Geld

Spezial

2021:Juni // Peter K. Koch und Andreas Koch

Startseite > 06-2021 > Geld

06-2021

Andreas Koch: Lieber Peter, wir hatten ja bei der letzten Redaktionssitzung beschlossen, dass wir beide eine Art geschriebenen Podcast für das Geld-Spezial beisteuern, das heißt, dass außerhalb unseres Rahmengesprächs (das wir hier via E-Mail führen) noch anderes Material integrieren könnten, seien es andere Gespräche, Texte, Recherchen …
Gerade las ich etwas über die Frugalisten-Bewegung und ich dachte, das könnte ein guter Start sein, weil wir bestimmt jemanden kennen, der so ähnlich agiert. Frugalisten sind eigentlich Sparer, die es sich zur Hauptaufgabe gemacht haben, extrem sparsam zu leben, um so schnell wie möglich in Rente zu gehen (mit 40), das heißt, sie geben nicht aus Mangel wenig Geld aus, sondern aus Prinzip.
Obwohl ich mich selbst als anti-konsumistisch ansehe, finde ich das ein unsympatisches Prinzip. Das liegt wohl an meiner schwäbischen Herkunft und ich habe oft erlebt wie Sparsamkeit mit Geiz einhergeht und daheraus ziemlich eingetrocknete, freudlose Lebensformen resultieren. Fragil, frugal, frigide …
Aber wir sind da, glaube ich, am Kern unseres Themas Geld. Warum gebe ich wofür Geld aus? Was brauche ich und wo bekomme ich es her? Da ist das Spektrum natürlich riesig. Ich selbst habe mich in meiner antischwäbischen Haltung jetzt auch nicht zum Gegenteil hinentwickelt, das wäre vielleicht der geldstrotzende und geldverprassende Angebertyp (hier gerade der durch die Presse geisternde Wire-Card-Bankrotteur Jan Marsalek als Beispiel). Ich würde mich eher als antimaterialistischen Hedonisten bezeichnen. Das heißt, dass ich teure Produkte eher meide, je weniger Dinge ich besitze, desto besser, lieber leihen und mieten, dass ich aber für flüchtige Sachen wie Sport, Essen, Wohlbefinden gerne Geld ausgebe, natürlich auch für Kunst, aber eben nicht als Kaufobjekt.
Was mich noch von den Frugalisten unterscheidet, ist, dass ich Arbeit gut finde. Und zwar nicht nur die freie Arbeit an meiner Kunst, sondern auch bezahlte Dienstleistungsarbeit. Ich bin da zwar auch relativ frei – soloselbstständig auf Coronadeutsch –, aber ich brauche die Deadlines, die Struktur, auch den Zwang, Geld verdienen zu müssen, um aus dieser Disziplin heraus, erst meine Freiheit zu bemerken. Ich kann mir dann unbezahlte Arbeit leisten. Ich verstehe dieses Ziel Rente gar nicht … da stehe ich dann nicht mehr auf. Genau wie das Geld muss die Arbeit fließen. Flow, fluid, flüssig …
Was interessiert dich an dem Thema Geld, wie gehst du damit um?

Peter K. Koch: Ich könnte jetzt sagen: Geld interessiert mich nicht, was natürlich grundweg gelogen wäre.
Du hast ja einleitend schön auf deine schwäbische und daraus möglicherweise auch resultierende antischwäbische Sozialisation hingewiesen. Ich denke, dass der Umgang mit Geld, neben ganz vielen anderen Dingen, viel damit zu tun hat, womit wir als Kinder und Heranwachsende umgeben waren. Wenn du nie Geldprobleme kennengelernt hast, dann gehst du anders mit Geld um als einer, der es gelernt hat, dass es nie genug gab. Die persönliche Prägung kann natürlich später in unterschiedliche und auch vollkommen diametral entgegengesetzte Richtungen ausschlagen. 1. ich mache es genauso, wie ich es gelernt habe, oder 2. ich mache es absolut anders, als ich es gelernt habe, sozusagen als Absatz- und Protesthaltung. Das hast du ja auch schon angesprochen. Das große Pendel zwischen Frugalist und Verprasser. Wie so oft ist ein Mittelweg möglicherweise keine schlechte Entscheidung. Den persönlichen Umgang mit Geld zu lernen und sich dazu zu verhalten, das ist ja auch keine Sache, die man mal eben so macht. Jeder hat tagtäglich damit zu tun und muss sich dazu verhalten. Ich finde das ganz schön schwierig.
Für viele Menschen ist ja die Menge Geld, die sie verdienen oder besitzen, direkt gekoppelt an das persönliche Selbstbild, also je mehr ich verdiene, desto mehr bin ich wert. Wenn ich wenig verdiene, bin ich wertlos, was ja für viele Künster*innen ein Lebensthema ist. Kunst=Produkt=Preis und so weiter, wenn dann nichts verkauft wird, ist der Preis eben null. Und das Selbstwertgefühlt ist auch null. Wir wissen natürlich, dass in der Kunst der Preis nicht das einzige Wertkriterium ist, aber der Markt ist verflucht dominant und humorlos. Weil eben alle Geld brauchen.
Ich persönlich kenne dementsprechend auch niemanden, den Geld gar nicht interessiert. Wer sollte das auch sein? Der Dalai Lama? Mir fallen da nur religiös Beseelte ein, Nonnen oder Mönche, aber die Mönche haben ja auch Spaß am Geldverdienen, damit sie ihren (gottgeweihten) Besitz mehren können. Die katholische Kirche ist ja zum Beispiel superreich. Und verrottet innerlich immer weiter.
Ich selbst habe zum Beispiel beide Seiten recht gut kennengelernt, aufgewachsen in einem familiären Umfeld stetigen Geldwachstums und unbeschwerter 70er-Jahre-Fernreisen, und als Heranwachsender sich wiederfindend in einem Umfeld des kapitalen Verlusts, Verlust des familiären Umfelds (Scheidung) plus kapitaler Insolvenz des Vaters mit daraus resultierenden Millionenschulden. Da war dann der Osterskiurlaub auf dem Schweizer Gletscher plötzlich sehr weit entfernt. Mir ist Geld aber erst so richtig wichtig geworden, seit ich am Anfang meines Freelance-Berlin-Künsterdaseins mehrere Jahre hatte, wo ich nur von Nudeln mit Pesto (eigentlich war es kein Pesto, sondern irgendeine Aldi-billig-scharfe-Soße) gelebt habe. Dahin möchte ich bitte nicht zurück. Als Matratze hatte ich einen Styroporblock. Also verdiene ich jetzt genug, wie auch immer. Und dann kaufe ich eben gerne das etwas teurere Produkt, das gibt mir was. Depressiv und markentreu, sagte mal ein Freund von mir.
Das tägliche Verhalten zu Geld ist ja wirklich etwas, das man sich genauer anschauen sollte, und Geiz ist ja eine Eigenschaft, die sich keiner gerne zuschreiben lässt. Sollten wir alle weniger Geld haben, damit wir weniger zu verlieren haben? Ist der Habenichts am Ende der Glücklichste von allen?

