Wo ich war

2021:Juni // Esther Ernst

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06-2021

GROSSE KATHARINA 17. Juni 2020
It Wasn’t Us
Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin

Grossartig. Überwältigend auch. Augenkrebs. Mitten drin stehend, durch die Glaskopfwand aus dem Hamburger Bahnhof raus laufend, im besprühten Aussenraum schlendernd, das grusige Neubaugebiet anstaunend und in der Kunst sitzend, denke ich: leider kommt bei aller Bombastik ziemlich bald die Ernüchterung… Weil sie mich in Wahrheit auf Distanz hält und ich paradoxerweise nirgends einsteigen darf. Weil sie aalglatt ist und mir keine zweite Ebene bietet. Und weil laut einfach sehr schnell verpufft und fad nachwirkt.



LIVING THE CITY 4. Okt. 2020
Lukas Feireiss, Tatjana Schneider, TheGreenEyl
Abfertigungshalle, Flughafen Berlin-Tempelhof

Eine Ausstellung über Städte, Menschen und Geschichten. Gegliedert in gut gewählte Themenbereiche wie Lieben, Leben, Schaffen, Teilnehmen, Lernen, Spielen, Bewegen und Träumen. Es sind jeweils konzentrierte Beiträge zu diversen städtischen Lebensräumen in Europa. Die Fragestellungen, Beobachtungen, Aufzeichnungen, Ideen und Gedanken sind spannend, zugänglich und angenehm vermittelt. Ich habe super gern geguckt, euphorisch gelesen und fühlte mich hinterher ein bisschen beglückt, dass eine Grossausstellung mit Ansage nicht blutleer oder verklausuliert daher kommt.

Prima Ausstellungskonzept, feine Umsetzung, schöner Katalog, alles spitze. Drum nochmal hin und genauer gucken. Dann Corona.



11. Berlin Biennale 10. Okt. 2020
ExRotaprint, Berlin

Ehrlich, keine Ahnung um was es hier geht. Hab irgendwie den Eingangstext verpasst, oder war da gar keiner? Überhaupt hab ich beim Hinradeln gemerkt, dass mich die Berlin Biennale bisher überhaupt nicht erreicht hat.
Julia Bonn präsentiert ihre feministische Gesundheitsrecherchegruppe. Menschen mit psychischen und körperlichen Einschränkungen erzählen aus ihrem Alltag. Es gibt eine transsexuelle Modeschauperformance und auffallend viele KünstlerInnen kommen aus Lateinamerika. Sheroanawe Hakihiiwe lebt an einem Ort im Amazonas, der die Suchmaschine im Internet nicht kennt, in der Yanomami Gemeinschaft, einer indigenen Volksgruppe in Brasilien. Sie präsentiert hier zwei anatomische Zeichnungen vom weiblichen und männlichen Körper. Und hat diese während der Pandemiezeit im Stadtraum verteilt, um den Menschen ein Bewusstsein über ihren Körper zu vermitteln.



MANIFEST 10. Okt. 2020
Uferhallen, Berlin

Es geht um den Erhalt des Kulturstandortes Uferhalle, um Eigenbedarf und um Verhandlungen mit Investoren und der Stadt. Aber auch um all die Freiräume, die zunehmend verschwinden. Die meisten der beteiligten KünsterInnen haben ihr Atelier auf dem Gelände.

Irgendwie haben sie das Licht vergessen in der Ausstellung, es ist ziemlich düster und kalt.
Mirjams Galgen-Vogelscheuche versteh ich nicht.
Angelika Levis 3-Kanal-Video rund um den Kotti mochte ich sehr. Aber der Ton war schwierig und konkurrierte mit Kerstin Honeits Videobeitrag.
Dass Anke Becker ernsthaft Zeitungsartikel schwärzt und dabei einige Worte auslässt, die so einen neuen Sinn ergeben, macht mich stutzig. Zeitungsartikel schwärzen darf man echt nicht mehr, dass ist wie Cappuccino auf Instagram. Hm. Weiss nicht, bin ichs?



