Vielleicht auch einfach nicht dabei sein?

Inklusion-Exklusion-Spezial

2017:September // Michael Pohl

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09-2017

Vielleicht auch einfach nicht dabei sein?

Wollt Ihr auch endlich mal dazugehören? Wundert Ihr Euch, warum in den Ausstellungen überall immer nur die Sachen der anderen hängen oder stehen? Habt Ihr das Gefühl, dass sich das Glücksrad Eurer Bekannten immer schön regelmäßig weiterdreht, während Eures irgendwie an diesem Pinn festzuhängen scheint und jetzt droht, für immer auf dem gleichen Feld stehenzubleiben, wie sehr Ihr Euch auch bemüht? Denkt Ihr oft, Ihr hättet es bloß noch ein bisschen länger auf der letzten Party aushalten müssen, dann hätte sich ganz bestimmt was ergeben mit dieser wichtigen Kuratorin oder jenem wichtigen Galeristen? Ärgert Ihr Euch darüber, dass Ihr nie überhaupt die Gelegenheit bekommen habt, einem documenta-Kurator erklären zu dürfen, warum Eure Formate immer kleiner werden, derweil diese sowieso viel lieber irgendwelche jahrzehntealten Installationen für viele Tausend Euros aus ihrem Kontext reißen und in Kassel neu aufstellen lassen wollen, um irgendeine Idee zu illustrieren? Befürchtet Ihr immer öfter, dass der Tag langsam in greifbare Nähe rückt, an dem Ihr euch eingestehen müsst, zu der Vorstellung, die Ihr einmal von Eurem Werdegang hattet, definitiv nicht mehr aufschließen zu können? Wahrscheinlich habt Ihr recht. Aber was tun? Oder aber: Warum überhaupt etwas tun?
Der Kunsttheoretiker Stefan Heidenreich schrieb kürzlich in der „Zeit“ unter dem Titel „Schafft die Kuratoren ab!“ über die autokratische Macht der Kuratoren, die endlich demokratisiert gehöre, da diese im Grunde die Kunstwerke nur noch als Illustrationen der Themen einsetzten, von denen ihre Ausstellungen handeln. Das zentrale Problem scheint mir allerdings weniger die Tatsache, dass häufig Einzelpersonen entscheiden, was gezeigt wird, sondern vielmehr darin, wie mit dieser Macht umgegangen wird. Unter anderem weil „Kurator zeitgenössischer Kunst“ heute unter den verschiedensten Decknamen an Hochschulen gelehrt wird, werden derartige Reißbrettmethoden des Ausstellungsmachens mehr und mehr zum Standard – vielleicht da, wo vermeintlich demokratisch „in der Gruppe“ kuratiert wird sogar noch mehr, da man sich gegenseitig mit sachlichen Argumenten überzeugen muss und so Künstler oder Arbeiten, die in einem Zusammenhang auch mal „querschießen“ könnten, deren Platzierung in einer Ausstellung sich also nicht so leicht anhand eines „Themas“ erklären ließe, noch weniger Chancen haben. Und wo der Künstler und dessen Werke zum Material werden und der Kurator (ursprünglich von lat. „Fürsorger, Pfleger“) zum Autor oder gar zum Star, läuft natürlich etwas schief. Glaubt man den Geschichten einzelner Teilnehmer der aktuellen Großausstellungen oder auch z.B. der letzten Berlin Biennale, finden es manche kuratorischen Leitungen auch nicht weiter problematisch, direkt ins Werk Einzelner einzugreifen, damit es besser ins angestrebte Konzept passt. So sieht heutzutage dann wohl „Kunstvermittlung“ aus.
Heidenreich schreibt davon, wie so die Themen- und Eventkultur im aktuellen Ausstellungsbetrieb immer mehr zu „Kunst ‚über etwas‘“ führe – und hat recht. Das Denken in Schubladen ist auf allen Ebenen des Betriebs angekommen. Das einigermaßen renommierte Künstlerhaus Schloss Balmoral in Bad Ems zum Beispiel schreibt seine diesjährigen Aufenthaltsstipendien aus für Künstlerinnen und Künstler, die sich mit dem Jahresthema „Gestaltung der Zukunft. Wie wollen wir leben, lieben und arbeiten?“ auseinandersetzen; und fordert so (als ein Beispiel von vielen) direkt dazu auf, sich einfach selbst schon bei der Bewerbung in eine solche Schublade zu schieben. Wer sich also entsprechend verbiegen kann, hat eine Chance auf Teilhabe; das ist zumindest die implizite Botschaft solcher Entwicklungen. Es wird einem also vielerorts der gleiche flexible Umgang wie mit dem eigenen Selbst inzwischen schon bei der Produktion von Kunst zumindest nahegelegt, der auch für das erfolgreiche „­Shmoozen“ auf Kunstbetriebsevents nötig ist – hier Händeschütteln und Lächeln, da so lange rumstehen, bis man ins Gespräch reinkommt, dort noch irgendwie auf die Afterparty des Galeristen mit reinschlüpfen, das gehört einfach dazu, das ist Teil des Berufes; ob man sich dabei wohlfühlt oder nicht. Das haben wir so gelernt. In den letzten Jahren haben sich darüber hinaus die sogenannten Sozialen Medien als quasi verpflichtender Bestandteil der Künstlerselbstvermarktung etabliert, die regelmäßig mit Content bedient werden wollen. Ohne Instagram-Account, ohne Facebook-Veranstaltungen, ohne Follower wird man kaum noch überhaupt gesehen. Die Währung, in der auf allen diesen Plattformen gehandelt wird, ist Aufmerksamkeit. Und da die Qualität – oder die Bedeutung – der ganzen Kunst, die alle da ständig so machen, ohnehin nicht objektiv messbar ist (ein alter Hut), wird diese Aufmerksamkeit gerne als Indikator für Relevanz angenommen. Selbstverständlich haben wir immer einen besseren Einblick in die Arbeit von jenen, die wir gut kennen, als in die von Menschen, mit denen wir nie gesprochen haben. Und natürlich ist es hilfreich, wenn einen jemand empfiehlt; wer gute Fürsprecher hat, steht immer besser da als jemand, dessen Arbeit sich ganz allein „verkaufen“ muss – völlig unabhängig vom Werk.
