Die leere Mitte

Teil V

2021:Juni // Anna-Lena Wenzel und Maike Aden

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06-2021


In einer leeren Galerie entfacht sich anhand der Arbeiten von Thomas Schütte ein Gespräch über den Kunstmarkt und das Klischee des alten, weißen Mannes

In einem alten Umspannwerk, in dem sich seit 2018 die Konrad Fischer Galerie befindet, wird eine Ausstellung von Thomas Schütte gezeigt. A. ist zu spät. B wartetet im steinigen Innenhof mit Blick auf zwei große Schütte-Skulpturen.
A: Entschuldige! Zeigt auf die Skulpturen:Gehören die zur Ausstellung?
B: Ich glaube schon.
A: Für mich ist Schütte ja einer dieser alten, weißen Männer …
B: Also ich habe mich entschieden, diesen Ausdruck nicht mehr zu verwenden. Ich finde das trotz der herrschenden Privilegienklüngel und Sexismen mittlerweile zu abgenutzt und dadurch zu simpel.
A: Ja, das verstehe ich, aber tatsächlich ist Schütte doch ein alter, etablierter und erfolgreicher weißer Mann, dessen Arbeiten Unnahbarkeit, Ironie/ Sarkasmus/ Zynismus, Größe/ Raumnahme ausstrahlen.
B: Aber was hat das eine mit dem anderen zu tun? Du wiederholst nur die üblichen Klischees. Eigenschaften wie Raum­nahme oder Unnahbarkeit sind nicht spezifisch männlich.
A: Das stimmt, aber es sind die Strategien, mit denen viele männliche Künstler erfolgreich geworden sind und mit denen sie den Kanon, den Kunstmarkt und oft auch die Lehre geprägt haben – was dazu geführt hat, dass andere Strategien abgewertet wurden und weniger sichtbar geworden sind.
B: Hmmm. Aber man muss differenzieren: Es sind meiner Meinung nach nicht die Kunstformen an sich, die weiblich oder männlich sind, sondern es sind Machttechniken/­-strukturen, die dafür sorgen, dass Männer den Erfolg für sich einheimsen. Man muss vorsichtig sein, dass man nicht polemisierend wird, wenn man genau das kritisiert.
A: Ja, das war auch nicht meine Absicht. Aber weil ich mit vielen Arbeiten, die ich von Schütte kenne, wenig anfangen kann, aber weiß, dass er einer der erfolgreichsten deutschen Künstler ist, bin ich geneigt, Schütte in ebenjene Schublade zu stecken, was sich beim Anblick auf die beiden Skulpturen noch mal bestätigte. Aber ich bin ja hier, um mir endlich ein eigenes Urteil zu bilden. Überzeugt mich seine Kunst? Hat sie es geschafft, „frisch“ zu bleiben oder, reproduziert hier jemand beständig das, was sich bewährt hat?
B: Ich habe mir vor der Ausstellung ein paar Gespräche mit ihm angehört, der ist total dröge-ironisch, das ist so ein norddeutsch-rheinischer Mix; ich mag das. Er behauptet, dass er zum Beispiel keine Füße und Augen formt, weil ihm das zu schwierig ist, oder er sagt, dass er es sich leisten kann, kein Studio zu haben und in Gießereien und anderen Handwerksbetrieben mit tollen Spezialisten arbeitet. Witzig auch, dass er gerne Aquarelle malt, weil die immer gleich einen Kleinwagen wert sind.
Die zwei gehen in die Ausstellung, die sich über zwei Etagen erstreckt und Skulpturen, Aquarelle und Lithografien enthält. Sie stehen vor zwei Frauenbüsten, die ihnen sehr gefällig vorkommen, vermuten sogleich Auftragskunst dahinter und gehen weiter in den ersten Stock. Dort steht eine kleine Skulpturengruppe auf dem Fußboden, umgeben von mehreren Keramikbüsten auf schwarzen Sockeln.
A: Also diese konkaven Formen und bauhaußmäßigen Farben gefallen mir ganz gut, aber sie sind irgendwie zu schön. Ah, es sind „Gartenzwerge“!
B: Schau mal, da sitzt eine Fliege drauf.
A: Oh, ich mach mal ein Foto.
B: Die haben schon was Gequältes und Deformiertes, diese Köpfe aus Ton.
A: Ja, die sehen nicht sympathisch aus. Schau mal, wie hier die Lasur aufgeplatzt ist. Das war bestimmt Absicht. Das ist schon alles hochwertig produziert hier.
B: Dem hängt ein Tropfen von der Nase und dem auch.
A: Der sieht aus wie ein Musiker, so fein und hochnäsig wie der ausschaut.
B: Ich finde der Mund sieht aus wie von einem Toten.
Sie stehen vor einer Serie von Lithografien „Obst und Gemüse“ in bunten Farben mit Titeln wie „Vier Bananen“.
A: Drucke kann ich immer nur schwer ernst nehmen, da seh ich gleich immer den Kunstmarktgedanken dahinter.
B: Aber Drucke sind eigentlich eine Kunstform, die den Fetisch des teuren Originals ja gerade durchkreuzt. Aber hier? Immerhin haben sie einen schönen, bewegten Pinselstrich.
A: Wie war das noch mit dem Kleinwagen?
Ein Stockwerk höher. Von der Decke hängen drei Stahlengel, die in unterschiedliche Richtungen ausgerichtet sind.
