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Museum Nikolaikirche

2021:Juni // Christoph Bannat

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06-2021

Irgendwo dazwischen

Kritik heißt, nach Michel Foucault, dass man sich nicht „dermaßen“ – übertragen auf Bilder, sich nicht von diesen, oder eben nicht in einer solchen Konstellation – regieren lassen möchte. Und das bedeutet, dass man sich regieren lassen will, aber eben nicht „dermaßen“. Der Betrachter möchte verführt werden, eine Zeit lang, in einem un(be/ge)stimmten Licht.
Der Ausstellung im Museum Nikolaikirche lagen zwei öffentliche Friese zu Grunde – zwei Bildprogramme. Neu entdeckt vom Kurator und Künstler Maarten Janssen. Das Offensichtliche, anscheinend selbstverständlich, erneut ins Bewusstsein zu rufen, ist seine große Leistung. Zu entdecken waren der Terrakottafries am Roten Rathaus und der Betonfries im Nikolaiviertel. Beide erzählen von der Entstehung Berlins. Gerhard Thieme (1928–2018) entwarf seinen Fries zur Berliner 750-Jahr-Feier (1987). Damit reagierte er bereits auf die 36 Terrakotta-Tafeln rund ums Rote Rathaus, die wiederum auf die deutsche Reichsgründung 1871 reagierten. Von 1877 bis 1879 arbeiteten Ludwig Gustav ­Eduard Brodwolf, Alexander ­Calandrelli, Otto Geyer und Rudolf Schweinitz an dem Relieffries.
Zwei staatliche Aufträge, zwei Bildprogramme im öffentlichem Raum. Das eine setzt auf das neu entstandene (Bildungs-)Bürgertum als Autorität. Das andere, von Gerhard Thieme, zeigt, ganz im Sinne der DDR, das neu entstandene Klassenbewusstsein sowie dessen Funktionäre. So kommen am Rathaus die Hugenotten als Edelleute und 110 Jahre später in Beton als zerlumpte Flüchtlinge nach Berlin. Die 48er-Revolution kommt am Rathaus erst gar nicht vor, dort bringt das Schwert das Gesetz nach Berlin, während im Nikolaiviertel eine Flutwelle die Schlossherren vertreibt. Beide miteinander zu vergleichen ist ein erhellender Spaß. Maarten Janssens Idee war es dann auch, die Geschichte von 1989 bis heute in großformatigen, 4,70 mal 2 Meter großen Arbeiten von zehn Berliner Künstlern weitererzählen zu lassen. Dabei gab es, außer dem Format, keine Vorgaben, es musste also Flachware sein. Alle Künstler bekamen eine Führung zu den Friesen. So die Versuchsanordnung.
Eine gute Ausstellungsidee, gerade in Corona-Zeiten, da die Friese jederzeit, täglich 24 Stunden besucht werden können. Und sie fragt, wie öffentliche Bildprogrammeheute aussehen könnten. Programme, die sich in C19- (oder sind wir schon bei 20)Zeiten zunehmend ins Imaginäre verlagern.
Der akademische Kunstbetrieb ist dem Ministerium für Wissenschaft und Forschung unterstellt. Dabei ist Kunst eine schwierige, da intuitive Wissenschaft, die hauptsächlich aus symbolischen Handlungen kultischen Sorgens besteht. Und Forschung, wenn es sich nicht um die Vergangenheit des Kunstbetriebs handelt, hat in Zeiten zunehmender Zwangsindividualisierung, seine formalen Grundlagen verloren. Heute gelten Originalität und Authentizität mehr als Handwerk und Tradition. So können schon die beiden Friese gelesen werden. Der Rathaus-Fries setzt noch auf Handwerk und Tradition, während Thieme mit Originalität (künstlerische Handschrift) und Klassenbewusstsein antwortet. Vielleicht kommt das künstlerische Klassenbewusstsein in C19-Zeiten mit dem Ruf nach staatlicher Unterstützung ja wieder? Ein berechtigter Ruf, bedenkt man, dass der Staat, im Sinne von Wissenschaft und Forschung, jährlich Hunderte von ausgebildeten Künstler in die Wirklichkeit entlässt.
Meine Kritik: Keiner der Künstler hat in Richtung der beiden Bildprogramme geforscht. Jeder hat die Chance genutzt, um wieder einmal seine Marke zu setzen. Dabei luden sie sich leider auch nicht gegenseitig auf – es sei denn man erträumt sich einen Berliner Künstlerhybriden aus Feldmann, Bisky, Kilpper. Doch in einem Moment, zur Pressekonferenz, mit auf ein Lattengerüst getackerten Fotokopien der Friese, schien die Ausstellung als Vorschlag einer assoziativen künstlerischen Recherche gelungen. Leider verschwand die bescheidene Installation dann wieder.
Aber im Vergleich der Friese lauern immer noch die Fragen nach der Darstellbarkeit von Mensch als Masse und dessen Klassifizierung. Fragen die heute, da wir intimer mit Leuten, die uns körperlich ferner denn je sind, Kontakt haben können, dringender denn je scheinen. Verbunden mit der Frage nach den Bedingungen von Zugehörigkeit und Gemeinschaft und wie sich diese in einer globalisierten Welt denken lassen.

„Features – 10 Sichten auf Berlin“, Norbert Bisky, Patricia Bucher, Sol Calero, Friederike Feldmann, Nadira Husain, Thomas Kilpper, Thomas Ravens, Petra Trenkel, Helen Verhoeven, Suse Weber,
kuratiert von Maarten Janssen, Museum Nikolaikirche, Nikolaikirchplatz, 10178 Berlin, 4.9.2020–24.1.2021
 
Fries am Roten Rathaus, „Einzug der Hugenotten“
Gerhard Thieme, „Sturm auf das Schloss“
Gerhard Thieme, Ausschnitt aus dem Fries, 1987, hier: Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gründen die KPD
Ausstellungsansicht „Features“