Redesign

Vom Tod der Océ VP 2090

2017:September // Andreas Koch

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09-2017

Vom Tod der Océ VP 2090

Eigentlich hasse ich Redesigns. Wann auch immer eine mir lieb gewordene Zeitung ihre Erscheinung ändert, bin ich erst einmal unangenehm berührt. Alles ist ähnlich, aber anders. Der „Zeit“ schrieb ich sogar einmal einen Leserbrief. Vielleicht bin ich ja konservativ. Ich sehe nicht ein, warum man etwas ändern muss, was bislang gut funktionierte. Das ist mehr als nur Trauer über den Verlust einer liebgewordenen Gewohnheit, die einem entrissen wird, das ist auch Kapitalismuskritik.
In den Sommerferien auf Bornholm las ich Holm Friebes Buch „Die Stein-Strategie“ und wenn man der „von hundert“ unbedingt eine Strategie unterstellen will, dann funktioniert diese hier ganz gut – Hans-Jürgen Hafner beschrieb mir die „von hundert“ schon 2010 in seiner speziell nordbayrischen Betonung „die gibts eh“, das Eh langstreckt und ins Ä hineinragend. Das war vor sieben Jahren und so selbstverständlich war mir das damals gar nicht und ist es eigentlich immer noch nicht. Doch er beschrieb ganz gut die Unaufgeregtheit der Zeitschrift, die einfach so da zu sein scheint, wie ein Stein im Zeitschriftenständer von pro qm liegt und abwartet. Die Stein-Strategie ist das Gegenteil von Aktionismus. Sie bedeutet nicht, gar nichts zu machen, das wäre Depression, aber sie vertraut in das eigene Tun und Dasein – die anderen werden die Qualität schon erkennen und wenn nicht jetzt, dann irgendwann einmal oder eben auch nicht, dann ist es auch nicht schlimm, es gibt ja viele Menschen und nur wenige „von hundert“-Exemplare. Redesigns passen nicht zur Stein-Strategie und sie passen auf keinen Fall zur „von hundert“.
Sie sah schon immer wieder mal anders aus. Es gibt quasi verschiedene Staffeln der „von hundert“, mit kaum zu bemerkenden Variationen der Beziehung Schrift/Untergrund. In den ersten 11 Ausgaben gab es noch keine „Spezials“, da änderte sich immer nur die Farbe der Schrift auf komplett weißem Papier, dann kam ein farbiger Streifen, der die Papierfarbe des Themenkerns aufnahm, immer noch auf Weiß. Ab Ausgabe 18 wurde das Heft flächig farbig und die Titelinhaltsverzeichnisschrift samt typischer „von-hundert“-Nummerierung wurde weiß mit einem farbigen Spezialstreifen, der darüberlag und sich mit dem Untergrund multiplizierte. Später wechselte das Aussehen alle vier bis fünf Ausgaben. Es kam eine pastose Phase mit farbiger Schrift und weißem Streifen, zuletzt dann schwarze Typo mit zweifarbigen Untergründen. Wer hat es bemerkt?
Aber darum geht es nicht und ging es nicht, wichtig bei der „von hundert“ sind die Texte, die unaufgeregt, klassisch und wenig bildlastig präsentiert werden. Das Cover zeigt nur den Inhalt: „what you see is what you get“. Sollten doch die anderen sich über gelungene Coverbilder den Kopf zerbrechen. Wenn all diese anderen Hefte nebeneinander im Regal stehen, sieht es auch nicht interessanter aus als bei Instagram, Bild an Bild, Schulter an Schulter und am Ende doch alles irgendwie gleich. Sicher, auch für „von hundert“ mit ihrem Typotitel gibt es Vorbilder, „October“ macht es ähnlich mit mittlerweile 160 Ausgaben, die „Neue Review“ von Raimar Stange auch, aber die wurde nach ungefähr zehn oder elf Ausgaben schon 2005 eingestellt.
