Oh Gott, Arbeit. Nach Lektüre oder Nicht-Lektüre unter anderem aller „Brand-Eins“-, vieler „Texte-zur-Kunst“-Hefte und einiger „Phase-2“-Ausgaben, sowie aller Lazzarato-, Negri- und Bourdieu-Bücher, nach Niklas Luhmann, Max Weber und Karl Marx, nach der Postulierung aller möglichen Generationen, angefangen bei der nicht arbeitslustigen „Generation X“, über die „Generation Praktikum“ bis hin zu der neuerdings ausgerufenen „Generation Y“, ausgesprochen wie why (warum Karriere machen?), ist es schwer, dem ganzen Arbeitskomplexthema noch etwas hinzuzufügen.
Was ist Arbeit, wo fängt sie an, wo hört sie auf? Was wäre keine Arbeit? Alles verschwimmt, immer mehr. Jeder findet eigene Definitionen, laviert, versucht eigene Maßstäbe zu setzen und fühlt sich gleichzeitig auch von außen kontrolliert. Welche Arbeit ist anerkannt, und welche wird schließlich einfach gebraucht, damit wir nach unseren Vorstellungen leben können?
Es gibt eine große Menge an Bezeichnungen, die dieses Dilemma veranschaulichen: Materielle Arbeit, immaterielle Arbeit, Lohnarbeit, Handarbeit, Sexarbeit, affektive Arbeit, Hausarbeit, Kinderarbeit, Kindererziehungsarbeit, künstlerische/kreative Arbeit …
Gerade im Zusammenhang mit Kunst, wo das Wort Arbeit über den Umweg „Werk“ zum englischen „Work“ auch das Produkt bezeichnet, ist der Begriff „Arbeit“ dauerpräsent. Die Frage „Wie geht’s dir?“ ist durch die Frage ersetzt worden „Was machst du gerade?“, oder noch subtiler „Und, wie läufts?“. Als Künstler, als „Kulturproduzent“ steht man unter Dauerarbeitsdruck und gleichzeitig unter Dauerrechtfertigungsdruck. Arbeit scheint die einzige Legitimation zu sein, sich Künstler nennen zu dürfen. War man ein paar Tage oder Wochen nicht im Atelier oder mietet gar keins, oder hat man keine Ausstellung in Aussicht und schon länger keine mehr gehabt, steigt dieser Druck immens. Außer man schafft es irgendwie, das „Nichtstun“ zu kultivieren und nur das Soziale, das Reden, das Diskutieren über Kunst zum eigentlichen Produkt zu machen. Hier sei erinnert an die Kölner Künstler der Neunziger: „The Non-productive Attitude“ nannte Joseph Strau das, was damals zu einer Art Fetisch wurde und uns bis heute, vielleicht sogar in gesteigerter Form, beschäftigt. Die Produkte der Kunst scheinen da oft nur noch wie ein „Beiprodukt“, ein Accessoire zur Künstlerfigur und ihren Netzwerken.
Die beiden nächsten Ausgaben der „von hundert“ werden sich mit Teilaspekten dieses Zustands auseinandersetzen. Wir planen eine Spezial-Trilogie: der „Arbeit“ folgen zwei andere A-Wörter: erst „Alter“, dann „Angst“, also fast schon eine Art Therapie-Trilogie.
Gesellschaftlich betrachtet vereint Künstlerarbeit, vereinfacht dargestellt, zwei Modelle, die sich diametral gegen überstehen. Da ist zum einen der (neo-)liberale Kreative, der sich seinen eigenen Markt schaffen muss, der aus dem Nichts kommend Produkte entwickelt, sich ein Label schafft, wiedererkennbar bleibt, und dennoch immer wieder verblüfft. Der seinen Tag so gestaltet, wie er es für richtig hält. Kurz: der freie, aufregende und zudem vielleicht auch noch reiche Künstler. Er ist sozusagen die Speerspitze des Kapitalismus, das Role-Model für alle anderen noch unflexibleren Berufsformen.
