Vanity Fairytales

Wohnst Du noch oder platzt Du schon?

2021:Juni // Elke Bohn

Startseite > 06-2021 > Vanity Fairytales

06-2021

Wohnst Du noch oder platzt Du schon?

Timing ist alles, sagen die Leute. Meistens stimmen alle zu. Wahrscheinlich, weil es stimmt. Es geht um den Moment, und der kann richtig oder auch falsch sein. Kommt eben drauf an. Auch, was gesagt wird. Kommuniziert also. Und auch von wem.
Unsere Freunde aus Karlsruhe, nein, nicht das ZKM, hatten unlängst mehr an anderes gedacht, dachten viele, als aus eben jener Stadt versandt ward, dass die Begrenzung des monatlichen Mietzins-Entgelts für Wohnimmobilien im Land Berlin, aka Mietendeckel, gegen die Verfassung verstößt. Dummerweise, hofft man – oder haben auch Bundesgerichtshofrichter*innen Immobilien, die sie maximalerträglich vermieten? In jedem Fall fühlte sich die Bekanntgabe eben dieses Urteils zumindest zeitpunkttechnisch so etwas wie ein bisschen unglücklich an.
Berlin wäre ja aber nicht Berlin, wenn nicht gleich und viel gemeckert und geschimpft würde. Klar, machen sie in, sagen wir, Aachen auch so. Stimmt. Völlig richtig. Doch gibt es in Berlin am Ende eines manchen Tages Menschen, die wiederum andere kennen. Manchmal kennen dann diese noch jemanden. Oder es geht noch mal so weiter. Bis sich etwas entwickelt. Entspinnt könnte man auch sagen. Also aus einer Idee etwas mehr wird. Etwas, das man machen kann. Gut, auch das machen sie in Aachen. Überall eigentlich und natürlich. Vielleicht ist, wenn auch nur ab und an, der Unterschied zu Berlin dann doch die Größe. Oder so etwas in die Richtung.
Also konkret ist das in diesem Fall so, dass jemand aus Berlin jemanden aus einer anderen Stadt kennt, der wiederum Steffen Seibert kennt, der in Berlin wohnt und auch arbeitet, wie wir wissen.
Doch auch wenn das so ist, kann der Steffen Seibert ja nicht einfach so nach Karlsruhe, also kann er schon, doch ob er das wollen würde, hat ihn keiner gefragt. Weil es darum ja gar nicht geht. Es geht nämlich darum, dass Steffen Seibert die Seiten tauscht, wie er es nennt. Er wird nämlich etwas verkaufen. Keine Entscheidungen dieses Mal, sondern Kunst. Ja, echt jetzt. Und echte. Kunst.

