Neo Rauch versus Wolfgang Ulrich

Erhöhter Bräungsgrad

2021:Juni // Elke Stefanie Inders

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06-2021

Erhöhter Bräunungsgrad
oder: Schon total in die Scheiße geritten?

Wolfgang Ullrichs Bericht „Feindbild werden“ erschien 2020 im Wagenbach Verlag und ist als analysierende Re­plik auf Neo Rauchs Gemälde „Der Anbräuner“ von 2019 zu verstehen, dem wiederum ein Zeit-Artikel von Ullrich vorausging, der im Mai 2019 erschien und in dem Ullrich herausstellt, dass die Kunstfreiheit neuerdings von der Neuen Rechten für sich reklamiert wird, der sich einige Vertreter der Neuen Leipziger Schule zuordnen lassen, u.a. Neo Rauch. Dieser antwortete mit ebenjenem Bild „Der Anbräuner“, auf dem man einen männlichen Maler sieht, der mit seinen Fäkalien ein Bild malt, u.a. deutlich erkennbar die Initialien W. U. Durch das Fenster im Hintergrund schaut eine Person, deren Gesicht an Adolf Hitler erinnert. Der Titel „Der Anbräuner“ geht auf einen Aphorismus Ernst Jüngers zurück.
Soweit lautet die eher nüchterne Kurzzusammenfassung einer Auseinandersetzung, vor deren Hintergrund der Kunsthistoriker Ullrich den sogenannten neuen Ost-West-Konflikt skizzieren will. Beides, sowohl das Gemälde als auch der Artikel Ullrichs, haben hohe Wellen geschlagen, nicht nur in der Kunstwelt, sondern auch sonstwo und dies mit ziemlicher Sicherheit auch deshalb, weil hier nicht nur vermeintliche „Ost-West-Befindlichkeiten“ tangiert werden, sondern die weitaus grundsätzlicherere politische Problematik um die Wirkungsmechanismen der Neuen Rechten.

Neue Altbekannte oder altbekannte Neue?
Fast schon klamaukhaft und realsatirisch muten hier die gedanklichen Wortspielchen an, die man mit Neo Rauchs Namen und der Namensinitialienübereinstimmung W. U. im Bild „Der Anbräuner“ anstellen kann. Ist damit Walter Ulbricht oder doch Herr Ullrich gemeint? Und überhaupt, trägt der Ullrich nicht auch so einen ähnlichen Bart wie der ehemalige Vorsitzende des Ministerrates der DDR? Hat sich Letzteres der neorechte Rauch gedacht, weil er eigentlich doch nur ein Konservativer oder Romantiker sei, als den er sich selber bezeichnet, aber gerne mit brauner Farbe male und sich von Ullrich denunziert fühle wie einst Jünger und das erinnere ihn an das verhasste Gesinnungsdenunziantentum in der DDR, aus der er stamme? Wahrscheinlich irgendwie! Nur ist das ein fataler Übertragungsfehler, eine Fehlanalogie und weitaus weniger mokant, als man meinen könnte. In den Fokus und auf den Prüfstand geraten ist nun viel weniger das Werk Rauchs, sondern die Person Rauch, seine verschwurbelten, aber auch ziemlich aussagekräftigen Äußerungen, seine DDR-Biografie und der Künstlerkreis um ihn.
In Ullrichs Bericht wird auf knapp 160 Seiten viel verhandelt und man bleibt ziemlich unangenehm berührt bzw. rechts angeekelt sowie ratlos zurück. Der Zeit-Artikel Ullrichs schlug im Gegensatz dazu einen weitaus dezidierteren Ton an, um neurechte Tendenzen in der Kunstwelt zu benennen. In seiner Direktheit offensichtlich gebremst, aber ebenso getroffen wie Neo Rauch, arbeitet sich Ullrich daraufhin akribisch am vermeintlichen Ost-West-Konflikt, dem neurechten Populismus, der Funktion des Schmähbilds, den Autonomiebestrebungen und Identitätssuchen und noch anderen politischen und kulturellen Phänomenen in der Kunstwelt ab, um rechte Tendenzen in der Kulturwelt zu identifizieren und um damit das seltsame Gebaren Neo Rauchs zu analysieren. Inzwischen ist das Gemälde längst für viel Geld verkauft worden und wenn es nach Christian Lindner ginge, sollte es einen Platz in künftigen Schulbüchern, als Sinnbild der Debattenkultur der 2010er- und 2020er-Jahre, bekommen. Selbst diese Charity-Verkaufsauktion analysiert Ullrich minutiös und man fragt sich beim Lesen, warum Ullrich wirklich jeden auch nur so kleinen Stein in der Causa Neo Rauch umdreht? (Siehe auch „von hundert“ #33 – 09/2019, „Einer von hundert“)
War er sich doch nicht so sicher in seinem Urteil über Rauch, wollte er möglichst widerspruchsfrei urteilen oder dann doch letztlich Rauch die Möglichkeit offerieren, in eine öffentliche Debatte einzuwilligen, denn Ullrich schlägt am Ende seines Berichtes einen sehr versöhnlichen Ton an und will Rauchs Bild unbedingt als Ausdruck eines spezifischen Ost-West Konfliktes gewürdigt sehen. Bis jetzt ist Rauch darauf jedenfalls nicht eingegangen, wenn das die Intention Ullrichs gewesen wäre, und subsummiert man die öffentlichen Äußerungen Rauchs, dann will er das auch höchstwahrscheinlich gar nicht, bzw. zeichnet Rauch eine ganz persönliche Note im Umgang mit Kritik aus. Die andere Frage ist aber auch, ob der vermeintliche neue Ost-West-Konflikt wirklich das „zu würdigende“ Problem sei und nicht ein altbekanntes, politisches Phänomen in immer neuem Gewand ist.