Aber jetzt doch, offensichtlich fand ein Redesign statt: der Umschlag pappig, das Inhaltsverzeichnis wanderte nach hinten, stattdessen vorne eine einfache S/W-Illustration – Schwarz auf Farbe – und darunter ein paar Namen und Themen angetriggert. Was soll das und warum? Ich gebe zu, ich war’s.
Ich kam mir vor wie damals beim Kieferorthopäden beim Einsetzen der festen Spange. Nachdem meine Zahnzwischenräume zwei Wochen lang mittels Gummibändern geweitet wurden und ich wegen der entstehenden Empfindlichkeit der Zähne nur noch Suppe essen konnte – alleine das Aufeinandertreffen der Zähne löste einen schmerzhaften Schlag aus – sollte ich die Eisenringe der Spange selber in die Lücke hineinbeißen. Die Hölle …
Jetzt also ähnlich, ich machte was, was ich eigentlich ablehne, niemand zwang mich dazu, kein Arbeit-, oder Auftraggeber. Wahrscheinlich wurde deshalb der Erscheinungstermin auf zehn Wochen nach Redaktionsschluss verschoben. Ich litt unter extremer Motivationsarmut.
Der eigentliche Grund für die Misere war der Tod der bisherigen Druckmaschine für den Innenteil. Falls es jemandem auffiel: der Farbauftrag, also das Schwarz, war für einen Digitaldruck extrem matt. Es verschmolz quasi mit dem Papier zu einer homogenen Oberfläche, was daran lag, dass die Druckmaschine noch mit einer herkömmlichen Hitzefixierung arbeitete und dafür sehr feinen Tonerstaub verwendete. Das ist mittlerweile aus Gesundheitsgründen verboten. Die Kopierladenmitarbeiter leiden darunter. Das heißt, die Maschinen werden nicht mehr hergestellt und nach und nach mit ihrem jeweiligen Ableben abgestellt. Es erging ihnen wohl ähnlich, wie es den Dieselmotoren in den nächsten Jahren ergehen wird.
Jetzt wird der aufgetragene Toner mit einer Art Fixierschicht überzogen und diese glänzt. Da, wo mehr Schwarz ist, glänzt es noch mehr. Das typisch Speckige einer Digitalkopie tritt auf. Das wollte ich bisher vermeiden und als der Kopierladen am Strausberger Platz vor Jahren seine Maschine abstellte, fand ich über Canon-Berlin zwei weitere am Rande Berlins zwischen Mahlsdorf und Hoppe­garten und druckte eben da weiter die „von hundert“ in gleicher Qualität.
Das war jetzt zum zehnjährigen Jubiläum vorbei, die Maschine war am Ende, der Wartungsvertrag ausgelaufen, die neuen Maschinen bestellt. Die vorige Ausgabe ging gerade noch durch. Ich hätte natürlich die alte „von hundert“ auf den neuen, speckigen Maschinen drucken können, aber das erschien mir falsch. Natürlich hätten es nur wenige bemerkt, vielleicht nur ich, aber sie wäre mir vorgekommen, wie eine billige Kopie ihrer selbst. Wenn schon speckig, dann anders. Und der Umschlagdrucker (der nie identisch mit dem Inhaltsdrucker war) machte mir ein Angebot für seine neue Maschine. Die kann sogar Weiß und das wollte ich natürlich nutzen.
Ok, seien wir optimistisch. So ein Neuanstrich gibt doch der ganzen Sache auch ein bisschen Schwung, sie wird wieder wahrgenommen im Regal. Raus aus der müden Ecke. Auch Steine können geschliffen werden. Zehn Jahre sind für ein Magazin ganz schön lang, fast so lang wie Merkel, das iPhone oder mein Basecap/Brillen-Look, aber darüber schrieben wir schon das letzte Mal. Außerdem gibt es das iPhone bald in der achten Fassung, wohingegen Merkel und ich könnten uns auch mal wieder etwas aufpeppen.

Bild: Andreas Koch
Océ-Druckmaschine 2090, Quelle: Internet