Andreas Koch: Ja, vielleicht. Sicher nicht, wenn er oder sie sich jeden Tag Sorgen machen muss, wie das Dach über dem Kopf oder die Ernährung organisiert werden kann. Aber bei mir ist es tatsächlich so, dass ich mir bei Kontoständen unter null weniger Gedanken mache, da verdränge ich. Das liegt auch an der Möglichkeit mein Konto bis auf minus 17.000 runterzufahren. Da wird’s natürlich dann auch brenzlig. Aber kürzlich hatte ich eine Überweisung von 9.000 Euro in Aussicht, die dann auch kam. Die Vorstellung war dann schöner als die Realität. Bei kleineren Bergen auf dem Konto fängt dann die Sorge an, dass das Angehäufte schmilzt, ich klammer, ich rechne nach, wie lange das Geld reichen würde, das mache ich im Minus weniger, paradox. Der neue Kontostand ist binnen kürzester Zeit Status quo. Ich glaube tatsächlich, dass Geld mehr Probleme schafft, als löst. Ich denke dann jedenfalls mehr drüber nach. Das sind jetzt Beobachtungen im psychologischen Minimalbereich und eben keine existenziellen.
Ein Lottogewinn würde mich aus der Bahn werfen, da bin ich mir sicher, meine komplette Sozialstruktur würde auseinanderbrechen, entweder ich würde das Geld verheimlichen, oder meine Freunde, meine Mitbewohner, meine Familie, alle würden mich anders sehen und ich sie. „Papa, kauf doch ’nen Lambo.“ Ich sähe keinen Grund mehr für Geld zu arbeiten und würde wahrscheinlich auch nicht mehr als jetzt ohne Bezahlung arbeiten, ich würde gar nichts mehr tun oder ich müsste ein komplexes soziales Projekt hochziehen, ein Atelierhaus, einen Ausstellungsraum, Bauprojekte, was weiß ich. Ich würde meine Tage mit Organisieren verbringen müssen, Leute bezahlen, das möchte ich aber gar nicht.
Kürzlich las ich in einem Interview von der Geldscham und dass diese sowohl bei reichen Menschen, als auch bei armen Menschen entsteht. Bei plötzlich reichen Erben stell ich mir das genauso vor. Auf einmal hast du eine Menge Geld und hörst dir mit einem verständnisvollen Nicken die Geldprobleme deiner Mitmenschen an, schenkt man ihnen dann einen Teil? Das macht doch auch was mit der Beziehung. Erwarte ich dann zu viel Dankbarkeit?
Woanders las ich, dass Geld den Charakter verstärkt, schlechte Menschen werden schlechter, gute besser … Was hast du für Erfahrungen mit deinem Umfeld, ohne jetzt zu präzise werden zu müssen, andererseits würde ich ja gerne das duale Gesprächsformat aufbrechen und jemanden einbeziehen, hinfahren, sprechen, porträtieren?

