Wo ich war

2017:September // Esther Ernst

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09-2017

LIPPARD HANNE / WILSON IAN 20. Jan. 2017
KW Institut for Contemporary Art, Berlin

+ so, jetzt hat der neue Direktor Krist Gruijthuisen die Spielzeit eröffnet. Ihm selbst ist die Kommunika-tion wichtig, deshalb stehen mehrere Guides in der Ausstellung, die einem auf Anfrage die Kunst vermit-teln. Auch die zwei ausgewählten Künstler beschäftigen sich mit Kommunikation und Sprache. Während Ian Wilson inzwischen nur noch mündlich kommuniziert und lediglich Zertifikate über stattgefundene Gespräche vermarktet und ausstellt (die in den Vitrinen ausgestellten Zertifikate jedoch nicht als Kunstwerke verstanden wissen will), konstruierte Hanne Lippard einen luftig reduzierten und enorm aufwändigen Einbau für die Haupthalle. Über eine Wendeltreppe gelangt man in einen niedrigen Dachraum mit Fensterband, wo man dann gemein-sam sitzt und alle halbe Stunde ein Texttonband hört. Ich war am meisten über die konzentrierte Atmosphäre verblüfft, die da in diesem zimmerähnlichen Raum herrscht. An den Inhalt kann ich mich kaum erinnern. Und dann zeigt uns der Denis noch die neue Bar. Sehr hübsch, aber nur für Mitglieder...



STOSCHEK JULIA COLLECTION 17. Jan 2017
Jaguars and electric eels
Dependance Berlin, Leipziger Strasse

+ Huch, ich dachte da wäre lediglich eine Arbeit von Hito Steyerl zu sehen, dabei ist das eine riesige Sammlungspräsentation mit gefühlt tausend Videos. Die thematische Klammer bezieht sich auf Humboldt’s Expeditionsaufzeichnungen, bei denen er verdeutlicht, wie unbelebte und belebte Naturkräfte zusammenwirken. Aha, klingt komplex.
Alle Videoarbeiten sind hier unglaublich schick in die Platte eingerichtet und über einen tortigen Vorhang miteinander verbunden. Und dann entdecke ich Cyprien Gaillars wunderbare Arbeit Koe von 2015, in dem eine Schar grüner Papageien in Zeitlupe vom Düsseldorfer Hofgarten, am Liebeskindbau vorbei, in die Kö fliegt. Mir wollte vor ein paar Jahren nämlich niemand glauben, dass ich in Leverkusen wilde Papageien sah. Dabei konnten sich die Halsbandsittiche bereits in den 60ern als Population in unserem Ökosystem behaupten. Amsterdam ist voll davon.



GRENZENLOS KUNST? 29. März 2017
Buchpräsentation
Akademie der Künste, Hanseatenweg, Berlin

+ das ist schon interessant: da sprechen fünf etablierte, ältere Männer, eine Art Elefantenrunde, neben einer Frau über die sich öffnenden Grenzen in der Kunst und erst riecht es nach Schuhwichse und später nach bräsigem Herrenduft. Odenthal sprach über Segal und Forsythe und was das Neue an dieser Denkensweise und deren Aufführungen sei, Philip Ursprung über ein Reenactmentexperiment mit seinen Studenten zu einer Aktion von Terry Fox, Hans Belting darüber, was Kunstbiennalen mit dem Markt machen und bei Kudielka hab ich irgendwann abgeschaltet. Gut gefallen hat mir Patrick Bahners Moderation und seine Verständnisfragen. Insgesamt ist das natürlich total überbordend, wenn man solche Schwergewichte an einen Tisch setzt und bei jedem nur so ein bisschen einsteigt. Angela Lammert, die leider relativ wenig zu ihrem Buchbeitrag sagte, weil sie eher den gesamten Abend und die Redezeit im Blick behielt, hätt ich neben den ausladenden Männern gern etwas prominenter erlebt.



BOCK JOHN 3. April 2017
Hell’s Bells
Berlinsche Galerie

+ Hell’s Bells ist Western, Märchen, Splatter, Horror, Bibel, Satan, Kostüm und Ausstattungsfilm in einem. Die Story ist fast schon egal. Es ist eher die Spielwucht und die geladenen Bilder mit all den abgeknallten, detailreichen Settings, die einen ins Ultrastaunen versetzen. Zum Beispiel das Kartenspielschach. Oder der Priester in seiner Lustfolter. Oder der Schusswundenheini, der beim Arzt in der gebastelten Messiepraxis dauernd amputiert werden muss.
In dieser riesigen Phantasie-Überbordung bleibt aber alles ganz präzise, fast schon streng, das ist so toll. Und natürlich spielen die alle grandios.

