Mit Schnitte #10

Anja Majer und Esther Ernst im Gespräch mit Antje Majewski

2017:September // Esther Ernst und Anja Majer

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09-2017

Anja Majer und Esther Ernst im Gespräch mit Antje Majewski anlässlich ihrer Performance „The Song of Wheat“ in der Ausstellung „Conditions of Political Choreography“ am 6. Juli 2017 im Neuen Berliner Kunstverein.

Antje Majewski/ Hallo. Tut mir leid, ich habe unseren Interviewtermin vergessen und sehr wenig geschlafen und irgendwie geht es mir heute nicht so besonders. Aber ich bin froh, dass wir jetzt noch ein Skypegespräch führen. Vielen Dank euch beiden.
Ihr wollt bestimmt wissen, wie es einem nach einer Aufführung geht, oder? Wir sind gestern nämlich noch lange ausgegangen und ich bin es gar nicht mehr gewohnt. Danach war ich irgendwie noch aufgeregt und bin erst um halb fünf eingeschlafen, musste aber um sieben wieder aufstehen, weil mein Auto kaputt war. Deswegen bin ich heute ein bisschen durcheinander.
Anja Majer/ Hast du selber performt gestern Abend?
Majewski/ Nein, ich hab drei tolle Opernsänger von der Hanns-Eisler-Hochschule engagiert. Das war ein sehr schö­ner Abend. Und ich hab viele Freunde gesehen und neue Leute kennengelernt, und dann schwebten mir zu Hause noch die Musik und die Gespräche im Kopf rum.
Majer/ Bist du generell gerne auf Vernissagen?
Majewski/ Das kommt drauf an. Bei guten Freunden, denen ich gratulieren kann und mich darüber freuen, was die Tolles gemacht haben, gehe ich gerne zur Vernissage. Ansonsten eigentlich nicht mehr.
Esther Ernst/ Warum?
Majewski/ Naja, zum einen hab ich einfach sehr viel zu tun. Ich bin ja auch noch Professorin in Kiel, fahre da fast jede Woche im Semester hin und führe nonstop Gespräche mit Studenten und Kollegen. Und wenn ich zurückkomme, möchte ich ins Atelier auf’s Land fahren und niemanden mehr sehen.
Zum anderen bin ich jetzt neunundvierzig und seit 1991 in Berlin und habe die ersten fünfzehn Jahre sehr viele Vernissagen mitgemacht. Ich fand das auch total aufregend, aber irgendwann lässt das halt nach, weil man das Ganze in- und auswendig kennt.
Wenn ich Zeit habe, gehe ich mit Freunden oder meinem Mann in Ruhe ein paar Galerien oder Ausstellungen nacheinander anschauen. Eine Vernissage schluckt einfach ganz schön viel Zeit, wenn man da so rumsteht und quatscht. Ist mal ganz nett, manchmal aber auch langweilig.
Majer/ Das Ausstellungsprojekt im NBK hat ja mit einem Konzert eröffnet. Als wir dich zum Interview eingeladen haben, hast du in der E-Mail geschrieben, dass das keine Eröffnung im klassischen Sinne sei, und dass du da relativ emotionslos sein wirst.
Majewski/ Ja, bei diesem Konzert war ja auch nichts von mir im Raum. Das war ein Konzert einer jiddischen Band, als Auftakt. Die Ausstellung hat ein besonderes Konzept: alle Arbeiten der KünstlerInnen haben einen performativen Anteil und werden nacheinander aufgeführt, es ist also keine Gruppenausstellung im klassischen Sinn.
Ernst/ Warst du vor der Performance nervöser als vor einer Ausstellungseröffnung mit Bildern? Ist es eine andere Art von Nervosität?
Majewski/ Ja. Da hängt auch ein großformatiges Bild von mir, das ich extra für die Ausstellung konzipiert habe. Und da war ich doch etwas aufgeregt, weil ich nicht wusste, wie es ankommt, und ob es vielleicht kitschig wirkt. Ich hab dann an den Reaktionen gemerkt, dass diejenigen, die da waren, es gut fanden.