BAUER MARC 12. Okt. 2020
The Blow-Up Regime
Berlinsche Galerie

oh, toll! Zuerst bin ich begeistert von dem Wechsel der intimen Zeichnungen zu den bombastischen und raumfüllenden Wandarbeiten. Und dann natürlich von seiner Art der Erzählung und seiner Weise, Text in die Zeichnung einzubetten. Angezogen von der abstossenden Bildsprache, den fliessenden Übergängen und seiner virtuosen Kohle-Technik. Dann erst denk ich an Inhalt: die männliche Macht, der Faschismus, parallel dazu die Geschichte des Internets und was es mit uns Menschen macht. Der Auftakt bildet eine Zeichnung vom ersten Computer, die Ausstellung endet mit einer Wandzeichnung zur amerikanischen Wahlmanipulation(?). Und immer wieder gleiten seine ineinander geschachtelten Handlungen in Fiktion oder abgründige Assoziationen ab. Den Soundtrack von Thomas Kuratli find ich zwischen spitze und doof. Wollte unbedingt noch mal hin. Dann kam Corona zurück.



CAHN MIRIAM 14. Okt. 2020
ZEIGE!
Galerie Meyer Riegger, Berlin

Ich mag die Cahn-Welt, den Abgrund, die Dringlichkeit, die schief ausgeschnittenen Papiere, die Kohlefingerabdrücke und Schmierereien. Die ausdrucksstarken Gebisse und die Menschen, die alle aussehen wie Miriam Cahn selbst. Ich mag ihren Sexraum, in dem nicht klar ist, wo Sex gemocht und wo eine Vergewaltigung statt findet. Ich mag das Rücksichtslose und Kräftige in ihrer Malerei und das Kompromisslose auch. Ihre Behauptung. Und ihre dichte, fordernde Hängung. Sauge ich alles auf.
Ich mag die übermalten Fotos nicht, sie sind mir zu salopp, zu leicht, zu trashig. Und ihre Ton-Arbeiten mag ich auch nicht.



SUTER VIVIAN 24. Oktober 2020
Bonzo’s Dream
Brücke Museum Berlin

Vivian Suter ist mir in Miriam Cahns DAS ZORNIGE SCHREIBEN zum ersten Mal begegnet. Aus dem Mailwechsel geht hervor, dass Suter mit ihrer Mutter in Guatemala im Urwald lebt und arbeitet. Dort wird auch der Atelierbesuch von Szymczyk beschrieben. Leider habe ich ihren Beitrag auf der Documenta 14 verpasst. Und sie war mal mit dem Schriftsteller Martin Suter verheiratet.
Gut, jetzt hat das Brücke-Museum Suter zum Dialog zwischen der hauseigenen Sammlung und ihren Arbeiten eingeladen. Und das ist ihr und ihrer Mutter, die anscheinend noch kurz vor ihrem Tod die Werkauswahl getroffen hat, hervorragend gelungen. Wild hängen ihre losen Leinwände wie Fahnen, oftmals hinter einander gestaffelt im Raum. Eine kräftige Ansage, bin beeindruckt über Suters eigene Sprache und kriege gute Laune. - Wer eigentlich ist Bonzo? Ihr Hund?



JANKOWSKI CHRISTIAN 24. Okt. 2020
Sender and Receiver
Fluentum Berlin

Uhi, schräge Gegend, interessantes Gebäude, was war denn das mal? Aha, Naziluftwaffe, später amerikanisches Headquarter. Jetzt privater Showroom der Videosammlung von Markus Hannebauer.
Ich mag an Jankowskis konzeptuellen Arbeiten das leichtfüssige Ausstellen von Zwischenmenschlichkeit. Sie sind zugänglich, populär, klug und humorvoll.
Die aufgewärmte Zöllnerarbeit verliert aber ohne den ganzen Kunstzollschwanz an Kraft. Spannend bleibt hingegen die Blutsbrüder-Arbeit, ebenfalls aus 1999. Diese dokumentiert die Idee und das Scheitern einer Blutübertragung von Jankowski und Winnetou Schauspieler Pierre Brice. Die neue Waschmaschinenskulptur überzeugt mich wenig. Und auch die nigelnagelneue Corona-Videoarbeit mit den maskierten Engeln in Schutzanzügen und dem Offtext von Prominenten Menschen in der Glotze … ich weiss nicht. Und trotzdem schau ich gerne hin.