Peter K. Koch: Viel Geld zu haben oder kein Geld zu haben, kann jeweils zu einer Überforderung führen. Die Frage muss sich jeder selber beantworten, welche Überforderung man lieber eingeht. Ich wäre da doch eher für viel Geld als für kein Geld. Ich kenne schon auch einige Leute, die an der Tatsache zugrunde gegangen sind, dass sie kein Geld verdienen mussten und alles hätten tun können, dann aber gar keine erfüllende Vision entwickeln konnten, was das hätte sein können. Dann fängt man womöglich an zu saufen. Man muss ja morgens auch nicht aufstehen, weil man eben nicht tätig werden muss. Ich glaube, der Umgang mit und die Haltung zu Geld ist so unglaublich vielschichtig und individuell, dass man das nur ganz schlaglichtartig betrachten kann. Das Problem bei der Sache ist ja, dass sehr viele Menschen sehr ungern über die eigene finanzielle Lage sprechen. Das wäre aber der Punkt an dem es interessant wird. Allgemeine Ansichten über Geld oder über das Geld von anderen zu besprechen, ist doch weit weniger interessant, als wenn jemand ganz offen über das eigene Umgehen mit Geld spricht und sagt, wie es sich für ihn/sie gut anfühlt und was Geld bedeutet. Aber wer (arm/reich/vermögend/leidend/arbeitend/nicht arbeitend) wird uns da mit offenen Armen empfangen? Ich könnte mir vorstellen, dass man da schnell an sehr sensible Punkte kommt, wo ein Gespräch gar nicht mehr möglich ist, weil die Informationen top secret sind.

Andreas Koch: Ja, warten wir noch kurz, ich frage vielleicht Anke Stelling, ob sie nicht Lust hätte, ein, zwei Fragen zu stellen oder zu beantworten. Bei ihr interessiert mich, dass sie wieder die Klassen-Frage aufwirft. Diese Frage war über Jahrzehnte etwas verschüttet oder weniger sichtbar. Unsere Generation, also die um die 50-Jährigen, sind Kinder der Wirtschaftswundergeneration. Bei unseren Eltern, also bei vielen, wurde es, von einem meist sehr niedrigen Nachkriegslevel startend, im Laufe ihres Lebens immer besser, ein ständiger Aufstieg, gutes Einkommen, vielleicht ein Einfamilienhaus, Rente, Sorglosigkeit. So bin ich jedenfalls ein Stück mit ihnen gegangen, meine Kindheit und Jugend. Bis ich dann anderes wollte, mehr Freiheit vorallem, also fing ich an Kunst, zu studieren, das Gegenteil von finanzieller Sicherheit. Rein ins Prekäre, aber doch noch abgesichert durch das Netz meiner Mutter (mein Vater verstarb früh), einer Oberstudienrätin.
Aber was ich sagen will, es war ein relativ großes gesamtgesellschaftliches Phänomen: Die Welt in den Achtzigerjahren war viel egalitärer als die heutige. Mein Weg, oder der Weg vieler, die sich auch aus einer Art Wohlstandsüberdruss für Kunst entschieden und auch auf dem großen Abenteuerspielplatz Ostberlin landeten, steht exemplarisch für eine Gesellschaft, die zwar freier ist (meine Eltern galten damals als Doppelverdiener als progressiv, die meisten Frauen bekamen Haushaltsgeld und mussten ihren Mann fragen, ob sie arbeiten dürfen), aber gleichzeitig ärmer und unsicherer. Wir leben viel mehr von der Hand in den Mund, legen nichts zurück, haben oft zu wenig Einkommen. Und da kommt jetzt die Klassenfrage wieder ins Spiel. Manche Nachkriegseltern haben schon damals besser gewirtschaftet oder von vornherein besser dagestanden. Sie mussten sich kein Haus bauen, sondern hatten selbst schon welche geerbt. Oder für sie war Bildung und ­Karriere so selbstverständlich wie dann für ihre Kinder. Aus Ärzten wurden Ärzte, aus Anwälten Anwälte usw.
Die, die damals mit der bürgerlichen Schicht mitaufgestiegen, sind eben nicht ganz so hochgekommen oder auch gar nicht und können ihren Kindern nichts geben, obwohl diese gerade jetzt, in ihrem zum Beispiel unsicheren Künstlerdasein, mit immer teureren Wohnungen, mit Corona, mit nachlassender Kraft, mit bedürftiger werdenden eigenen Kindern, selbst mehr brauchen und sich spätestens jetzt ärgern, dass sie keinen regelmäßigen Job haben. Die Klassen werden wieder sichtbarer.
Und das zeigt sich erst jetzt, komischerweise, bei uns Mittelalten, die wir anfangen, unsere Eltern zu beerben. Da teilt sich plötzlich alles wieder in Erben und Nicht-Erben und das schwebt dann in allen Beziehungen und Freundschaften mit, ohne dass man es ausspricht. Und da finde ich Anke Stelling interessant, die das gnadenlos benennt.

