Schwärme Paare Einzelgänger

Inklusion-Exklusion-Spezial

2017:September // Christoph Bannat

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09-2017

Schwärme Paare Einzelgänger

Schwärme
Eine Zeit lang – nein, ich hatte nicht die Gene meiner Zeit, was mein Aussehen betrifft – in einem bestimmten Licht, wurde auch ich umschwärmt. Ich experimentierte mit Homosexualität. Eine Zeitlang setze ich meinen Körper dem Schwarm und seinen Orten und ihren jeweiligen körperlichen Verabredungen aus. Eine Crew berührte mich mit ihren Blicken und wählte mich in ihren Schwarm. Eine Zeit lang, in einem bestimmt unbestimmtem Licht. Vielleicht, wenn der Schwarm hätte sprechen können. Ich wollte, dass er mir eine Richtung vorgibt. Ich wollte kein Einzelgänger werden, der sich nach fünf, manche sprechen von acht, Bier, als trauriger Schwuler entpuppt und mit Kopfschmerzen wieder zur Hete wird. „Ich solle mich nicht von meinem Piloten ficken lassen“, so ein 20-jähriger Mitkommilitone an der Kunsthochschule. Worte, die ich eine Zeit lang vergaß und dann nie wieder. Standpunktprofi und blöder Faschist.

Paare
Während dessen. Etwas weniger zeitweise, aber auch in einem bestimmten Licht. Anfangs. Dann schichteten sich die Mythen und wir konnten den Anfang nicht vom Weitermachen unterscheiden. Wir schrieben unsere Erzählung. Vielleicht war es die Freiheit des Schreibens und der Klang der Stimme beim Vorlesen. Der Sex war kompliziert, hatte aber Charakter, neben dem seiner Zeit. Sex ist ja ohne Sozialleben gar nicht denkbar. Das Heraufbeschwören liebgewonnener Bilder. Und Sex ist auch nur eine Sprache von vielen, mehr oder weniger, die gelernt und gepflegt werden will. Wie aber die Ernsthaftigkeit im Spiel halten, damit es ein ernsthaftes Spiel bleibt und der Körper keine „einzige Zuspitzung“, oder: Das Leben ein einziger Ernstfall. Folglich muss es auftreten, das Leben. Eine Zeit lang, in einem unbestimmt bestimmten Licht. Wir sitzend, im Dunkeln mit den Bewohnern von ACH WAS im Zuschauerraum; fortschreitend Theater. Antisexistisch.

Einzelgänger
Gleichzeitig. Währenddessen. Eine bestimmte Zeit lang. Den unlesbaren Marschbefehl in der Tasche: Nur weg hier. Zweierlei Weg hier: Aus der Sphäre der Wortlosigkeit und der des Tyrannen. Der Versuch, die innere Tyrannei der Wortlosigkeit mit einem Bild zu bekämpfen. Ich war bereit, hart auf den Feldern von NUR HIER zu arbeiten, verirrte mich aber und durchwanderte stattdessen WAS SOLLS, um dann zurück über WAS SONST nach ACH NEE zu trampen, wobei ich NA UND bewusst mied, wohl und immer in dem Wissen, dass ich in ACH WAS noch Freunde hatte. Da war ich wieder einmal und anders und suchte den Schwarm. Einerseits. Anderseits den lebendigen Mythos meiner Geliebten, mit der ich Zeit anhäufte, die wir uns im Theater ansahen. Zum ersten Mal hatte ich Mut über meine Geschichte zu lachen. Sie wusste mehr als dieses ICH, das ja auch noch anders war. Gleichzeitig wollte ich mir den Rest meines Einzelgängertums, meiner einmal liebgewonnenen Bilder, bewahren. Solidarisch.

Erklärung
Die Begriffsfolge „Schwärme, Paare, Einzelgänger“ und die Erfindung „Bewohner von Ach Was“ sind aus den Auf-Zeichnungen von Reimar Renaissancefürstchen, einem Hamburger Künstler.
Sie sind eingebettet in Tuschezeichnungen, die als Kunst in einem doppelten A3-Notizbuch angelegt sind und zur Zeit noch unter Verschluss stehen und in welches ich Einblick nehmen durfte. Zeichnungen, die mich seit über 20 Jahren beschäftigen. Mein Text ist einmal mehr der Versuch, diesen Aufzeichnungen nahezukommen, die später einmal als das Wichtigste, was das 21. Jahrhundert hervorgebracht haben wird, gelten werden. Der Text orientiert sich an den „von hundert“-Hausaufgaben etwas über Ex- bzw. Inklusion zu schreiben. Er stellt die Frage, was denn in einen Kunsttext gehört und was nicht. Also wann ein Kunst-Text ein Kunsttext ist. Da „von hundert“ sich nicht festlegt nur Texte zur oder über Kunst zu veröffentlichen, stellt dieser Text auch die redaktionelle Frage, was als Kunst veröffentlicht werden soll. Alle 25 Jahre, so scheint es, wird mir eine wichtige Frage, oder eine lebenswichtige Erklärung gegeben. Neben Reimar Renaissancefürstchen gehören der Kritiker und Kurator Ludwig Seyfarth und der Sozialpädagoge Gerhard Kling zu meinen diesbezüglich verehrten Denkfigurinitiatoren. Ludwig fragte mich danach, für wen ich denn schreibe und Gerhard öffnete mir die Augen mit seinem „Du erinnerst Dich halt gern“, am Telefon. In meinem Text möchte ich alle drei würdigen, denen ich zu Dank verpflichtet bin. Meine Idee ist es, alle drei in einer parlamentarischen Vermischung in Beziehung zu setzen und mit Zeit, die sich in mir angehäuft hat, zu vermischen. Dies soll meine Haltung als bekennender Parlamentarier, als radikaler Demokrat, zum Ausdruck bringen; antifaschistisch, antisexistisch und solidarisch, mit einem Hauch von Anarchie. Anarchistisch im wissenschaftlichen Sinne, also dass sich 149 Personen noch ohne manifeste Gesetzgebung organisieren können, es dann aber komplexerer Organisationsformen bedarf. Ich meine, dass ein Kunst-, also ein lebensechter Text, radikal demokratisch und jazzig sein sollte – jazzig im Sinne von künstlerischen Verabredungen und freier Improvisation. In diesem Sinne sollten wir, da sich unser inneres Parlament, sowieso ständig über Harmonien (nennen wir es Wirklichkeiten) abstimmt, den Moment in seinem relativen Licht feiern. Einem, in dem wir – mehr oder weniger jede/r – einmal, in den Augen anderer als schön erscheinen.
Foto: Christoph Bannat