Notizen nach Gesprächen zum Thema Geld

2021:Juni // Anna-Lena Wenzel

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06-2021


„Wir haben ein Monster mit dem Kunstbetrieb erzeugt. Die Künstler*innen haben keine wirtschaftliche Grundlage mehr zum Arbeiten. Im Alter steht man vor Armut. Familie kann man sich weder zeitlich noch finanziell leisten, wenn man ‚im Betrieb‘ mithalten möchte. Unter solchen Arbeitsbedingungen kann keiner lange durchhalten.“

Marina Naprushkina im Gespräch mit Nataša Ilić,
Ausstellungsflyer „Keine Zeit für Kunst“,
Galerie Wedding, 2020



Mit Freundin A. spreche ich über die Auswirkungen von Corona. Sie erzählt, dass ihr Mini-Job im Kino weggebrochen ist und sie nicht in Kurzarbeit gehen kann, weil sie dort nicht angestellt ist und die Kurzarbeitsregeln für diese Art von Jobs nicht greifen. Auch aus diesem Grund hätte sie die 5.000 Euro Soforthilfe beantragt und bekommen. In ihrem Job als Aufbauhelferin für eine öffentlich geförderte Institution arbeitet sie immer nur, wenn Bedarf ist, und dann oft für mehrere Wochen sozusagen in Vollzeit. Anfangs hat sie dort 12,50 Euro in der Stunde verdient, hat aber dann zusammen mit den Kolleg*innen gestreikt und eine Erhöhung des Lohns auf 15 Euro die Stunde durchgesetzt. Oft arbeitet sie über zehn Stunden am Tag oder muss spontan einspringen, wenn sich der Aufbau verlängert, doch Zuschläge gibt es keine, weder für Überstunden, noch für Wochenendarbeit. Auch für diese Jobs gilt: Arbeitsunfälle sind Privatvergnügen, es gibt keinerlei Kompensation für unfallbedingte Ausfälle, da die freien Mitarbeiter nicht versichert sind. Weil sie in Blöcken arbeitet, ist sie oft für mehrere Wochen total absorbiert und dann so geschlaucht, dass sie mehrere Tage braucht, um sich zu regenerieren. Für ihre eigene Kunst bleibt immer weniger Zeit.

Bekannter B. erzählt von seinem Job in einem größeren Museum, wo er Aufbau und Art-Handling macht. Er bekommt dort 25 Euro die Stunde und sonntags einen Zuschlag von 50%. Obwohl das für Aufbaujobs ein gutes Gehalt ist, hadert er mit seiner Bezahlung: „Wenn ich sehe, was die Handwerker bekommen, die hier zum Beispiel das Parkett verlegen, bekomme ich schlechte Laune. Die arbeiten nicht für unter 60 Euro die Stunde. Und am Wochenende würden die schon gar nicht kommen – und freitags ab 16 Uhr ist Feierabend.“
Er erzählt noch von einem anderen Arbeitgeber – einer Galerie. Die hat manchmal erst mit erheblicher Verspätung die Honorare für Aufbauarbeiten ausgezahlt, weil sie die Gewinne aus Verkäufen im Aktienmarkt investiert hätte und daher nicht immer flüssig gewesen wäre. Als er einmal ein Mahnverfahren angestrengt hat, hätte er aber sehr schnell sein Geld bekommen.

Telefonat mit C. Er hat lange in einer Galerie gearbeitet und problematisiert die dortigen Verhältnisse. Er berichtet davon, wie Kunstwerke ohne Wissen der Künstler*innen weiterverkauft werden, was bedeutet, dass sie am Gewinn nicht beteiligt werden. Er erzählt, wie sie einmal ein Kunstwerk auseinandergebaut, in mehrere Teile zerlegt und auf verschiedene Taschen verteilt hätten, damit der Käufer keinen Zoll zahlen musste.
Er kritisiert, dass viele Künstler*innen in Galerien arbeiten und dort für das Art-Handling eingesetzt werden, aber nicht als Künstlerassistenten beschäftigt werden, damit die Galerien keine KSK-Abgaben zahlen müssten. Die Scheinselbständigkeit führe dazu, dass man bei der Arbeit nicht versichert ist, falls man sich verletzt, wird man auf die Straße getragen, so dass es aussieht, als hätte man sich auf der Straße verletzt. Er erzählt, dass ihm in einer Galerie einen Tag vor Ablauf seiner halbjährlichen Probezeit gekündigt wurde.
Er sagt: „Es ist alles eine Trickserei“ und dass die Künst­ler*­innen selber oft auch kein Interesse daran hätten, angestellt zu werden, weil dann längere Projekte oder Residencies (mit denen man Geld verdienen könnte) verunmöglicht würden.
Das Problem dann mit der KSK wiederum ist, dass man als Künst­ler*­in sein Haupteinkommen durch das Kunstmachen generieren muss, und nur einen bestimmten Betrag nebenbei verdienen darf (450 Euro/Monat). Doch erstens ist es unrealistisch (und unplanbar) als Künstler*in ein regelmäßiges Einkommen zu generieren – vor allem wenn man nicht im Kunstmarkt unterwegs ist. Zudem reicht der Betrag, den man dazuverdienen darf, nicht aus, wenn man eine Familie hat.