Liebe Anke, jetzt schick ich dir das Gespräch, wir hängen ein wenig fest. Das liegt unter anderem daran, dass die von hundert selbst prekär ist, ein Produkt hinter dem kein Geld steckt. Tatsächlich zahlen wir bzw. ich ein paar Hundert Euro pro Ausgabe drauf und dafür arbeiten dann alle auch noch umsonst. Kürzlich meinte eine Autorin zu mir: „Wir arbeiten ja alle für dich seit Jahren umsonst“, das zeigt ein bisschen das Dilemma der Zeitschrift, da die Herausgeberschaft relativ stark an mir hängt und ich zum Beispiel auch noch die Grafik mache. Eine Neunzigerjahre-Konstruktion – einfach machen, Raum für Texte schaffen und sich nach jedem Heft freuen, dass es ein neues gibt. Wenn jetzt wegen Corona aber die Releases ausbleiben, bei denen sich alle treffen können, wo die ersten 30–40 Hefte verkauft werden, die den sozialen Raum eigentlich erst herstellen, den die von hundert bildet, habe ich plötzlich keine Lust mehr.
Das wäre dann eine erste Frage – Arbeit jenseits von Geld. Bei der Kunst- und Textproduktion arbeitet man ja meist zuerst im Eigenauftrag oder aus eigenem Antrieb und das können sich manche besser leisten, andere müssen sehr viel nebenher für Geld arbeiten und haben dann wieder weniger Zeit für die Kunst. Dann könnte ein Effekt sein, dass die, die sich voll und ganz ihrer Kunst widmen können, mehr Erfolg haben und folglich schneller auch von ihrer Kunst leben können (obwohl sie es eigentlich gar nicht müssten). Die Frage wäre: Ist also im Bereich Kunst (Bild, Text, Spiel) der Klassenunterschied ein allem zugrunde Liegender, und da der Staat weniger soziale Absicherungen bietet, sogar noch relevanter, wenn auch unsichtbarer als in anderen Feldern der Gesellschaft? Irgendwann hatte ich mal den Kunstbetrieb mit einer südamerikanischen Bananenrepublik verglichen.

Ok, Peter, eine Absage, Anke Stelling hat keine Zeit, sie ist ja gerade sehr gefragt und alle, die was zum Thema Kapitalismus, Geld, Immobilien machen, fragen sie scheinbar an.
Jetzt hatten wir am Wochenende ein ganz interessantes Gespräch über das Projekt Spreefeld, das vor ungefähr zwölf Jahren als großes Genossenschaftsprojekt aufgelegt wurde. Witzigerweise sitze ich in den Büroräumen, in dem damals die „Zusammenarbeiter“ saßen, die das Projekt mit über 80 Teilnehmern steuerten. Es entstanden drei achtstöckige Wohntürme mit vielen Gemeinschaftsflächen in der Nähe der Jannowitzbrücke. In dem dann aufgesetzten Genossenschaftsvertrag wurde eine Klausel eingebaut, unter der man wieder aus der Genossenschaft aussteigen konnte, um seine Wohnung zu kaufen. Jetzt zieht sich ein Graben quer durch das Projekt und es gibt die Genossenschaftler und die Käufer, die zusammen wiederum eine Art normale Baugruppe bilden. Beide beschimpfen sich gegenseitig als Sozialisten bzw. Turbokapitalisten.
Für mich kam die Frage auf, kann man sich in einer Welt, in der alles einen Geldwert hat, dem entziehen. Kann man so etwas wie Wohnraum, der in den letzten zehn Jahren in Berlin sehr viel teurer geworden ist, dem Marktkreislauf entziehen, und da meine ich nicht nur konkret in Form von Genossenschaften, kommunalen Wohnungsgesellschaften oder langfristigen Erbpachtkonstruktionen, sondern vorallem in den Köpfen. Geht es um Nutzung oder Besitz? Oder dann in Kombination Besitz mit oder ohne Nutzung.
Ich glaube, wenn du einmal die Idee hast, dass das was du da eigentlich hast, sagen wir eine dreiviertel Million Euro Wert ist, dein Genossenschaftsanteil aber nur 200.000, passiert irgendwas, du fühlst dich betrogen, obwohl du ja erst mal nicht mehr gezahlt hast als den Genossenschaftsanteil.
Vielleicht fragen wir unseren Gesprächspartner direkt nach seinem Standpunkt. Ich glaube, auf welcher Seite er steht, wird recht schnell klar.