Das gleiche gilt natürlich inzwischen längst alles auch für unser Internet-Selbst – mit dem Unterschied, dass wir uns hier die Vertrautheit mit etwas oft bloß einbilden, einfach weil es uns oft genug „angezeigt“ wird. Viele junge Kunstschaffende machen uns vor, wie man sich mit einer guten Online-Strategie aufs Radar von Galeristen und Sammlern bewegt oder nach einem gelungenen Instagram-Coup oder Facebook-Aufschrei von Kunst- (oder Lifestyle-)Magazinen den betuchten und interessierten Lesern empfohlen wird. Und was die Masse einmal kennt, landet am Ende auch auf der Liste der institutionellen (und natürlich auch der freien) Kuratorinnen und Kuratoren, und sei es nur wegen der üblichen Sachzwänge: Drittmittel einwerben, Publikum ins Haus bekommen, an aktuellen Diskursen teilnehmen (das ist heute ja oft deckungsgleich mit dem Empfehlungsteil der Magazine) usw. Denn: Was abgebildet wird, ist interessant. Das war irgendwann einmal umgekehrt.
Aber handelt es sich tatsächlich um „Abgehängte“ bei denen, die an diesem Spiel um Marketingstrategien nicht teilnehmen wollen (oder können), die vielleicht deshalb weder in der Welt der Institutionen noch am Markt (als wären das überhaupt noch zwei verschiedene Bereiche) so richtig ihren Fuß in die Tür kriegen? Bei denen, die sich mit irgendetwas anderem ihren Lebensunterhalt finanzieren müssen und es nur sporadisch ins Atelier schaffen? Oder denen, die zwischendurch Kinder bekommen haben (das soll ja auch einiges an Zeit und Energie kosten, hört man immer wieder)? Wer sie sich einteilen muss, wird seine Zeitfenster lieber nutzen, um sich mit seiner Kunst zu beschäftigen als zur Pflege der „Außendarstellung“. Wer sich aber um das Bedienen der verschiedenen Aufmerksamkeitskanäle nicht kümmert, rückt womöglich noch weiter aus dem Fokus – eine Spirale, die es so zwar schon immer gegeben hat, die zuletzt aber durch die Entwicklungen der Sozialen Medien massiv befeuert und beschleunigt wurde und wird. Wieso spricht man eigentlich so oft von „gescheitert“, wenn jemand (zumindest nach einer Schonfrist) nicht zu dem auserwählten Kreis an Künstlern gehört, die ihren Unterhalt durch den Verkauf ihrer Werke bestreiten können? Warum ist es so schwer, ernstgenommen zu werden, wenn der CV zwischendurch mal ein paar Jahre Unterbrechung hat, wo Patchwork-Lebensläufe doch in vielen anderen Bereichen inzwischen das vorherrschende Karriere-Modell zu sein scheinen – zumindest erklären uns Experten allenthalben, dass dies in Zukunft fast überall der Normalfall sein wird … Warum also nicht auch ein On-/Off-Künstlertum?
Ich möchte daher dazu aufrufen, die Existenz als Teilzeit-Künstler stärker positiv zu bewerten, auch bei sich selbst. Natürlich ist es super, wenn man der eigenen Arbeit seine ungeteilte Aufmerksamkeit widmen kann, aber wenn das grade nicht klappt: Immerhin ist man dann unabhängig von den Zwängen und Irrungen der Kunstwelt und kann sich frei machen von dem Druck, immer wieder aufs Neue „liefern“ zu müssen (das führt ja gerne dazu, dass der oder die eine oder andere in irgendeiner Masche steckenbleiben, aus der sie nicht mehr herauskommt). Und selbst, wenn man nebenher im Supermarkt oder auf dem Bau arbeiten muss, ist man ja weiterhin Künstler. Wir definieren uns ja nicht bloß über das, was wir tun, sondern darüber, wie wir die Welt anschauen. Wer sich dieses Selbstverständnis nehmen lässt, ist schließlich nur noch Arbeiter.
Auf der anderen Seite wäre es aber auch wünschenswert, wenn die Kuratorinnen und Kuratoren mit ihrer „autokratischen Macht“ häufiger mal durch die Ateliers derer streifen würden, von denen man in den (Sozialen) Medien oder auf den Vernissagen nichts (mehr) hört oder sieht. Denn in den meisten Fällen sind diese gar nicht verschwunden, sondern entwickeln weiter ihr Werk. Und die Ausstellungsmacher sind diejenigen, die entscheiden könnten, statt des Angesagten, statt des im (Themen-)Trend liegenden, statt der Stars oder ihrer Epigonen auch gelegentlich mal etwas Unbekanntes, etwas Vergessenes in ihre Räume zu packen. Einfach so, ohne große Erklärungen oder Konzepte. Gerne auch ohne, dass es in irgendeinen Kontext oder zu einem aktuellen Diskurs passt. Und sie könnten so auch ein bisschen dazu beitragen, dass es auf den ganzen Kunstparties etwas weniger um „wir“ und „die“ geht, und wer was wie am Laufen hat und wer nicht, sondern ein bisschen mehr um die Arbeiten.
Foto: Ana Baumgart von wirwollennichtzurdocumenta14.de, 2017