Merlin Carpenter

Galerie Neu

2017:September // Hans-Jürgen Hafner

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09-2017

Negativer Raum

Wenn Merlin Carpenter einen Eindruck nicht erweckt, dann denjenigen, dass er sich keine Mühe geben oder, für eine andere Diskussion, Arbeit machen würde. Im Gegenteil. Nicht nur, dass er nicht gerade wenig (Ausstellungen, Arbeiten, Auftritte usw.) macht, macht er sich – und uns Follower/innen – nicht nur statistisch, sondern auch qualitativ immer weiter ganz schön viel Mühe/Arbeit. Wiewohl Carpenter gern in Serie geht – wenn Ausstellungen etwa so aussehen, als wären sie Anlass/Rahmen für eine (meist aber mindestens zwei) durchzudeklinierende Idee(n) bzw. wenn ein Thema, im Effekt für Praxis und/oder Werk durchaus architektonisch, über mehrere Ausstellungen/Kontexte hinweg bearbeitet/variiert und zugleich diskursiviert bzw. (selbst-)kritisch reflektiert wird –, denke ich bei ihm nicht automatisch an, sagen wir, Jens Wolf oder Ian Wilson. In anderen Worten ist Merlin Carpenter für mich und, wie ich immer wieder höre, auch andere, ein Füllhorn der Überraschungen: echte Brüche und falsche Kontinuitäten, auch je nach zeitlicher, interessensbezogener oder sonstiger Nähe oder Distanz interessanter/gelungener und uninteressanter/misslungener wirkende Arbeiten/Konzepte, Wows, Enttäuschungen, unsere und Deine Elefanten im Zimmer inklusive –, und gerade darin eine mittelfristige Bastion. Das hat er auch prompt in seiner Ausstellung „MID­CAREER PAINTINGS“ in der Kunsthalle Bern vor zwei Jahren bearbeitet und, erwartungsgemäß, in seiner inhärenten Pro-blematik nach beiden Seiten – Unterhalter und Unterhaltene – vor und zurück gespielt. Aber wie gesagt, an Mühe/Arbeit hat es nie gefehlt.
„Business Women“, seine kürzliche Ausstellung bei NEU, habe ich mir dann aber doch vor allem wegen des Pressetexts angeschaut. Der war, ich gestehe: leider, weil die von Carpenter selbst verfassten sind in der Regel das Tollste, nicht von ihm, sondern von der notorisch auch sehr guten Kerstin Stakemeier und versprach mit Rekurs auf Marx’ Wertform gleich im ersten Satz, dass Carpenter „Malerei als negativen Raum aufschließen“ (in der in der Galerie ausliegenden und erst vor Ort registrierten deutschen Übersetzung „erschließen“) würde – und zwar „nicht als einen Raum für Negation“, sondern als einen der „Negativität.“ Wow, dachte ich mir, dies im Großen und Ganzen nicht verstehend. Und aber, dass das ja mal was wäre.
In der Ausstellung selber habe ich dann einen schönen Raum mit einer Reihe von großen und, für sich betrachtet, leidlich interessanten Gemälden gesehen, die, mit einer im Entrée sozusagen vorgelagerten Ausnahme, ein und dieselbe Bildidee variierten. Diese basierte im Wesentlichen auf dem traditionsreichen Topos des Bilds im Bild am Beispiel Spiegel und bezog ihre Aktualität/Brisanz daraus, dass den vor den jeweiligen Spiegeln offensichtlich ‚posierend’ gezeigten Frauenfiguren (in unterschiedlichen Graden durchwegs ‚guter‘ An- oder Ausgezogenheit und in den Titeln durch Namen sozusagen identifiziert) statt ihrer ein männliches Spiegelbild (immer ‚gut‘, d.h. mit Anzug und Krawatte angezogen, immer dieselbe Figur) gegenüberstand. Die eine Ausnahme, das erste Bild der Ausstellung, zeigte „Graham“ (so der Titel/Name der Figur) in einer Art Feldherrenpose hoch zu Ross (Stute?). Da ist dann das Gemälde all-over Spiegel oder eben Bild.
Im Raum der Negativität und mit der Malerei „als negative soziale Form“ würde es, laut Pressetext, außerdem und unter anderem um Narziss gehen bzw. was aus ihm unter entsprechenden Bedingungen geworden wäre. Das kann durchaus sein und mag, als Thema der Schau, interessantere Fragen aufwerfen als die, wie Malerei als negative soziale Form mit einem Raum (der Negativität) voller – wie gesagt, nicht eben allzu ‚gut‘ (aber wen interessiert das eigentlich noch?) – gemalter Bilder auf Basis zweier Mittelklasse-Bildideen zusammenhängt; ein Raum, der sich zudem zusammen mit den anderen betriebskonventionellen Paraphernalien von der kryptischen Einladungskarte bis zur wild wuchernden Instagram-Präsenz als Ausstellungs- und Aufmerksamkeitswert formatiert. Dabei ist die im Text gelegt Spur einer Äquivalenz von „Wert“ und „Malerei“ theoretisch – und darin psychologisch – interessanter als die praktisch anwesende Kluft zwischen Malen und Bild, Wollen und Können, wo eh die meisten ganz zufrieden scheinen, so lange das alles sowieso irgendwie Kunst ist, bei der wir eh alle immer schon (und bis auf Weiteres) mitgemacht haben (werden). So lange es so weitergeht, bist Du lieber privat versichert.

Merlin Carpenter „Business Women“, Galerie Neu,
Linienstraße 119abc, 10115 Berlin, 13.6.2017–11.8.2017