Tim Edler: Achtung! Das Spreefeld ist ziemlich gewaltig, aber auch wolkig. Es existieren auf vielen Ebenen Un- und Missverständnisse, weil Glaube und Voreinstellungen im Vordergrund stehen und es kaum um rationale Entscheidungen geht, d.h. um einen wirklichen Abgleich von Unterschieden. Bemerkenswert ist ja, dass der „Konflikt“ schon seit Jahren beschworen wird und da ist, obwohl ja faktisch noch alle Genossen waren, also keine einzige Wohnung verkauft war.
Es geht hier also nicht um Tatsachen, z. B. echte Verdrängungsprozesse, echtes Reicherwerden der einen Gruppe, sondern um die Erwartung bzw. Befürchtung, dass das so kommen könnte, und die daran angeschlossenen Projektionen – Rück- und Überprojektionen – treiben dann irre Blüten. Die ideologische Aufladung der sozialistischen Gruppenhälfte ­­– kombiniert mit einer Ignoranz gegenüber Fakten – hat zu einer Art Entrückung geführt, wodurch die – per Selbstdefinition – „Guten“ letztlich besonders böse handeln und tatsächlich ausbeuterische, (weil) maßlose Verhaltensweisen entwickeln, von Angst und Gier angetrieben und vielleicht durch das Abschalten der Selbstreflexionen begünstigt, letztendlich mit dem Effekt des Auf-den-Kopf-Stellens von Argumenten und Tatsachen.
So hat die Konfliktfantasie, die einige Leute auch über lange Zeit aufgebaut haben, letztlich dazu geführt, dass die Rest-Genossen – die sich als antispekulativ verstehen – die Ersten sind, die die fraglichen Wohnungen als Ware verteuern und aus der Verteuerung einen Spekulationsgewinn erzielen. Bemerkenswert ist, dass dieser Gewinn mit keiner vorher erbrachten Leistung und mit keinem unternehmerischen Risiko verbunden ist, sondern völlig leistungslos anfällt. Das ist sogar für Wirtschafts- und Marktgläubige ein Alptraum von Fehlentwicklung.
In dieser Konfrontation spielen die tatsächlichen Bedingungen von arm oder reich gar keine Rolle. In beiden Gruppen besteht derselbe Mix von mittleren bis zu sehr hohen Einkommen und Vermögen, woraus unweigerlich auch folgt, dass reiche „Sozialisten“, die es schlicht nicht nötig haben, auch noch diese Wohnung zu kaufen (weil sie schon welche gewinnbringend vermietet haben), ihren Lebensstandard subventionieren möchten, zu Lasten wesentlich ärmerer „Kapitalisten“, die ihre erste Zweizimmerwohnung kaufen wollen. Die ganze Fata Morgana – reich durch Immobilien – erzeugt offenbar einen Realitätsverlust und ich finde daran tragisch, dass Geld oder Eigentum prinzipiell und immer stigmatisiert wird und weniger die ungleiche Verteilung davon, eine Debatte, die dahinter gut in Deckung gehen kann.
Das intellektuelle Niveau des Diskurses innerhalb unserer Gruppe ist – durch die Art und Weise der Auseinandersetzung – so stark abgesunken, dass man jetzt dem Menschen, der eine Tüte Brötchen besitzt, die er selber essen möchte, mit dem Multi, der global mit Lebensmitteln spekuliert, gleichsetzen und verurteilen darf. Beide sind Eigentümer, Kapitalisten usw. Umgekehrt reicht schon die Nutzung behaupteter Tarnbegriffe (Genossenschaft, Solidarität, Gemeinwohl usw.) aus, damit das Leben im Reichtumskonsum ohne Einschränkung weitergeführt werden kann. Eine Augenwischerei, ein großes Ablenkungsmanöver, ein kollektiver Irrtum, angetrieben von einer übersteigerten und undifferenzierten Idee von Geld oder Eigentum, die wenig Realitätsverbindung hat.

Peter K. Koch: Also diese Spreefeld-Konstruktion scheint mir sehr kompliziert zu sein und einige Fallsstricke zu enthalten. Da kommt eine Gruppe zusammen, die unter bestimmten Voraussetzungen etwas macht, und in der es scheinbar unklare vertragliche Rahmenbedingungen gibt, was die Zielsetzung denn genau ist. Das ist aber so verschachtelt, dass es anscheindend noch nicht mal diejenigen komplett durchdringen, die Teil der Gruppe sind, und einige sich anscheinend jetzt im Verlauf des Projekts betrogen fühlen. Die Sozialisten um die Gemeinschaft, die Kapitalisten ums Geld. Beides hat genügend Sprengstoff in sich, um so eine Gruppe mit Leichtigkeit hochgehen zu lassen. Diese allgemeine psychologische Komponente ­interessiert mich beim Thema Geld eigentlich doch viel mehr als die rationale Überlegung, wie ich einem augenscheinlich überhitzten Markt Wohnraum entziehen kann. Das Beispiel Spreefeld zeigt das möglicherweise wie unter einem Brennglas, aber ich würde sagen, dass Geld auch in anderen und kleineren Konstellationen die Kraft hat, alles zu verändern. Da kommt mir die Geschichte von dem Hausprojekt in den Sinn, mit dem wir (als kauf- und gentrifizierungswillige Gruppe) vor zwei Jahren Kontakt hatten. Dabei handelte es sich um ein ehemals besetztes Haus, das schon vor vielen Jahren vom Senat an die Besetzer und Besetzerinnen überschrieben worden war, allerdings mit der Auflage, dass es nur als Ganzes veräußert werden darf. Es gab also keine Teilungserklärung. Ein Teil der darin Wohnenden wollte nun verkaufen, ein anderer behalten. Dann sollte das Haus und die frei werdenden Wohnungen mit den Verbliebenen (inklusive festgeschriebenem Wohnrecht) verkauft werden, was natürlich dazu geführt hat, dass niemand wirklich Interesse an dem Haus hatte. Wer kauft schon ein Haus mit einer Atombombe im Keller? Ich habe danach aber über den Aspekt des Verkaufens und Geldmachenwollens in diesem seltsamen Zusammenhang nachgedacht, denn die ehemaligen Besetzer wollten ja damals Häuser mit Gewalt aus der Spekulation herauslösen und nun wollten sie das Haus wieder in den Markt zurückführen (inklusive eines saftigen Gewinns). Strange. Hier ist die verändernde Kraft des Geldes gut zu spüren. Wenn ich keins habe, kann ich radikaler denken und rücksichtsloser handeln. Wenn ich dann welches habe oder haben könnte, dann ändert das die Einstellung bei vielen Menschen. Offen drüber reden wollen die wenigsten, weswegen ich auch überhaupt nicht weiß, mit wem wir noch über Geld sprechen sollten. Das ist wie ein Tabuthema.