Ernst Jünger und seine Entourage
Neurechte Tendenzen sind mit Sicherheit kein genuines Phänomen bei Bürgern der ehemaligen DDR, sondern sie haben eine mehr oder minder starke Konjunktur in allen gesellschaftlichen Schichten, sie existieren in ganz Europa, den USA, Lateinamerika, kurzum sind sie ein globales Phänomen und Problem. Die BRD hat noch in den 80er-Jahren Ernst Jünger den Goethepreis verliehen und gerade kürzlich ist ein Band in der nicht endenden Jünger-Debatte erschienen, in dem Botho Strauß erneut seine abwertende Haltung gegenüber der deutschen Nachkriegsliteratur affirmiert, die ihm zu herrschaftskritisch sei, da ihr der reine Geist fehle, den Jünger offensichtlich gehabt habe. Hier offenbart sich nicht nur ein hochgradig konservatives Kunstverständnis, das die Idee des Geniekultes favorisiert und ästhetisiert, damit eben jener Genius, jeglicher politischer Zuordnung entbunden, sich vollends entfalten kann, um ein würdiges Kunstwerk zu schaffen. Exakt mit dieser Äußerung offenbart Strauß ja eine ganz klare politische Haltung und das als Künstler, der er ist.
Müssen wir jetzt unbedingt Strauß’ Biografie sondieren, um zu verstehen, warum jemand so geistfreie Äußerungen und absolut politische, zugegeben sprachlich einwandfrei, absondert? Wohl kaum! Man kann daraus, wahrscheinlich in seinen Augen total geistfrei ableiten, dass er mit so einer Äußerung nur den genialen apolitischen Geist selber gelten lässt, demnach ein herrschaftskritischer Künstler kein Künstler oder eben nur ein Dilettant sei. Wohlgemerkt attestiert Strauß dies Schrifstellern, die nicht in einer Diktatur gearbeitet haben und die aus freien Stücken herrschaftskritische Literatur schrieben.
Und wie steht Rauch zu Jüngers Werk? Dies sei für ihn in den neunziger Jahren, wie er in einem absolut aufschlussreichen FAZ-Interview von 2018 beschreibt, „ein anregendes und umfangendes Fluidum gewesen“. Was meint Rauch mit einer derartig fluiden Aussage? Will er damit provozieren oder in die Irre leiten? Tauchen die Motive Jüngers, wie bspw. der Wald des Oberförsters aus „Auf den Marmorklippen“, in Rauchs Bildern wieder auf? Das Setting in „Heillichtung“ von 2014 könnte jedenfalls so etwas wie ein Refugium von Außenseitern sein, die Jünger beschrieben hat, und womöglich identifiziert sich Rauch damit. Nur, worin sucht Rauch die Erlösung und von was? Was soll hier geheilt werden und von wem (dem langhaarigen Mann in Converse-Turnschuhen)? Im Hintergrund geht jedenfalls schon ein Haus in Flammen auf. Ist die Szenerie religiös oder politisch zu verstehen? Dies bleibt diffus und fluide. Weniger vage sind allerdings die folgenden Beispiele.