Für die Performance habe ich mit der Komponistin Katrin Vellrath zusammengearbeitet. Wir hatten drei Tage Probezeit mit den Sängern und haben viel geübt. Und da bin ich vor der Aufführung schon nervös und hoffe, dass alles klappt und die Sänger nicht rausrutschen, weil es in dem Stück viele Dissonanzen und Tempoverschiebungen gibt. Aber es ist alles gut gegangen.
Die Nervosität vor der Performance ist für mich leichter, weil ich sie mit den anderen teile. Ich arbeite sehr gerne in Kollaborationen. Da freut man sich einfach auch schon aneinander und fühlt sich nicht so ausgeliefert. Ich mache tatsächlich fast keine Soloausstellungen mehr, außer wenn ich in der Galerie ausstelle, aber in Institutionen lade ich immer sehr gerne Freunde mit ein. Dann bin ich nicht so alleine.
Majer/ Glaubst du, dass sich das klassische Ausstellungsformat mit Eröffnung gerade ein bisschen selber überholt? Oder ist das eher deine persönliche Vorliebe, dass du in diese Richtung gehst?
Majewski/ Also ich bin von Natur aus eigentlich mal sehr schüchtern gewesen und das verliert sich ja auch nie. Deswegen waren Eröffnungen früher der Horror. Die waren wie ein schwarzer Tunnel und am Ende ist das Licht. Und auf dem Weg dahin trinkt man zu viel Wein. Das ist heute nicht mehr so, was schon auch daran liegt, dass ich viel mehr Routine habe.
Aber ich glaube nicht, dass sich die Eröffnungen erübrigen, weil es doch auch schön ist, so zusammenzukommen. Ich finde es wichtig, dass sich die Freunde gegenseitig zeigen, dass einem die Arbeit, aber auch die Person etwas bedeutet. Ich glaube, dass das für Künstler und Künstlerinnen wichtig ist.
Ich hatte bei der Galerie Neugerriemschneider zwei Ausstellungen, die ohne Eröffnungen angefangen haben. Und die verschwanden vom Gefühl her fast ein bisschen sang- und klanglos, weil man nicht unbedingt mitkriegt, wer die Ausstellung sieht.
Majer/ Die Vernissage war ja auch mal ein internes Zusammensein vor der Ausstellung. Da ging es um das gemeinsame Hängen, die Platzverteilung, darum, sich gegenseitig zu beäugen – und zu feiern. Und dann erst konnte die Öffentlichkeit kommen. Wobei das ja heute auch fast nur Leute aus dem Kunstkontext sind, oder? Wie war das denn gestern?
Majewski/ Für die Performance wünsche ich mir natürlich, dass auch viele Leute kommen, die nicht mit mir befreundet sind. Bei dieser Performance ist aber tatsächlich wichtig, dass pünktlich angefangen wird und die Leute pünktlich da sind, und das ist im Kunstkontext nicht so gegeben. Da kommen ja alle immer zu spät, ich auch. Man ist das nicht gewohnt. Performances sind sonst meistens on­going. Bei mir ist sie aber wie eine konzertante Aufführung, wie eine Kantate angelegt.
Ernst/ Wie würdest du denn das Publikum von gestern beschreiben?
Majewski/ Die Hälfte der Leute kannte ich. Die andere Hälfte bestand aus nett aussehenden Menschen.
