Ich mach’ mir die Welt – widdewidde wie sie mir gefällt / Venedig-Biennale 2013
Venedig, alle zwei Jahre wieder, Klassenfahrt. E kommt gerade aus Hongkong von der Messe, davor New York, jetzt einigermaßen gejetlaggt.Wir nehmen den Bus zum Vaporetto, schippern mit den Koffern zu unserer modrigen Unterkunft, trinken am Platz zwei Spriz, die ersten Bekannten tauchen auf. Mit K und G essen wir später überteuerte Pasta und trinken mehr Wein. Am nächsten Tag quälen wir uns zu den Akkreditierungshallen und über lange Schlangen in die Giardini. Vor den Pavillons weitere Schlangen, an denen wir dank Kuratoren über Hintereingänge vorbei können. Es ist heiß. Vor dem koreanischen Pavillon müssen wir die angeschwollenen Füße aus den Schuhen pressen, Mitmachkunst, hell/dunkel. Im russischen auch. Dort dürfen nur Frauen ins EG und die Goldmünzen aufsammeln, mit denen sie von oben beworfen werden. Der deutsche Pavillon macht es mit Spiegelschrift überdeutlich, dass er mit dem französischen gegenüber getauscht hat. Warum, frage ich mich. Alle stemmen sich gegen Nationalitäten, am auffälligsten ist, dass immer irgendwas mit den Pavillons und deren Architektur geschieht oder gleich mit der ganzen fauligen Stadt. Dabei kann man den Nationalismus-Schocker und Pavillonzertrümmerer Haacke eh nicht mehr toppen. Es löst sich doch sowieso alles auf oder geht unter. Essen bleibt schwierig, weil auch in Rehbergers Plastecafete elend lange Schlangen auf überteuerte Tramezzini und Getränke warten. Im englischen Pavillon gibt es Tee auf der Terrasse, der ist aber gerade aus. An der einen Wand zieht William Morris eine lange Yacht, angeblich die von Abramowitsch, aus dem Meer: keine Luxus-Boote vor den Giardini lautet die Message. Am einzigen morschen Frauen-Klo, endlose Schlangen. Draußen beim österreichischen Pavillon treffen wir viele Berliner. Endlich gibt es etwas Eis und ein neues Bier zu probieren. Wir stellen uns in die Schlange. Drinnen im dunklen Raum schauen wir auf einen Zeichentrick-Vogel und einen Esel, der traurig in einem Waldsee auf einem Baumstumpf treibt. Ein Märchen, Orchestermusik, 30er-Jahre-Disney-Ästhetik. Nach drei Minuten tanzen die Tiere und dann fängt es wieder von vorn an. F meint, dass der Esel eine bestimmte eindeutige Physiognomie hätte, die jedem Rassentheoretiker Freude bereite. Ich muss schon wieder aufs Klo. Wir verabreden uns am Hauptpavillon. Dort geht es um die Sehnsucht, alles zu wissen und alles zu sehen. Weltausstellung sozusagen. Recherche, Archive, Speicher, Meister und Dilettanten, was für ein Anspruch. Könnten wir da nicht gleich mit Wikipedia daheim bleiben? Die Füße tun weh. Wir verabreden uns für mehrere Partys am Abend. Am nächsten Morgen regnet es. Der Modergeruch ist noch stärker, oben drüber wird renoviert, als ob sie gleich das gesamte Haus abreißen. Schnell raus. Im Arsenale wird uns weiter die Welt erklärt. In einer Videobox: Genesis 2.0. – die Entstehung und Verendung der Welt in einem Rap, dazu Desktop-Bilder als Projektion. Ganz großes Kino! „La Grosse Fatigue“, die endlose Ermüdung. Der Beitrag kommt von der Französin Camille Henrot und ist zurecht mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet. Eigentlich bräuchten wir nun die ewig langen Wege durch die Hallen gar nicht weiter gehen. Es ist schon alles gesagt. Was folgt ist viel zu viel und viel zu ernst. Am Ende gibt es doch noch einen lustigen White-Trash-Parcour, wo man sogar sitzen kann. Wir sind erschöpft. Pause. Wieder nichts zu essen, in der WIFI-Zone kein Empfang. Weiter geht’s zum Palazzo Rossini, den Thomas Zipp zu einer Irrenanstalt umgebaut hat. Hysterie-Forschung und David Bowie sind die Themen, sowie der Künstler als Arzt und Patient. Es gibt einen Empfang, Prosecco wird ausgeschenkt, G zeigt uns seine Lieblingsskulptur im Garten, Wasser schwappt in die Halle. Erfrischend der Nullbezug zum Haus oder Venedig, Zipp