Apolitischer Geniekult versus herrschaftskritischer, aber geistfreier Künstler
An diesem Punkt treffen sich Strauß und Rauch einigermaßen, nicht nur, weil Rauch Lithografien für Strauß entwarf und beide offensichtlich Ernst Jünger zugeneigt sind, sondern beide identifizieren den herrschaftskritischen postmodernen Diskurs in der Demokratie als den Kunstfeind Nr. 1. Daraus kann nicht nur ein ebenso konservatives Kunstverständnis abgeleitet werden, sondern eben auch ein hanebüchend falsches politisch-historisches Einordnungsvermögen, was Neo Rauch auf frappierende Weise an folgendem Beispiel verdeutlicht.

Die One-Million-Dollar-Frage: Wer war eigentlich Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Herr Rauch?
Als 2018 der Autor Uwe Tellkamp zum wiederholten Male mit AfD-nahen Äußerungen herausrückte, distanzierte sich der Suhrkamp Verlag von ihm. Ein Jahr davor unterschrieb er die Online-Petition von Susanne Dagen gegen die Ausgrenzung der Verlage Manuscriptum und Antaios, in dem u.a. Björn Höcke veröffentlicht. Die für ihn darauffolgende, nicht nachvollziehbare negative Resonanz deutete er als „Gesinnungskorridor zwischen gewünschter und geduldeter Meinung“, wobei er zur Letzteren gehöre. Rauch verteidigte daraufhin in einem Handelsblatt-Interview Tellkamp und bezeichnete ihn als den Wiedergänger Stauffenbergs.
Wie bitte? Hat er das so gesagt? Leider ja! Welche Hybris hat Rauch denn hier geritten?
Der evangelische Theologe Christian Wolff, ehemaliger Pfarrer der Thomaskirche in Leipzig, fragte sich jedenfalls in seinem Blog daraufhin, ob Tellkamp nun eine Art Widerstandskämpfer sei, der in einer freiheitlichen demokratischen Verfassung auf eine Stufe mit einem rechtskonservativen Angehörigen der Wehrmacht gestellt werde, der dann am Ende der Nazi-Diktatur den Weg in den Widerstand fand und das Attentat auf Hitler verübte? Das wäre ja schon bizarr genug! Wolff schlussfolgert dann also weiter, dass wir ja demnach in einer Diktatur leben müssten und der Suhrkamp Verlag ein Kollaborateur des Meinungsdiktatur-Systems sei, was beseitigt gehöre. Nein, das ist keine Realsatire, sondern lässt auf grobe Unkenntnis der Geschichte schließen, und man kann es auch als Versuch verstehen, die Geschichte umzudeuten. Dann wäre Merkel ja … genau!
Okay, die Antwort auf die Frage hat Herr Rauch definitiv verkackt, aber kann ihm ja auch egal sein, er ist jedenfalls kein Wendeverlierer und verdient woanders seine Millionen, denn seine Bilder gehen trotz alledem weg wie warme Semmeln.
Auch „Der Anbräuner“ wurde bei besagter Charity-Auktion für eine dreiviertel Million von dem Immobilieninvestor Christoph Gröner gekauft, der damit das Foyer eines Hauses schmücken will, in dem dann fortan ein Verein für gesunden Menschenverstand residieren soll, um objektiv über gesellschaftliche Fakten zu berichten. Wahrscheinlich sind diese Fakten dann genauso objektiv richtig wie Rauchs Geschichtskenntnisse.