Nochmal zurück zu der Frage, was die Öffentlichkeit eigentlich auf der Eröffnung macht. Ich habe vor etwa einem Jahr miterlebt, wie Tobias Rehberger bei Neugerriemschneider eine Vernissage gemacht hat, bei der nur Künstler eingeladen waren, also unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das war eine riesige Gruppenausstellung, und die haben versucht, alle Künstler, die in dieser Ausstellung vertreten waren, nach Berlin zu bringen. Das muss für die Galerie sehr kostspielig gewesen sein, weil die Künstler zum Teil von weit her kamen. Und ich weiß auch nicht, wie die das logistisch geschafft haben, denn da waren viele bekannte und beschäftigte Menschen darunter. Also, das war schon irgendwie aufregend, aber auch ein ganz seltsames und ungewohntes Gefühl, dass wir Künstler so unter uns sind.
Für mich war daran störend, dass auf einmal nur noch ein Drittel oder noch weniger Frauen da waren. Das spiegelt zwar die Realität im Kunstbetrieb wider, ich fühlte mich aber ein bisschen verloren. Toll war an diesem Abend die Intimität. Ich habe ein ganz, ganz langes Gespräch mit Paweł Althamer geführt. Den mag ich sehr, aber wir haben leider nie die Zeit, uns zu treffen. Dadurch, dass nur wir Künstler untereinander waren, haben wir uns auf eine andere Art ins Gespräch gestürzt. Wir hatten mehr Zeit und waren nicht abgelenkt. Das war schön.
Ernst/ Ich würde gerne noch mal über den Unterschied zwischen Performance und Vernissage sprechen. Mein Gefühl ist, dass sich nach einer Theaterpremiere oder Performanceaufführung die Gespräche der Besucher stark um das gemeinsam Erlebte und Gesehene drehen, während sich dass auf Vernissagen nicht so klar verhält. Wie war das bei dir?
Majewski/ Also, ich habe gestern ein paar längere Gespräche geführt. Mit meinem Galeristen zum Beispiel, der einfach nochmal genau die Hintergründe dieser Arbeit wissen wollte. Dann waren zwei Frauen von einem Kunstmagazin da, die haben ganz viele Fragen gestellt und wollten auch wirklich verstehen, worum es da geht. Dann noch mit einer Freundin von mir, die aus Israel kommt. Mit der habe ich über Einzelheiten im Text gesprochen, weil ich mir an ein paar Stellen nicht sicher war, politisch gesehen, wie sie das auffasst. Und drei Freundinnen haben mir gesagt, wie toll sie das Bild fanden. Es war eine schöne Mischung; professionelles Interesse und Gespräche mit Freunden.
Majer/ Jetzt ist es ja so, dass, anders als bei der klassischen Eröffnung, die dann vorbei ist, die Performance in den kommenden Tagen noch ein paar Mal aufgeführt wird. Und damit hättest du auch die Möglichkeit, etwas anders zu machen. Wie eine Korrektur in der Zeit. Hattest du gestern das Gefühl, du müsstest etwas ändern?
Majewski/ Ja, ich nehme tatsächlich einen Satz wieder raus. In der Woche zuvor habe ich zusammen mit Susanne Winterling einen Abend zu den Wasserproblemen in Israel veranstaltet. Meine Arbeit geht ganz stark um die Entwicklung des Weizens und zum Schluss auch um Landwirtschaft in Israel. Und ich gehe nicht so sehr auf die politischen Probleme und die Landnahme – oder wie immer man das nennen möchte – der Israelis ein. Ich habe das Gefühl, das ist so komplex, ich will da keine Aussage treffen.
Bei der Diskussion war an dem Abend ein Hydrologe aus Ramallah da, der sehr stark antiisraelisch war, und ich hatte einen israelischen Wasser- und Nachhaltigkeitsspezialisten eingeladen, der heute in Deutschland lebt. Und aus dieser Veranstaltung mit den verschiedenen Blickwinkeln hatte ich gestern Nachmittag noch zwei Sätze in den Text reingeschrieben. Dann habe ich die in der Performance ausgesprochen gehört und irgendwie passte es nicht in den Text. Ich habe das mit der israelischen Freundin besprochen und die Sätze dann doch wieder rausgenommen.