In der Galerie Société, gesellschaftswirksam gemacht und gedacht vom Daniel von Wichelhaus, wird versteigert. Meistbietend. Bisschen lustig ist der Seibert im Vorfeld, denn er will immer und immer wieder das Wort Galerie mit dem ebengleichen é von Société zu Ende singen. Fast süß, sagen manche. Nicht alle.
Bis hierher ist diese Geschichte allerdings weder spannend, noch lustig, noch relevant, noch irgendwie wirksam. Hatten wir schon oft in und für Berlin so was, doch dieses mal soll es anders werden. Eben auch wegen Karlsruhe.
Der Reihe nach: Nicht jede*r hat eine schöne Wohnung in Berlin. Nirgendwo trifft das auf alle und jede*n zu. Klar. Auch kann sich nicht jede*r überall eine überhaupt passende und würdige Wohnung leisten, also ästhetisch noch vor dem schön. Oder haben so was wie eine solche oder so was ähnliches. Bis dann eben der Wisch in eben dieses Haus flattert, auf dem stand, dass es bald enger wird oder nicht mehr weiter gehen wird können.
In Berlin gibt es, anders als zum Beispiel in Aachen oder Karlsruhe, die KW, die KunstWerke. Eine Institution, dann doch, mitten in Mitte, einem vielleicht ehemals epizentralen Spielplatz der Gentrifizierung, der diese Stadt dann doch im Ansatz zu so etwas wie einer Metropole machte. Fast. In diesen KunstWerken machte, kurz bevor Steffen Seibert auktionieren durfte, Urs Fischer eine brachiale Ausstellung. Solcher hat dieses Haus in der Tat schon einige gesehen, das kann man ohne Ironie so schreiben. Und auch so stehen lassen. Fischer hat nämlich eine Dependance einer Behörde dort installiert. Man kann allerdings nicht sehen oder erkennen oder so, welche ganz genau. Macht aber nix, denn es geht um Gehör. Gehör finden. Denn es können sich dort all jene registrieren lassen, die von nun an ihre Wohnung nicht mehr oder kaum noch halten können. Wertfrei, einfach so. Damit die Kinder der Familien, die es meistens deutlicher trifft, das doch etwas längere Anstehen mitmachen können, hat Fischer in der großen Halle eine Hüpfburg aufgebaut. Super ist die. Vorher wurden und werden alle auf Corona getestet, ist ja wohl klar. Hätte jetzt ja keine*r anders vermutet.
Nach Ende der Schau, die vielleicht spontanste des Künstlers, wurden die Ergebnisse ausgewertet und in gewisser Logik hierarchisiert. Wer hat also mehr Pech oder hätte mehr Probleme, wenn die Wohnung und so weiter. Eine Art von Logik ist einfach immer nötig, Zitat Steffen Seibert.
Die Letzteren auf dieser Liste, die es also hart trifft, aber nicht so hart wie andere, die treffen nun die Angela Bulloch. Denn diese adaptiert ein Werk aus den Nullerjahren; den eben anderen aus Berlin. Diese Menschen können nun ihre Wohnungen (genau, die Fenster) mit Licht aus dem Werk von Bulloch bespielen lassen; wunderbar bewegt. Was das soll und bringt? Ja klar, super Frage! Geld natürlich. Für und dadurch gegen die neue, höhere Miete. Zum einen wird es nämlich von jeder dieser Installationen, und das sind wirklich viele, etliche gar, Fotos geben. Die dann Herr Seibert versteigert. Irgendwer zieht dann das Geld ab, das der Druck und so gekostet hat, und den Rest kriegen die Mieter*innen. Auch können sie in Echtzeit welches machen, so lange die buntierende Lichtinstallation läuft; auf der Straße stehen, vor dem Haus, und gegen Geld einmal einschalten. Fünf Euro oder so. Mal mehr, mal weniger.
Eine weitere Gruppe von Mieter*innen trifft sich mit Miriam Böhm, oder umgekehrt. Ehrlich gesagt treffen sie sich überhaupt nicht, sondern schicken ihre Grundrisse zu ihr. Wenn dieses, nun akut bedrohte Aktuell, den beispielsweise familiären Anforderungen nicht gerecht wird, kann ein Wunsch dazu formuliert werden, ein weiteres Zimmer ist hier bei Weitem absolut unangefochten auf Platz 1. Falls keine Wünsche formuliert werden, arbeitet Böhm mit der harten und kalten Realität des Marktes. Sie stellt dann dem noch realen Grundriss einen solchen gegenüber, den das aktuelle Budget im selben Postleitzahlenbereich bezahlen könnte. Sie stellt in ihren klugen und diesmal erklecklich radikalen Collagen also Wirklichkeit und Anspruch, oder Wirklichkeit und Drohung gegenüber. Prospektiv und erschreckend. Jede*r bekommt eine Ausgabe dieser Arbeiten und kann sie entweder behalten oder auf der Auktion versteigern lassen. Für ein paar Monate länger wie gewohnt wohnen.
In der dritten dieser Gruppen geht es langsamer voran, denn hier ist Malerei im Spiel. Es kommt jemand vorbei, der ein Foto macht. Eines von der Wohnung und eines vom Gesicht. Oder den Gesichtern, die dort aktuell wohnen. Dann passiert erstmal nichts. Warten. Noch etwas warten. Dann kommt ein Foto zurück, modern per Mail oder aufs Telefon. WhatsApp zwar auch noch, viele ja jedoch nicht mehr. Denn Neo Rauch hat, in für ihn rascher und beinahe nervös lebendiger Manier, diese Fotos zu einem Porträt zusammengefügt. Wohnung und Leben. Ein kleines Zeitzeugnis, narrativ bis fast, und dann deutlich, über die Schmerzgrenze zielend, und das in im Wortsinne zahlloser, gar ausufernder Ausführung. Ein Kraftakt.
Wie der Abend der Auktion lief, darüber weiß man nichts. Der Erfolg war sicherlich riesig, wie auch die Probleme und Aufgaben, dererwegen er geschah.
 
Illustration von hundert