunehmende „Wellengang“, der wiederum durch Elektrizität die Bewegungen des Atlantik übersetzt, mutet einem sich stetig ändernden Pendel an, dessen Bewegungen weder vorauszusagen noch zu kontrollieren sind. Es erscheint, als wenn weder Berechnungen noch Prognosen verlässliche Größen für die Menschheit sind.
Allein die Komplexität der Zusammenhänge der Natur und die Veränderungen darauf durch kleinste Eingriffe machen die große Verantwortung des Menschen für sein Handeln und die enormen Urkräfte der Natur deutlich, von denen auch die Griechen schon wussten. Der ehrfürchtige Blick nach oben bleibt wie schon in früheren Kulturen, Zeiten und Religionen als Erkenntnis.


Julius von Bismarck, „Die Mimik der Tethys“, 2019