Majer/ Ich finde das interessant, weil es ja oft so ist, dass man den Impuls hat, noch etwas zu verändern nach der Eröffnung. Weil man die Arbeit mit anderen, vielleicht fremden Augen anguckt. Also du sagst ja, mit diesen Sätzen, das hat ganz viel mit dem Kontext zu tun, was steht neben was. Und das wird manchmal eben erst in der Veröffentlichung und den daraus entstehenden Reibungen sichtbar.
Majewski/ Ja, mir geht es bei Bildern so, dass ich danach manchmal noch Fehler sehe. Oder Dinge, die man besser machen könnte. Aber andererseits weiß ich auch nicht, ob es dann besser würde. Zum Glück gibt es diesen Moment der Deadline, wo das Bild abgeholt wird. Danach muss ich mit mir selbst ausmachen, dass ich es in Ruhe lasse.
Ernst/ Findest du auch, dass du während der Performance das Publikum konzentrierter an deine Arbeit binden kannst?
Majewski/ Also dadurch, dass die Zuschauer 25 Minuten auf einem Stuhl sitzen müssen, gibt es natürlich eine besondere Konzentration.
Und das ist im Kunstkontext ja total unüblich, dass Leute mehr als zehn Minuten still an einem Fleck sitzen. Selbst bei Filmen sind manche schon nach drei Minuten ungeduldig … Ich habe viele meiner Filme auf Vimeo gestellt und kann da nachvollziehen, wie viel Prozent des Films sich die Leute angucken. Man merkt, welche Filme den Zuschauer bis zum Ende interessieren.
Bei der Performance dachte ich, dass die alle so still dasitzen, weil sie das aus dem Theater gewohnt sind.
Majer/ Na, stell dir vor, eine Vernissage, bei der alle Leute vor den Arbeiten stehen, nicht sprechen und über 25 Minuten wirklich sich eine Sache angucken.
Majewski/ Genau, und das ist bei der Performance jetzt fast ein bisschen ein Trick. Es gibt dieses große Gemälde, und am Anfang hört man ein paar Glocken, und dann sitzen die Leute erstmal ein paar Minuten davor. Erst dann kommen die Sänger rein. Das heißt, die Leute haben erstmal Zeit, sich das Bild ganz genau anzuschauen. Und in dem Moment, wo die Sänger davor sitzen, wird das Bild zu einem Bühnenbild und fängt an, sich zu verändern, im Verhältnis zu dem Text, der gesprochen wird.
Ernst/ Noch eine profane Frage: Ziehst du dich für Vernissagen speziell an?
Majewski/ Ja. Ja, ich glaube das macht jeder. Ich habe ein Vernissagenkleid, das ziehe ich seit zehn Jahren sehr oft an. Ein dunkles Kleid von Isabel Marant, das ist ein bisschen wie ein Glücksbringer. Und ich muss darin nicht weiter darüber nachdenken, wie ich aussehe, weil ich weiß, wie ich aussehe.
Majer/ Jetzt noch eine letzte Frage: Wenn du dir aussuchen könntest, zu deiner nächsten Eröffnung oder Performance dir jemanden einzuladen. Rund um den Erdball und egal aus welcher Zeit. Wen würdest du dir wünschen?
Majewski/ Ach Gott, das ist jetzt aber echt eine schwere Frage. Und was macht die Person dann da?
Ernst/ Die kommt und guckt deine Arbeit an. Als dein Gast.
Majewski/ Aber da ist ja die Frage, ob diese Person dann auf meiner Eröffnung ist, wo noch ganz viele andere Leute diese Person auch kennenlernen wollen. Dann habe ich ja gar nicht so viel davon. Also da wäre mir doch lieber, ich hätte diese Person bei einem Atelierbesuch ganz alleine für mich.
Ernst und Majer/ (überrascht) Ahhhh.



Foto: Anja Majer und Esther Ernst Wobei die Frage bleibt, wie dieses Mal die Schnitte via Skype verzehrt wurde