Im zweiten Lockdown treffe ich C. erneut, weil er das Sonder-„Stipendium“ des Berliner Senats über 9.000 Euro bekommen hat. Er erzählt, dass er ein schlechtes Gewissen bekommen hat, weil er zur Zeit in seinem Job in Kurzarbeit ist und daher weiter Geld bekommt. Er sagt, es gäbe bestimmt andere, die es dringender nötig hätten als er, weil sie existentielle Sorgen hätten. Aus diesem Grund habe er überlegt, ob er es zurückgeben soll, aber dann habe er gedacht, dass das Stipendium zwar gelost, aber nicht verschenkt wurde. Es gab bestimmte Kriterien, die man nachweisen musste – jedenfalls wenn man nicht in der KSK ist – zudem würde er seit Jahren künstlerisch arbeiten und ehren­amtlich einen Raum betreiben. Daher ist es okay, auch einmal Geld zu bekommen, sagt er. Und dass er damit Projekte realisieren wird, die er ohne Förderung nicht durchführen könnte. Zum Schluss sagt er noch, dass er sich zwar über das Geld gefreut hätte, es aber nicht als Auszeichnung seiner künstlerischen Arbeit werten würde.

Mit Bekannter D. spreche ich ebenfalls über das Sonderförderprogramm. Sie erzählt, dass sie sich nicht beworben hat, weil sie eine feste Stelle hätte, und findet, dass es Kolleg*innen gibt, die es nötiger hätten.

E. schreibt in die Runde und fragt nach Erfahrungen mit Grundsicherung. Bei ihrem ersten Antrag gab es Komplikationen wegen alten Mietverträgen, nun profitiert sie von den gelockerten Bestimmungen während der Corona-Zeit und bekommt Unterstützung. Sie kann die Auszahlung der Honorare auf die Zeit der Abmeldung der Grundsicherung verschieben. Weil sie schon lange nach einem Haus auf dem Land gesucht hat und nun Zeit zum Suchen hatte, kauft sie zusammen mit Freunden ein altes Haus.

Anruf bei Freundin F. Sie ist aufgebracht. In der Musik- und Theaterbranche sind ihr die Jobs reihenweise abgesagt worden, ohne dass es Ausfallhonorare oder ähnliches gegeben hätte. Als sie sich wegen der vereinfachten Zugänglichkeit zur Grundsicherung beraten lässt, erfährt sie, dass sie, bevor sie Unterstützung bekommt, ihre Mutter aus deren Wohnung rausschmeißen müsste, weil sie Miteigentümerin dieser Wohnung ist. Sie will sich noch mal beraten lassen, aber nach diesem Jahr der Unsicherheit und der oftmals gescheiterten Verhandlungen mit Arbeitgebern ist sie müde.

Kollegin G. berichtet von ihrem schlaflosen Wochenende, nachdem ihr von der Stiftung, die ihr Projekt fördert, gesagt wurde, sie hätte einen Fehler gemacht und ihr würde ein Drittel weniger ausgezahlt werden, was bedeuten würde, dass sie alles wieder umstellen, auf ihr Honorar verzichten oder gar privates Geld beisteuern. Im Nachhinein hätte sich dann doch herausgestellte, dass es ein Fehler der Stiftung war, der jedoch noch mal das krasse Ungleichgewicht offenbart hätte, in die man sich begibt, wenn man mit größeren Summen gefördert wird und davon abhängig ist, dass ein bisschen Spielraum für Unwägbarkeiten gelassen wird – und dass man Honorare für die eigene Arbeit ebenfalls abrechnen kann.

Auftraggeberin H. argumentiert von der anderen Seite. Sie kritisiert die Transparenzlogik der Förderstrukturen, der zufolge alles auf den letzten Cent abgerechnet und nachgewiesen werden muss. Wodurch der Bürokratieaufwand in keinem Verhältnis zu den ausgezahlten Summen steht. Das müsse man abschaffen, fordert sie. Und eine andere Person ergänzt: Das ist so deutsch! In der Schweiz gäbe es ein System, bei dem man bis zu einer gewissen Grenze nichts nachweisen müsse.

Ich denke an I., die mich letztes Jahr zu einem Projekt eingeladen hat, die Stunden damit verbringt, die Förderkonditionen (Zeiträume, Abrechnungstermine, Doku-Anforderungen, Auflagen in Bezug auf die Zwecke etc.) der verschiedenen Stiftungen, von denen ihr Projekt Gelder erhalten würde, zu recherchieren und flexibel auf das Projekt anzupassen, denn vieles ist an konkrete Auflagen gebunden. Sie sagt, sie würde die ganze Zeit bescheißen, aber hätte nicht das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Die absurden Förderlogiken würden sie dazu zwingen. Hinzukommen die aufwendigen Abrechnungen und Nachweise, die einen unglaublichen Bürokratieaufwand mit sich bringen.

Mit J. diskutiere ich über den Neuköllner Kunstpreis, bei dem drei Preise à 3000 Euro, 2000 Euro und 1000 Euro vergeben werden. Ist das jetzt viel oder wenig, fragen wir uns. Ich sage, man kann davon drei Monate leben. G. argumentiert, dass man damit zwar eine neue Webseite bekäme, aber keine Publikation. Was mich umtreibt, ist das Geld, das im Rahmen des Kunstpreises ausgegeben wird, aber nicht an die Künstler*innen geht. Dazu zählen die Honorare für die Jury und die Fotograf*in, die Porträts der Künstler*innen macht, sowie die Preisverleihungsveranstaltung inkl. Raummiete, Techniker*innen- und DJ-Honorare. In welchem Verhältnis steht das zueinander?

Wir sind bei K. eingeladen, um einen Radiosalon aufzunehmen. Die Musikerin und Künstlerin spricht offen über ihre prekären Lebensbedingungen und erzählt uns, wie sie zu ihrem Künstlerinnennamen gekommen ist: Weil sie beim Einkaufen immer die weggeworfenen Kohlrabiblätter mitgenommen hat, die umsonst und essbar sind, nannte sie sich fortan DJ Kohlrabi.

To be continued.
 
Illustration: 20-DM-Schein von 1961–ca. 1992, Porträt nach Albrecht Dürer, um 1499