Andreas Koch: Mir fällt noch jemand ein, mal sehen.
Lieber Fergus, wahrscheinlich erreiche ich dich gerade in Italien, wo du deine Wohnung in einem italienischen Palazzo in Lucca mit Hilfe auch des italienischen Staates renovieren lässt.
Wir scheitern gerade mit unserer Idee, mit Leuten über Geld zu sprechen, es scheint immer noch ein Tabuthema. Du bist Engländer und machst auf mich den Eindruck, einen recht unbefangenen Umgang mit dem Thema Geld zu haben. Für mich sind ja die Briten und auch die Amerikaner nahezu geldbesessen. Ich meine, das ist natürlich ein schlimmes Vorurteil, Geld scheint in deren Köpfen einen großen Platz einzunehmen, vielleicht gleich nach dem Themenfeld Sex, das genauso hierarchisch nach dem Motto, je mehr desto besser, behandelt wird. Meinst du ihr Engländer seid einfach nur ehrlicher oder liegt es an einer noch kapitalistischeren Erziehung als unserer deutschen?

Fergus Bremner: Alles gut, ich bin noch etwa einen Monat in Berlin.
Ja, die Deutschen reden nicht gerne über Geld. In dieser Hinsicht sind sie so, wie die Briten früher, wenn es um Sex ging. Früher gab es ein Sprichwort – „No sex please, we’re British!“. Natürlich haben die Briten die ganze Zeit über das Tabuthema nachgedacht. So ist es auch mit den Deutschen und dem Geld: Nicht darüber zu reden, deutet nicht auf einen Mangel an Besessenheit hin (man schaue sich nur Marie Louise von Österreich an!).
Von der anglophonen Leichtigkeit im Umgang mit dem Thema Geld abgesehen, sind die Deutschen nicht nur davon besessen, sondern sie haben eine geradezu bizarre Einstellung dazu. Sowohl auf der Makro- als auch auf der Mikro­ebene ist das deutsche Denken über Geld fast ausnahmslos auf den Kopf gestellt. Ob es nun das Beharren darauf ist, dass Austerität expansiv ist, oder dass jeder Handelsüberschüsse erzielen kann, oder dass Sparen besser ist als Ausgeben, oder dass Null-Inflation wünschenswert ist, usw. Das deutsche Denken über Geld stellt die Finanzpolitik auf den Kopf. Das spiegelt sich auch in der Art und Weise wider, wie die Deutschen über Geld sprechen, in ihrer eigentümlichen Rhetorik rund um das Geld. ­Mario Monti, der italienische Wirtschaftswissenschaftler, bemerkte: „For the Germans, Economics is a Branch of Moral Philosophy.“ Da hat er vollkommen recht. Das deutsche Denken über Geld verwechselt ein moralisches Ideal mit dem, was menschlich sinnvoll ist.
Dennoch gibt es Hoffnung: In Deutschland gibt es einige der klügsten Denker der neuen Geldpolitik (MMT)*. Mit Glück und Beharrlichkeit werden deren neue Ideen Eingang in den deutschen Diskurs und die Politik finden. Wenn nicht, ist Deutschland dazu verdammt, sich selbst (und Europa) obsolet zu machen, nur um des Geldes willen.

Andreas Koch: Du meinst Marie-Louise, die Frau von Napoleon, war sexbesessen, das wusste ich gar nicht?
Aber interessant, dass du die Haushaltspolitik der Deutschen im Großen wie im Kleinen ähnlich beschränkt siehst. Du plädierst also fürs Schuldenmachen und stehst damit konträr zur Politik der Deutschen Bundesbank und des ehemaligen Finanzministers Wolfgang Schäuble, die immer wieder als Mahner gegenüber den anderern EU-Partnern aufgetreten sind und in der Finanzkrise zum Beispiel Griechenland gezwungen haben, zur Schuldenminimierung ihre einzig ertragreichen Staatsunternehmen zu verkaufen. Berlin hatte ja in den Nullerjahren auch zur angeblichen Haushaltssanierung einen großen Teil seiner mittlerweile superwertvollen Wohnungen verkauft. Mittlerweile, in der Pandemie, sind wir allerdings auch dazu übergegangen das Geld einfach nachzudrucken und unter die Leute zu bringen. Die Türkei hat übrigens gerade als einziges (teil-)europäisches Land ein Wachstum von über 5,9 Prozent zu verzeichnen, allerdings bei einer Inflation von 17 Prozent.
Das ist jetzt alles auf der Staatshaushaltsebene, wie siehst du das im Privaten? Ich selbst lehne Sparen ja auch ab. Mein damaliges Galeriegebäude von 90qm konnte ich 1998 für 170.000 Mark kaufen und lieh mir dafür 180.000. In den letzten 23 Jahren habe ich aber erst die Hälfte zurückgezahlt, der Kredit wurde immer billiger, weil auch die Zinsen mit der Zeit fielen, während der Wert der Remise stieg. Spekulationsglück, aber Rückzahlung von Immobilienkrediten setze ich mit Sparen gleich, man hat ja einen Gegenwert und müsste eigentlich nie zurückzahlen, wenn das Gebäude an Wert gewinnt, umso besser. Wie ist es bei dir? Du scheinst recht wohlhabend zu sein und das Geld eher nicht als Künstler verdient zu haben? Magst du darüber reden, als Engländer?

