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Eine Replik auf Raimar Stange und Marc Wellmann

2017:September // Anna-Lena Wenzel

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09-2017

Ade linke Evergreens?!
Eine Replik auf Raimar Stange und Marc Wellmann

Wie entstehen eigentlich Artikel für die „von hundert“? Weil etwas so bewegt, dass es zu einer Kritik oder einem Statement herausfordert. In der letzten Ausgabe waren es zwei Artikel, in denen sich die Autoren über die unkritische Kritik und den ausufernden Kunstmarkt auslassen – zwei „linke“ Evergoings. Mich ärgert, dass ich mich einerseits zu persönlich angegriffen fühle und andererseits Schwierigkeiten habe, die beschriebene Realität mit meiner in Bezug zu setzen. Raimar Stange behauptet im Gespräch mit Andreas Koch, dass die Schreiber/innen der „von hundert“ oftmals solche seien, die einen Fuß in die Tür des Kunstbetriebes bekommen möchten, und deshalb mehr oder weniger artig über diesen schreiben würden. Er fordert mehr Artikel über „Nicht-Schmuse-Künstler“, und beharrt auf seinem Recht zu kritisieren. Seine Kritik jedoch ist verallgemeinernd und vorwürfig – sie hat häufig einen ätzenden Unterton. Er verkennt meiner Meinung, dass das Spezifische der „von hundert“ nicht primär in ihrem Politisch-kritisch-Sein besteht, sondern in ihrer Unabhängigkeit und gleichzeitigen Offenheit für künstlerische Formate des Schreibens und der Kritik. Für mich ist es eine Zeitschrift der künstlerischen Kritik, und nicht zufällig besteht ein Großteil der Beiträge nicht aus klassischer Ausstellungskritik, sondern aus Kolumnen wie „Onkomoderne“ von Christina Zück, den preisgekrönten Textfluiden von Barbara Buchmaier und Christine Woditschka, den Vanity Fairytales von Elke Bohn oder dem Tagebuchformat „wo ich war“ von Esther Ernst. Diese Art des freien Schreibens und des ungewöhnlichen, selbstentwickelten Formats verkörpern für mich eine kritische Haltung allein aufgrund ihrer Unangepasstheit und ihrer Singularität – die in anderen Kunstbetriebsinstitutionen keinen Platz finden würden (so viel noch mal zur „von hundert“ als Karrieredurchlauferhitzer). Man sollte nicht vergessen – und darauf macht Andreas Koch wiederholt aufmerksam –, dass sich alle (genannten) Beitragenden bewusst für dieses Magazin und einen unentgeltlichen Beitrag entscheiden, das kann man durchaus honorieren. Dass unentgeltliche Arbeit im ganzen Feld ein Problem darstellt, darüber kann (und sollte) diskutiert werden, genauso wie darüber, dass es vielleicht einen Zusammenhang gibt zwischen Unentgeltlichkeit und dem hohen Frauenanteil bei der „von hundert“.

In seinem Beitrag über die zunehmende Dominanz des Kunstmarktes wiederholt Marc Wellmann eine seit Jahrzehnten gültige Beobachtung – und macht sich nicht die Mühe dabei zwischen den verschiedenen Institutionen des Kunstfeldes zu differenzieren. Denn das Kunstfeld ist ein komplexes Geflecht, das nicht nur aus einem – zugegebenermaßen entfesselten – Kunstmarkt besteht, sondern von einer Vielzahl von Protagonisten, von der freien Szene über die unzähligen Projekträume und nicht kommerziellen Institutionen bis zu den öffentlich geförderten Museen, bevölkert wird. Auf den Markt zu schimpfen, bedeutet ihm noch mehr Aufmerksamkeit zu widmen, ihn noch größer zu machen.
Was dabei aus dem Blick gerät und unerwähnt bleibt, ist der oft „ehrenamtliche “ wie leidenschaftliche Einsatz derjenigen, die sich im gesamten Bereich der bildenden Kunst einbringen. Ignoriert werden zum Beispiel die Kämpfe um Ausstellungshonorare. Deren Arbeit sichtbarer zu machen, wäre als Solidaritäts- und Anerkennungsgeste schon mal was – statt immer nur in Pessimismus zu verfallen. Das würde bedeuten, den Fokus auf Handlungsmöglichkeiten und bestehende Aktivitäten zu lenken, um sich als Handelnder oder „Stratege“ im Kulturkampf, statt als ewig Getriebener zu verstehen (das formuliert Raimar Stange in seinem Beitrag im Rückgriff auf Walter Benjamin nämlich sehr schön, jedoch mit einer anderen Konsequenz). Wenn man seine Arbeit im oben vorgeschlagenen Sinne versteht, dann gehören für mich Solidarität untereinander (was Anerkennung impliziert) sowie eine permanente Selbstbefragung und -überprüfung des eigenen Standpunktes unbedingt dazu.
Über die stärker werdende Dominanz des Marktes zu sprechen, anhand eines Anrufes von einem Bekannten, der ein Bild kaufen will, aber offensichtlich wenig Ahnung von Kunst hat, entspricht vielleicht der Realität eines Herrn Wellmann, aber eben nicht der meines Umfelds. Ich gestehe, dass ich froh bin, wenn ich mal eine Arbeit verkaufe, und das nicht nur, weil es Einkommen generiert, sondern vor allem, weil es mich bei der KSK als Künstler ausweist und legitimiert. Die Lebens- und Arbeitsrealität der meisten Künstler/innen, die ich kenne, sieht ebenfalls so aus, dass alle froh sind, wenn sie mal eine Arbeit verkaufen, weil es sie davor schützt zu Hartz-4-Aufstockern zu werden oder irgendwo für den Mindestlohn zu jobben. Der Verkauf einer Arbeit, der Gewinn eines Preises oder die Beauftragung für eine ortsspezifische Arbeit bedeutet im besten Fall, dass man mehr Zeit zum künstlerisch Arbeiten und Reinvestieren hat, sowie ein bisschen Planungssicherheit bekommt und das Atelier halten kann. Eine Affirmation des Marktes sieht anders aus.