WARBURG ABY 26. Okt. 2020
Bilderatlas Mnemosyne - Das Original
Haus der Kulturen der Welt Berlin

+ uff, da gibt es ganz schön was durchzuarbeiten. Ich weiss nur peripher, was an Warburgs Denke so sensationell ist und rätsle bereits bei der Ouvertüre, Tafel A bis C, die den gesamten Bilderatlas einführen: Sternbilder, geografische Karte, Stammbaum. Der Kreis wird zur Ellipse und wir enden beim Luftschiff. Die Bildergeschichte beginnt vor 3000 Jahren, zeichnet die europäische Kunst bis zur damaligen Gegenwart von 1920 nach. Die Lesart des Bilderatlas setzt allerdings ganz schön viel Wissen voraus. Die Pathosformel zum Beispiel. Aber auch die griechische Mythologie, astrologische Kenntnisse, die Renaissance und die Wiederentdeckung der Antike. Mir wird schlagartig klar, wie überfordernd so viele geordnete Bilder sein können. Deshalb rette ich mich in Warburgs Vorlesungsausschnitte. Bei Tafel 50 ging mir der Gar aus. Pause. Hunger. Bissel Ratlosigkeit auch.



EICHER MARGRET 2. März 2021
Lob der Malkunst
Digitaler Dialog, Haus am Lützowplatz im Internet

Erst kein Live-Guide, weil technische Probleme. Dann aber klappt es mit Tarek, der mit einer Videokamera durchs HaL führt, während Margret Eicher auf Zoom erzählt, was wir hier sehen. Das ist ein unterhaltendes Setting und funktioniert gut.
Eicher erzeugt Digitalcollagen und lässt diese in grossformatige, maschinengewebte Tapisserien übersetzen. Dabei interpretiert sie klassische Gemälde aus der Kunstgeschichte neu und besetzt die Figuren mit Stars und Sternchen aus Filmen, bedient sich der Werbung oder dem politischen Tagesgeschehen. Zum Beispiel „Die Geburt der Venus“ nach Botticelli mit Beyoncé, im Setting eines Frankfurter U-Bahnhof mit Chanelle Werbung an den Seiten, umrandet von historischen Tapisseriebordüren. Mir sind das zu viele Zitatebene und zu wenig Eigensinn.



KOCH ANDREAS 25. Feb. 2021
Alle meine Bücher
A - Z, Berlin

Schon die Einladung klang gut: Andreas zeigt über 100 Bücher, die er in den letzten 20 Jahren für verschiedene KünstlerInnen gestaltet hat. Während einer halbstündigen, coronakonformen Audienz spricht er über Ideen, Entwürfe, Schriften, Papiere, Bindungen, Fäden, und Nerven … Und das tut er wie immer sehr unterhaltsam, mitreissend, lustvoll. Und alles was ich gesehen habe war schön, überlegt, gewagt, zugänglich.
Allein in die Torstrasse zu fahren, um an einer Veranstaltung in live und Farbe teilzunehmen, war aufregend.



SCHNEIDER GREGOR 3. März 2021
KREUZWEG Nach einer Idee für Berlin 2006
St. Matthäus-Kirche im Kulturforum

Ich weiss nicht, falls eine Inszenierung des klaustrophobischen Raums intendiert ist, geht das nicht auf. Nicht mal für mich, obwohl ich dafür prädestiniert bin. Überhaupt ist die Raumerfahrung in dem Kreuzgang mini. Aber das angekokelte Holz, eine traditionelle, natürliche Oberflächenveredelung aus Japan, die das Holz robuster macht und ihm einen Schutz verleiht, ist super schön. Es schimmert, ist von feinen Rissen übersät und erinnert mich an die Oberfläche eines alten Ölgemäldes. Ich mag das Kreuz als Skulptur in der Kirche. Das mit Bühnenmolton ausgekleidete Innere ist mir zu viel Rummel und Geisterbahn.
Auf der Empore hängen Fotos von vergangenen Arbeiten, dem Haus Ur und seinen verschiedenen Kaba-Projekten…
Ein Orgelstimmer stimmt die Orgel und lässt dissonante Klänge stehen, das fand ich ganz gut.  
Alle Fotos: Esther Ernst