A: Ich habe vor kurzem ein Gespräch zwischen Monika Baer und Griselda Pollock im n.b.k. angeschaut, in dem es um Pollocks Essay über „Modernity and Spaces of Feminity“ ging. Sie arbeitet heraus, dass sich Gemälde von Mary Casatt oder Berthe Morisot durch Intimität, Nähe und geteilte Räumlichkeit auszeichnen und dadurch ein anderes Betrachtungsverhältnis postulieren. Vor dem Hintergrund ihrer Beobachtungen fällt mir auf, dass diese Engel nicht miteinander sprechen, sie wirken kalt.
B: Ja, und gleichzeitig passiert hier wenigstens was im Raum. Handelt es sich nicht um ganz klassische Büsten auf Sockeln und um Wandarbeiten? Hier bin ich zum ersten Mal neugierig geworden.
B zeigt auf Porträts aus patinierter Bronze, die an den Wänden hängen.
B: Ob das seine Skatbrüder sind? Von denen hat er im Interview gesprochen.
Auf der oberen Veranda ist die Reihe „Blues Men“ ausgestellt und zwei liegende Köpfe aus buntem Glas auf einem Sockel.
A: Schau mal, die „Blues Men“ sind von 2019, also noch vor Black Lives Matter. Dann können die keine Zeitgeistaufsprungarbeit sein. Es ist mir nicht ganz klar, was Schütte dabei bewegt hat, aber es ist interessant, wie sich ihre Lesart vor dem Hintergrund der aktuellen Situation verändert.
Sie gehen um die Köpfe herum.
A: Diese Köpfe sind gut gemacht, aber sie irritieren mich. Sie sehen aus wie Totenmasken und kommen zugleich so slick daher. Die kann ich mir sofort in einem hyper durchgestylten Sammler*innen-Wohnzimmer vorstellen. Tiefgründig und glatt zugleich.
B: Hat der die Augen zu?
A: Ja, aber der andere nicht. Das ist Murano-Glas, heißt es im Saalzettel.
B: Nur das Beste …
Die beiden gehen ein Stück weiter und stehen vor einer Serie mit Aquarellen, die alle datiert sind und dadurch etwas Tagebuchartiges bekommen.
B: Puh, das ist ganz schön banal. Das kann auch eine Leichtigkeit haben, dieses Schnelle, aber mit diesen Zeichnungen kann ich nichts anfangen.
A: Die Blumen sind oft von Schwarz umrundet. Als wenn es immer düster sein müsste.
B: Manche haben ja noch eine Intimität, aber die meisten sind wirklich abgeschmackt.
A: Ui, hier ist eine nackte Frau zu sehen, die sieht aber gar nicht happy aus. Ich kann mit diesem Humor einfach nichts anfangen. Ich frage mich, ob diese ruppigen, leicht-deformierten und aneckenden Arbeiten nun Ausdruck einer autonomen Künstlerpersönlichkeit sind, die verdientermaßen so abgefeiert wird und erfolgreich ist wie Schütte, oder ob da ein veraltetes Künstlerbild dahintersteckt, und eigentlich weiß ich es genau: Denn auch wenn es einige gute Arbeiten gibt, finde ich seine Abfeierei dennoch unverhältnismäßig und einige der hier gezeigten Arbeiten wirklich schwach und für den Kunstmarkt produziert.
B: Schade, nach diesem Interview hatte ich mehr erwartet. Er sagt zwar immer, dass er nicht über seine Arbeiten reden will, getreu dem Genie-Motto „Bilde Künstler! Rede nicht!“ Aber er scheint mir teilweise interessanter über seine Arbeiten zu reden, als er sie realisiert.
A: Hm, was sagt uns das? Ich frage mich gerade, ob wir unser Gespräch veröffentlichen sollen oder ob wir dadurch dem bereits etablierten Künstler unnötigerweise erneut Aufmerksamkeit zollen. Auf eine bestimmte Art reproduzieren wir damit ja auch den Kanon. Was denkst du?
B: Du hast Recht, das ist ein Dilemma. Aber es geht ja um die Fassungslosigkeit darüber, was auf dem Kunstmarkt geht und im Kunstfeld Raum bekommt, obwohl es so banal oder durchschaubar ist, wie einige der hier ausgestellten Arbeiten. Das konstruktiv an konkreten Beispielen zu diskutieren, finde ich total inspirierend. Dabei darf es auch mal ein bisschen tendenziös zugehen – so lange nicht Neid der Grund ist für die Kritik und die Wut dahinter nicht zu Unfairness führt.
A: Ja! Und trotz Flapsigkeit im Ton, geht es uns ja schon auch ums Gucken und den Austausch darüber, wie unser Gucken beeinflusst wird – von Zuschreibungen, vorherigen Erfahrungen, Erzählungen und wie in diesem Fall ganz konkret von dem Interview-Film. Was wir zum Anlass nehmen, über die Strukturen und Mechanismen des Kunstfeldes zu reflektieren. Um darauf aufbauend zu schauen, was uns wichtig ist und wie wir es machen.

Thomas Schütte, Konrad Fischer Galerie,
Neue Grünstraße 12, 10179 Berlin, 2.5.–30.9.2020  
Thomas Schütte, „Mann ohne Gesicht“, 2018, Courtesy Konrad Fischer Galerie
Thomas Schütte, „Phantom“, 2009, Courtesy Konrad Fischer Galerie