Der Zaubermeister Rau(s)ch
Um analytisch trennscharfe Fakten geht es Rauch offensichtlich auch nicht. Der Mann ist schließlich Künstler und muss an seinem eigenen Mythos feilen. Und wie es Legenden und Mythen nun mal an sich haben, können sie sich meist gar nicht wie überliefert zugetragen haben, aber beinhalten irgendwo auch einen Funken Wahrheit. Beides findet sich definitiv in einer der bizarrsten Äußerungen Rauchs, in der er die Geschichte von seiner Entwicklung weg von der Abstraktion hin zur figürlichen Malerei schildert, die er in o.g. FAZ-Interview von 2018 mit Rose-Maria Gropp und Stefan Trinks eindrucksvoll humorbefreit, ohne jegliche Selbstironie wiedergibt, und auch die Wiederverzauberung der Welt als sein künstlerisches Thema bezeichnet. In dieser Geschichte gerät er in einer fremden Stadt in eine Souterrain Bar, in der er die Toilette aufsuchen will, dabei nimmt er an einer Wand der Bar ein gusseisernes Tondo wahr, das wie ein Mandala aussieht und in dessen Mitte sich eine Swastika befindet. Unklar bleibt in dem Interview, ob Rauch das wirklich erlebt hat oder ob er sich das zusammenfantasiert hat. Wichtig ist wohl auch, dass der Raum 30 mal 30 Meter maß. Die darauffolgenden Worte gebe ich als Zitat wieder, damit sich die volle Wirkung der Rauchschen Zauberei entfalten kann:
„Mir war in dem Moment schon klar, dass es sich um kein politisches Symbol handelte, sondern um ein wirbelndes Sonnenrad. Das war ein Hinweis auf eine Konzentration, auf ein Zu-sich-Finden, ein Sich-Ausmitten, dem ich mich ausgesetzt habe, indem ich danach diese großen schwarzen Tondi gefertigt habe. Die waren etwas wie ein Umarmen des Materials auf dem Boden des Kinderzimmers, des Spielplatzes, im Sinne des Versuchs, alles zusammenzuführen, was mir noch zu Händen ist, zur Verfügung steht, eine Umzirkelung meines Selbst. Da habe ich auch angefangen, die Figuration wieder stärker in den Blick zu nehmen und sie mit der nötigen Liebe wieder zur Geltung zu bringen.“
Wären da nicht die Swastika, die man eben doch anders interpretieren kann und all diese bereits von Rauch geäußerten Dinge, die ihn als rechtskonservativen Künstler definieren, könnte man diese Geschichte als total spinnerten Kokolores oder als satirische Steilvorlage abtun und sich erneut fragen, ob Rauch nicht irgendwas genommen habe, weil die Geschichte ja auch wie ein ziemlich psychedelischer, lustiger Drogentrip klingt, oder ob er nur die blühende Fantasie eines Kleinkindes habe. Unklar ist auch, wieso seine Interviewer ihm daraufhin lediglich die Frage stellen, ob die figurativen Bilder nun gewissermaßen wieder stärker hervorgekommen seien.

Namen sind Schall und Rauch – oder Nomen est Omen?
Rauchs Figuren begeistern jedenfalls viele Sammler und Käufer, die sie in den allermeisten Fällen wahrscheinlich nicht verstehen, wobei seine geliebten preußischen Landwehrmänner mit ihren Tschakos ja eindeutiger nicht sein können. Offensichtlich gelingt Rauch die Zauberei ganz gut und es ist in seinem Sinne, dass man seine Tricks nicht so deutlich erkennt, dass sich gewissermaßen der Schleier der Illusion über alles deckt.
Als die New-York-TimesKritikerin Roberta Smith Neo Rauch einst als Maler titulierte, der aus der Kälte kam, begründete sie damit einen nicht endenden Boom in den USA für Rauchs Gemälde.
Das klang irgendwie nach James Bond, ein wenig böse deutsch und geheimnisvoll, aber trotzdem harmlos und spielte sicherlich auch Rauch in die Hände – und seiner Vorliebe für das Zündeln, wie er selber zugibt. Er meinte damit das Zündeln im geistigen Sinne und begründete diese unumgängliche Preferenz mit seinem Nachnamen. Rauch geht aber noch weiter und sieht in dieser Namensgegebenheit eine Art persönliches Schicksal, dem er als bekennender Fatalist nun also folgen müsse. Ergo sind wir Menschen Wesen, die nicht selbstbestimmt und vernunftbegabt handeln können? Das bedeutet also, dass er gar nicht anders könne und nun mal ein geistiger Brandstifter sein müsse? Leben wir im geistigen Mittelalter oder ist das ein Coming-of-age-Problem? Nein, das sagt ein erwachsener, zurechnungsfähiger Mann, der einfach nicht anders kann und dem es also vorbestimmt ist, dass er nun mal ziemlich rechts denkt? Und wahrscheinlich ist an all dem ja nur dieses blöde Mandala in dieser blöden Bar schuld! Da kann man nur hoffen, dass er sich in Schall und Rauch auflöst, denn harmlos ist das überhaupt gar nicht.

Wolfgang Ullrich, „Feindbild werden – Ein Bericht“, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2020  
Neo Rauch „Der Anbräuner“, 2019, zwei Details
„Ich kann beim besten Willen kein …“
Wie mag es wohl ausgesehen haben, das Swastika-Symbol, das zu Rauchs Wiederfindung beigetragen haben soll? Fotos: Rauch und Swastikas, Genrebilder, Collage: von hundert