baut sich hier sein eigenes Reich, seine Welt im Kopf. Und es macht am meisten Sinn von allen Um- und Einbauten der anderen Pavillons und Palazzi. Besonders der „Tobe-Raum“, eine weiße Gummizelle, hat es uns angetan. Abends sind wir bei Peggy Guggenheim auf der schönen Terrasse. Africa Bambaataa legt auf, es gibt viele Getränke, aber nichts zu essen, um 21 Uhr ist schon wieder Schluss. Wir wollen noch zur Party des chilenischen Pavillons, doch vor dem Konservatorium wieder eine Traube von Menschen und lange Wartezeiten. Es fängt an zu regnen, wir gehen nach Hause. Am nächsten Morgen brechen wir gleich auf, ohne Frühstück zum irischen Pavillon um die Ecke. Rosa Projektionen aus dem Kongo sollen Schönheit und Schrecken verbinden, im Luxemburgischen geht es eher um Musik und Ornament. Wir machen uns weiter auf den Weg zur Fondazione Prada. Die Ausstellung von 1969: „When Attitudes Become Form“ ist von Thomas Demand neu in den Palazzo reingebaut worden. Eine Kulisse in der Kulisse in der Kulisse. Irgendwie sehr fehl am Platz und wenig psycho. Als wir mit dem Boot ankommen, beträgt die Wartezeit auf Einlass ungefähr zwei Stunden. Es beginnt zu regnen. Wir wollen nicht schon wieder Schlange stehen und laufen den langen Weg zurück zu den Giardini, einiges haben wir noch nicht gesehen. Auf San Marco treffen wir den Kurator des kroatischen Pavillons, der uns für nachmittags zu einer Prozession ins Bauer einlädt. Very privat. Später dann treffen wir uns tatsächlich im Hotel. Es gibt Prosecco und Chips, exotische Tänzer und Musik, Fahnen und Parolen. Eine Schlange setzt sich vom Bauer aus in Bewegung und entert auf San Marco die Big-Band des Café Florian. Occupy! Die Touristen, die den teuren Bellini oder Cappuccino bestellen, wollen das nicht. Das seltsame Szenario weilt nur kurz und die kroatische Multikulti-Prozession zieht weiter zum archäologischen Museum, in dem sich der kubanische Beitrag befindet. Langsam blick ich nicht mehr durch. Egal, wieder gibt es einen Empfang mit Cuba Libre und Mojitos, die sehr stark gemixt sind. Wir haben ein fast hysterisches Hoch nach mehreren Getränken und gehen weiter zum Empfang des estonischen Pavillons. Alles läuft etwas aus dem Ruder. Im wunderschönen Rosengarten am Canale Grande klart langsam der Himmel auf, die Sonne kommt raus. Es gibt Oliven und Parmesanflocken zu reichlich Prosecco. Jemand will weiter zu Vito Acconci im Palazzo XY. Es ist schon 21 Uhr, als wir ankommen, es gibt nichts mehr zu trinken. Der Meister ist noch da und P hat die Gelegenheit, kurz mit ihm zu sprechen. Wir gondeln weiter zum Palazzo Bembo. Lawrence Weiner hat in vielen Sprachen was an die Wände geschrieben. Die Pressebeutel sind sehr schön. Ich soll welche für N und P besorgen. S meinte, dass sie vor drei Tagen bei der Party mehrere Magnumflaschen einfach rausgetragen hätten.Wir trinken Rotwein, es gibt wieder Eis umsonst. Noch später, bei den Freunden der Nationalgalerie auf San Marco, gibt es Käseigel. Ich falle ins Bett. E zieht weiter, wieder ins Bauer Hotel, ein Wodka Tonic für 25 Euro. Am nächsten Morgen sitzen wir in der Maschine nach Berlin. Neben mir ein Galerist, der seine Künstler mit den Nachrichten aus der Bild abgleicht. Merkel hat gerade ein Nestlé-Werk in Meck Pomm eröffnet mit 400 Angestellten. „Komisch“, sagt er, „Jeppe Hein hat doch auch schon 25 Angestellte, das steht doch in keinem Verhältnis! Vielleicht eröffnet die auch mal ein Atelier …“ Down to Earth. Mein alter Samsonite-Koffer ist im Flieger aufgegangen. Wir warten in der Schlange vor dem Gepäckband ungefähr so lang wie der Flug gedauert hat, bis alle meine Sachen wieder drin sind.
55. Biennale die Venezia, noch bis 24.11., montags geschlossen
zu erreichen hin und zurück per Bahn für 118 Euro (Bahncard 25) (50 kg CO2) 15–18 Stunden pro Strecke oder per Flugzeug für 200 Euro (500 kg CO2) 5 Stunden inklusive Flughafentransfers, Gepäck