Post-Corona

oder: Wie die Kulturprojekte Berlin GmbH und die Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung uns draußen stehen lassen

2021:Juni // Birgit Schlieps

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06-2021

LEERE LÄDEN auf der Schönhauser Allee und jetzt zieht die Kunst ein: artspring Kunstfestival. Post-Corona kann kommen, mit einem mehr als schalen Beigeschmack. Frage: Warum steht der Laden leer? Wann wurde er leergezogen, aus welchen Gründen? Von einem Gewerbemietendeckel hat noch nie jemand etwas gehört. Selbst der Mieterverein gibt sich bedeckt, beantwortet keine Mail-Anfragen, die den bald leergezogenen Laden von Kisch und Co. auf der Oranienstraße in Kreuzberg ins Spiel bringen. Warum? Was steckt dahinter? Wer vertritt hier welche Interessen? Dann die Aktion DRAUSSENSTADT. Künstler*innen sollen unterstützt werden, im DRAUSSENRAUM der Stadt Kultur zu machen, weil der öffentliche Präsentationsmodus DRINNEN lange nicht ging. Mittlerweile ist es wieder möglich mit verschiedenen Begrenzungen, die langsam nach und nach weiter aufgehoben werden. Das konnten die Fördermöglichkeitenentwickler nicht ahnen. Oder doch? Was wird hier eigentlich gefördert und von wem?

DREI FÄLLE
(1) Im September 2020 wurde der Draußenstadt – Call for Action #1 für eine Einreichung zu Oktober 2020, organisiert von Kulturprojekte Berlin, eine landeseigene Gesellschaft (GmbH) mit institutioneller Basisförderung durch das Land Berlin (Selbstauskunft auf der Webseite), ersatzlos und ohne Vergütung gestrichen, ohne Aussicht denselben Antrag noch einmal zu einem späteren Zeitpunkt einzureichen.

(2) Dann DRAUSSENSTADT auf Bezirksebene, jeder Bezirk hat sein eigenes Verfahren zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Beispiel Mitte. Mitte Februar war die Abgabe. In einer ganz frühen Mitteilung war etwas von 100.000 Euro zu lesen. Im weiteren Verlauf stellte es sich heraus, dass es sich um eine Summe handelte, die auf zwei Jahre verteilt wird und dann noch mal mit Jugendkultureinrichtungen geteilt werden muss, bleiben also 25.000 Euro. Das war auch die maximale Summe, um die man sich bewerben konnte, also dieselbe Summe die insgesamt zur Verfügung stand. Ein umfangreicher Antrag, digital als auch analog war zu bearbeiten. Bekommen haben diese Summe zwei Projekte! In der Absage-Mail wird von überraschend vielen guten Anträgen gesprochen. Ach ja? Charlottenburg hat es in der Nachfolge dann ein bisschen besser gemacht, die maximale Summe auf 5.000 beschränkt und so dafür gesorgt, dass der Bezirk wenigsten fünf Projekte auswählen konnte.

(3) In der Absagemail wird erwähnt, dass man es doch noch beim Berliner Projektfonds „Urbane Praxis“, einem Teilbereich der 2020 neugegründeten und von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa geförderten landeseigenen Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung (SKWK) versuchen könnte. Obwohl mitnichten vergleichbar, denn hier ging es um ganz andere Summen, 10.000 bis 60.000 Euro und für 120.000 Euro mit einer gesonderten Begründung. 1,2 Millionen konnte an Fördergeldern in diesem Zusammenhang vergeben werden. Entworfen wurde ein CAMPUS URBANER PRAXIS mit verschiedenen Standorten in der Stadt, schön verteilt. Fast wie die IMPFZENTREN. Der digitale Antrag war sehr fordernd im Umfang und in der Ausrichtung der Fragen. Wie ordnen sie ihre Kunst ein, was mit KLIMA, UMWELT, MIGRATION, (…). Zum Stichwort NACHHALTIGKEIT wurde eine Stellungnahme verlangt. Während der Senat für Kultur und Europa meistens eine ganz seriöse Förderpolitik betreibt, unterstützt der Berliner Projektfonds „Urbane Praxis“ mit seiner Förderpolitik die GAMIFIZIERUNG und KOMMODIFIZIERUNG von Kunst im Draußenraum.
CREATIVE CITY BERLIN*. 650 Anträge wurden eingereicht, 29 Projekte werden gefördert. Es gab keine Absagen und im Vorfeld nur eine ungefähre Ankündigung, wann die Jurysitzung sein sollte. Auf der Website konnte man schließlich versteckt unter Terminen das Ergebnis nachlesen. Eine künstlerische Tätigkeit, so wie ich sie verstehe, ist ein SPRUNG INS OFFENE. Interessante Kunst ist immer ein Experiment mit offenem Ausgang, dessen mögliches Echo durch die Anderen unvorhersagbar bleiben sollte. Es ist nicht die Aufgabe der Künstler*innen Fragen der Nachhaltigkeit im vorhinein zu beantworten. Der Berliner Projektfonds „Urbane Praxis“ begreift bisher in der Stadt geleistete künstlerische Arbeit als MATERIAL und entwirft daraus seine eigenen SCRIPTE und fordert per Förderantrag Künstler*innen auf diesen zu folgen, sich quasi diesen zu unterwerfen. Das klingt nach AUFTRAGSKUNST innerhalb einer vorab begrifflich gefassten Marketingausrichtung. Im langfristigen Ergebnis wahrscheinlich eine MARKTBEREINIGUNG mit wenigen Akteur*innen im neuen DRINNEN.

* Kulturprojekte Berlin wirbt für sich mit dieser Headline in einer Anzeige der Festivalzeitschrift artspring 2021. Das Festival an sich hat wenig damit zu tun und wurde im guten Sinne und längerfristig geplant aus Mitteln der bezirklichen künstlerischen Projekte im Stadtraum im Rahmen der Initiative Draußenstadt gefördert.

Postscriptum: Ein neuer „Call for Action“ ist herausgekommen. Er wird nicht mehr von Kulturprojekte Berlin, sondern von der Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung betreut. Das neue Antragsformular kann vom 7. Juni bis 18. Juni bearbeitet werden. Wer denkt sich solche aberwitzig kurzen Bewerbungszeiträume aus? Werden mit diesem erneuten Call tatsächlich auch bildende Künstler*innen angesprochen oder eher Musik-, Theater- und Kinoveranstalter? Es werden 13 Orte vorgeschlagen für laute und leise Aufführungen und Ausstellungen. Und zusätzlich 19 Orte für leise Aufführungen und 3 weitere für laute. Allein sich zu diesen Orten Gedanken zu machen und sie in die eigene Planung einzubeziehen und mitzudenken, braucht doch viel mehr Zeit. Und zu allerletzt: Die Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung wurde 2020 während der Corona-Pandemie mit ähnlichen Aufgabenbereichen zusätzlich zu der bestehenden Organisation Kulturprojekte Berlin gegründet. Groben Schätzungen zufolge wurden 50 % der Gesamtmittel, die für Künstler*innen vom Senat bereitgestellt wurden, für die Verwaltung und die neuen Organisationsformen verwendet. Hätte es in diesem Zusammenhang nicht andere, weniger kostenintensivere und niedrigschwelligere Verteilungsverfahren geben müssen?



 
Illustration: 500-DM-Schein von 1992–2001, Detail