Fergus Bremner: Ja, die Frau von Napoleon wurde völlig abgeschirmt von Sex und Sexualität erzogen. Selbst die Haustiere und Tiere um sie herum waren kastriert. So blieb, wie sie später schrieb, alles der Fantasie überlassen.
Es geht nicht darum, dass ich dafür bin, Schulden zu machen. Vielmehr geht es darum, zu verstehen, was „Schulden“ eigentlich sind. Die Regierung ist eben nicht wie ein Haushalt (oder ein Unternehmen), was das betrifft. Die Regierung ist der Schöpfer und Zerstörer allen Geldes. In einer Fiat-Money-Wirtschaft mit einer eigenen Währung (z.B. USD oder GBP) schafft die Regierung Geld, wenn sie Produkte und Dienstleistungen bestellt (Straßen, Brücken, Armeen, Lehrer usw.). Die EINZIGE Grenze, wie viel Geld eine Regierung hat, sind die zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügbaren Ressourcen. Wenn eine Regierung also ein Defizit hat, können wir es vielleicht besser als einen öffentlichen Überschuss verstehen. Dieser Überschuss wird dann besteuert, wodurch das in der gewerblichen Wirtschaft zirkulierende Geld vernichtet wird. Die Idee, dass die Regierung „Geld druckt“ oder, schlimmer noch, ihr Budget in die Existenz hinein besteuert, ist kindischer Unsinn.
Wiederum kommt es darauf an, wie wir über Geld reden: Die deutsche Regierung hält derzeit die glatte Lüge aufrecht, dass sie sich wie ein Haushalt verhält. Sie hat sogar ein „Haushaltsbudget“. Sie tut dies, um die Wahrheit zu verschleiern, dass öffentliche Armut eine politische Entscheidung ist (und kein moralisches Versagen). Noch einmal: Frag irgendeinen Politiker im Bundestag, woher das Geld kommt, und er wird mit den Schultern zucken. Geld, wie auch Armut, ist ihm ein völliges Rätsel. Zumindest in der anglophonen Welt wird Geld als wirtschaftliches Schmiermittel verstanden, das in die Wirtschaft eingespritzt wird, wenn die Zahnräder zu stottern beginnen. In Deutschland ist Geld eine Sache für sich, das man spart und hütet, wie der Drache Fafnir seinen Goldhaufen. Nochmals, kindischer Unsinn.
Persönliche Finanzen interessieren mich nur insofern, als die Menschen, die gut mit Geld umgehen können, in der Regel Soziopathen sind. Wie Balzac sagte: „Hinter jedem großen Vermögen steht ein Verbrechen.“
Die Türkei ist allerdings ein hoffnungsloser Fall.

Andreas Koch: Ok, Fergus, danke, uns interessiert natürlich das Persönliche und nicht nur der Wirtschaftsteil.
Bei Geld scheint es also tatsächlich ähnlich zu sein wie beim Sex. Man hat oder man hat nicht, aber man redet besser nicht drüber, also nicht über das/den eigene/n. Beides sind Grundbedürfnisse, beides ist über Wettbeweb organisiert, scheinbar bei der Sexualität subtiler, aber ich hab auch dort den Eindruck, dass es irgendwie kapitalistisch ist, ich meine, die Schönen, die Jungen und die Reichen haben natürlich viel bessere Chancen. Und es gibt auf diesem Gebiet nicht mal einen Sozialstaat. Aber zurück zum Geld, die Analogie zur Sexualität führt auch nicht weiter.
Wir haben die Kunst noch kaum thematisiert. Ich hatte ja immer ein Problem damit, dass man ein megateures Produkt herstellt, und da zähle ich einen Leuchtkasten für 7000 Euro auch dazu, und an megareiche Leute verkauft, die das mal eben stemmen können. Das wären drei Monatsgehälter für mich. Als Künstler hat man netto aber maximal 3000 Euro davon übrig, also muss man mindestens zehn im Jahr verkaufen. Das geht vielleicht ein paar Jahre, aber nur mit Abhängigkeiten, die jederzeit reißen können. Bei anderen Künsten lebt man von Quantität (Literatur, Musik) oder von Förderungen (Film, Theater). Die gibt es bei der bildenden Kunst auch, aber sollte man die staatliche Unterstützung nicht ausweiten? Oder ist der Kunstmarkt gerade die Rest-Sexyness, quasi der Ersatz – ich steh zwar nicht auf der Bühne und zehntausend Menschen jubeln mir zu, oder ich freu mich über 50.000 verkaufte Bücher und geb Autogramme, sondern meine Arbeit ist jemandem 100.000 Euro wert und ich muss nicht von einem Staatsstipendium leben. Peter, was denkst du dazu?