Schlingensief
René Pollesch



ASISI YADEGAR 5. April 2017
Die Mauer
Checkpoint Charlie, Berlin

+ oh, ich dachte, das sei gemalt?! Haben Peter und Daniel nicht als Maler von ihm gesprochen? Nun, da hängt ein 60 Meter langes und 15 Meter hohes Panorama mit beeindruckender Wimmelbild-Photomontage. Von einem Gerüst aus blickt man von der Kreuzberger Sebastian-strasse in den Todesstreifen nach Mitte. Im Vordergrund eine Tankstelle, Würstchenbude, Partypeople, Mauer mit Graffitis, ein Holzausguck, ein besetztes Haus, Strassenzüge, Möbel Olfe ... dann die Grenze mit Wachtürmen, Soldaten, Hunden und im Hintergrund die Häuser im Osten (genauso fertig wie die im Westen). Alles dramatisch ausgeleuchtet. Dazu eine fetzige Soundkulisse aus historischen Radioausschnitten und schnulzigen Streichern. Und dann wird es dunkel, alle Schulkinder werden ruhig und man denkt, jetzt geht die Show los. Aber nix, das Licht schleicht sich wieder ein, der Radioloop ebenso, fertig. Danach enttäuschtes Schulklassengemurmel- und geschlurfe. Eigentlich ein gigantisch inszeniertes Bühnenbild à la Struth und Gursky zusammen. Hm.



GOLDBERG THORSTEN 7. April 2017
Stein – Papier – Schere
Oberbaumbrücke, Berlin

+ da warte ich eine Ewigkeit auf Bäschteli und frage mich plötzlich, von wem sind eigentlich diese beiden Neoninstallationen a la Bruce Nauman, die da in der Brückenmitte um die Wette leuchten? Mochte die zwei Blinkhände mit den Scherensteinpapier-Zeichen immer ganz gerne, wenn ich Nachts über die Oberbaumbrücke fuhr.
Aha, es ist Thorsten Goldberg, der mit dieser spielerischen Geste den ehemaligen innerstädtischen Grenzübergang beleuchtet. Schöne Arbeit. Schönes Glücksspiel in universeller Sprache (obwohl, machen die das auch in Argentinien?). Ich verliere meistens, weil ich immer erst Papier mache und alle Anderen immer erst Schere.



MAJERUS MICHEL 24. April 2017
Laboratorium für die Feststellung des Offensichtlichen
Michel Majerus Estate

+ Das Laboratorium und ehemalige Atelier von Majerus sieht sehr schick aus. Nach Bettinas Erzählungen hab ich mir eher einen überbordenden Ort à la Dieter Roth vorgestellt. Die Gastkuratorin Brigitte Franzen hat Majerus Bibliothek aufbauen lassen, um Verbindungen zwischen seinem Frühwerk und den unterschiedlichsten Magazinen zu knüpfen. Ein gut funktionierendes Referenzsystem. Auch einige seiner Arbeitshefte mit Skizzen, Entwürfen, reflexiven Gedanken und furznormalem Alltagskram wurden gescannt und sind nun per iPad zugänglich. Darüber hinaus wurden manche Notizen von Schauspielern eingesprochen und über eine Hörstation erfahrbar. Man taucht also in eine geordnete Innenwelt eines Künstlers ein und steht gleichzeitig vor riesigen Leinwänden, die eigentlich zu gross sind für den Raum und in ihrer Hängung eine tolle Schichtung ergeben. Halb Archiv, halb Ausstellungsort. Das ist alles fein und macht Lust, mit den Verknüpfungen loszulegen.



POLLESCH RENÉ 8. Mai 2017
Keiner findet sich schön
Volksbühne Berlin

+ da glitzert die Volksbühne von unten bis oben in schwarzem Lametta, Bert Neumanns letzte(?) Bühne und dann tritt Fabian Hinrichs auf und spricht leise, langsam, verständlich und beginnt mit dem unendlich lustigen und traurigen Konjunktiv-Monolog: was wäre geschehen, wenn ich damals... Und dabei geht es natürlich um Liebe, um Annerkennung, um Helden und um diese hässliche Verkaufswelt. Es geht darum, für irgendjemanden interessant und wichtig zu sein. Es geht um Thinderdatings, die Altersgrenze 40, um noch mehr Thinder, um das echte Gespräch und die grausame Einsamkeit. Und Hinrichs verausgabt sich hinreissend, mit grosser Ernsthaftigkeit und Präsenz. Und immer enden seine Möglichkeitsvarianten im Desaster. Es menschelt so sehr in Polleschs feinen Beobachtungen, nie verachtend, sehr verzweifelt, aber auch sehr zärtlich. Und die andauernde Weltuntergangstimmung krönt Hinrichs mit einem Lächeln. Und am Schluss klatschen alle doppelt. Tschüss Volksbühne



BEUYS 6. Juni 2017
Dokumentarfilm von Andres Veiel
Yorck Kino, Berlin

+ ich glaub, mich nervten die Kinobesucher zu sehr, die dämlich lachten, sobald Beuys einen schnittigen Kommentar machte. Die meisten ohne einen Funken Selbstzweifel, ob der seinerzeit so weit voraus denkende Beuys einen in den 70er nämlich nicht auch verwirrt hätte mit seinem allumfassenden Demokratie-Kunst-Konzept. Das ist natürlich einfach, vierzig Jahre später alle Provokationen logisch und supi zu finden. Fast schon so, als wäre seine Kunst eine lustige Idee gewesen. Obwohl der Film ja recht deutlich macht, wie aktuell sein Anliegen noch immer ist. Aber irgendwie befeuert er dennoch dieses unangenehm charismatische Heldenbild. Zwischendurch dachte ich sogar, was für ein Sackgesicht, dieser Beuys. Abgesehen davon, dass es eigentlich ein ganz toller Film ist, hab ich seine Längen vermisst. Ich hätte Beuys neben zum Beispiel gerne ausführlicher zugesehen, wie er seine Weltformel entfaltet.

Alle Fotos: Esther Ernst