Peter K. Koch: Ja, genauso ist es. Es geht ja im Grunde um Unabhängigkeit in einer Abhängigkeit. Die Martkabhängigkeit in der bildenden Kunst ist ja sehr hoch. Je exklusiver ein beruflicher Markt, desto größer ist vielleicht auch das subjektive Erfolgsgefühl, wenn ich in dem Markt bestehen kann. Also wenn ich Tischler/in oder Arzt/Ärztin bin und mir gefällt mein Arbeitgeber nicht mehr, dann gehe ich halt zu einem anderen, bewerbe mich auf mehr oder weniger geradem Wege irgendwo und fang dann da an. Das geht ja in den künstlerischen Berufen schlechter und in der bildenden Kunst ist es wohl am Vertracktesten. Bewerben bei einer Galerie? Geht ja nicht. Und das ist ja oft das Nadelöhr zu einer wie auch immer gearteten finanziellen Unterfütterung. In der bildenden Kunst bewerben sich nur die Leute auf Staatsstipendien, die sonst nicht genügend Einnahmen aus rein künstlerischer Arbeit generieren können. Andererseits ist eben auch der Erhalt eines Staatsstipendiums eine Adelung des Werkes, weil es für wert befunden worden ist, überhaupt gefördert zu werden. Es ist kompliziert und ich muss sagen, dass ich letztlich nicht sehr überrascht bin, wie wenig Bereitschaft herrscht, über die eigene finanzielle Disposition zu sprechen. Das ist vermintes Gelände, weil es fast immer direkt an das Selbstwertgefühl gekoppelt ist, wobei mir eine Arbeit meines geschätzten Kollegen Oliver van den Berg einfällt mit dem schönen Titel: „Einziges Werkriterium ist der Preis“. Und das gilt wohl in vielerlei Hinsicht.

Andreas Koch: Aber ich habe auch das Gefühl, dass Geld als Kriterium immer weniger wert ist. Bei mir gibt es da so eine Art mentale Inflation. Das hat sicher auch mit den Rahmenbedingungen zu tun, dass nämlich gerade in den letzten Jahren die Geldmenge rasant zunimmt. Hauptsächlich werden die Reichen immer reicher, es gibt immer mehr Erben, Start-upler werden mit Millionen überschüttet, aber auch die Anzahl der Stipendien wächst und viele der ärmeren Künstler erhielten über Coronahilfen und Stipendien immerhin fünfstellige Beträge. Kurz, es gibt wahnsinnig viel Geld, weniger in der Fläche, aber es sind ja auch nur die angehäuften Berge, die dann in Richtung Kunst wandern und dort neue, nie gekannte Gipfelhöhen erzeugen. Die Preise dort kann man keinesfalls ernst nehmen, wenn fast unbekannte Künstler digitale Zertifikate für Millionen verkaufen. Johann König nähert sich bestimmt schon den 50 Millionen Euro Umsatz oder hat sie überschritten …
Ich kann Geld nicht mehr so richtig ernst nehmen, also Geld, das außerhalb der Existenzsicherung existiert, die ja nicht superknapp kalkuliert werden muss. Die Strafzinsen sollten als eine Art Steuer viel höher sein als die jetzigen Negativzinsen, die man auf dem Girokonto für Beträge über 100.000 zahlt. Und natürlich hohe Vermögenssteuern, um den Wettbewerb am Laufen zu halten.
Wenn Leute mir von xy mit dem und dem Einkommen, Erbe, Verkauf, Gewinn erzählen und man etwas von dem Neid spürt, der aufkommt, sage ich gerade immer: Es ist doch nur Geld.


*MMT
Dirk Ehnts erklärt diese Theorie (Modern Money Theory) wie folgt:
Stell dir die ersten Einwanderer in Amerika vor. Sie gründen ein Dorf an der Küste. Es gibt kein Geld, alle bauen erst mal ihre Hütte, kümmern sich um das Notwendigste, Ernährung, helfen einander. Irgendwann stellt sich die Frage, wer baut denn die Gemeinschafts­einrichtungen, die Straßen, die Schulen? Wie kann man das lösen? Wie bekommt man die Leute dazu, ohne sie zu zwingen. Ein gewählter Bürgermeister schlägt eine zu schaffende Währung vor, den Dollar. Sie werden gedruckt oder gemalt oder sonstwie definiert. Jeder der mithilft, bekommt von ihm dann die Dollar für die gemeinschaftliche Arbeit. Der Staat schafft Beschäftigung und bezahlt dafür … für den Straßenbau, die Abflussrohre, die Müllentsorgung, die Lehrer, Sheriffs und Steuereintreiber.
Der Clou, damit die Währung einen Wert erhält, den alle akzeptieren, ist eine Steuer, die zu entrichten ist. Man muss jedes Jahr eine gewisse Menge Dollar dem Bürgermeister oder der Dorfkasse zahlen, vielleicht eine Art Hüttensteuer. Damit hat jeder ein Interesse an Dollar zu kommen, sei es durch öffentliche Arbeit oder eben durch Eintauschen von Gütern oder anderer Arbeit. Was der Bürgermeister mit den eingenommenen Steuern macht, ist eigentlich egal, er kann sie auch wegwerfen. Er könnte ja jederzeit neue Dollar ausgeben, genau wie die ersten.
Wichtig ist, das Geld kommt aus dem Nichts und der Staat kann es nach Bedarf erzeugen, solange es eben einen Bedarf nach gemeinschaftlichen Gütern und Leistungen gibt. Das Geld wird über Steuern wieder zurückgeholt und könnte genauso gut vernichtet werden. Wachstum entsteht durch die durch Geldpolitik erzeugte Produktivität der Bevölkerung.
 
Annette Wehrmann, „Orte des Gegen“, Gouachen, 1995–2010
Illustration: 50-DM-Schein von 1961–ca. 1992, Porträt nach Barhel Beham, um 1525
Illustration: 500-DM-Schein von 1961–ca. 1992, Porträt nach Hans Maler zu Schwaz, um 1521