Die andere Seite, die der Künstler eben genauso verkörpert, ist die des dauerhaft prekär Lebenden, des Mehrberuflers, der vielleicht in Teilzeit Hartz-IV empfängt, in Cafés für fünf Euro Stundenlohn jobbt, seit zig Jahren von unter tausend Euro im Monat lebt. Er lebt im Sumpf des Systems.
Irgendwo zwischen diesen beiden Extremen arbeiten wir alle. Wir versuchen, dem Sumpf zu entkommen oder das Leben in ihm weitestgehend erträglich zu gestalten – so lange es geht –, vor allem aber, es nach außen super oder zumindest „ok“ aussehen zu lassen. Das Stylen des eigenen Lebens gehört also dazu, wie etwa das Besuchen der richtigen Bar. Der nachträglich geschürte Hype um die ehemalige „Times Bar“ (siehe dazu u. a. das aktuelle „Texte zur Kunst“) steht genau dafür.
Das Sprechen und Diskutieren über Arbeit verbindet auch. Jeder kann, viele wollen etwas dazu sagen, sich einbringen und auf diesem Weg auch sich selbst präsentieren. Aber nur gemeinsam und langfristig macht es Sinn, für bessere Arbeitsbedingungen und Anerkennung zu kämpfen. Nicht nur historisch gesehen sind Arbeiterparteien, Gewerkschaften etc. extrem wichtig. Blickt man auf die aktuelle Kunstwelt, fallen einem dazu zum Beispiel die seit vielen Jahrzehnten immer wieder erneuten Forderungen nach Ausstellungshonoraren ein, oder die (leider erfolglos geblieben) Forderung nach einer Förderung der „Freien Szene“ durch Einnahmen aus der City-Tax, wie sie „Haben und Brauchen“ initiiert hat.
Mit Blick auf dieses Engagement könnte man auch den Eindruck gewinnen, dass es da vor allem um die Selbstinszenierung der Protagonisten, das eigene Profitieren aus solchen Protest-Zusammenhängen geht, und weniger um Solidarität: Wie stelle ich mich dar? Wie „lesen“ mich andere? Und wie will und kann ich sie dabei steuern … ?
Das mag den Akteuren gegenüber etwas gemein klingen und trifft auch nur auf einen Teil zu, außerdem zeugt dieser Vorwurf vom Misstrauen im Kunstbetrieb. Der Künstler ist von Natur aus Einzelkämpfer und muss immer einen guten Teil seiner Arbeitszeit für Eigenwerbung verwenden. Da fällt solidarische Arbeit für ein gerechteres System erst mal auf. Sie ist aber bei zunehmendem Aufklappen der Reich/Arm-Schere nötiger als je zuvor.
Für unser Arbeit-Spezial haben wir diesmal Künstler und Autoren gebeten, über ihren Tagesablauf zu berichten. In ihren Protokollen können wir lesen, wie sie den 28. Mai 2014 verbracht haben. Einige werden es gleich bemerken: diese Art der Umfrage ähnelt derjenigen, die die Künstlerin Barbara Steppe, die sich in ihrem Werk seit vielen Jahren mit dem Umgang mit Lebenszeit beschäftigt, als Grundlage für ihre Performance „Routines“ im Januar 2014 im n.b.k. benutzt hat. Wir haben uns daher dazu entschlossen, ein Email-Interview mit Barbara Steppe zu machen und es in diese Ausgabe zu integrieren.
Die von-hundert-Grafik bietet eine Art Projektionsfläche: Sie zeigt eine Möglichkeit, alle Arten von Arbeit zu kategorisieren und lädt dazu ein, sich anhand von altbekannten und bewährten Adjektiven im Feld „Arbeit“ anhand der Achsen zu verorten. Dass das Marx’sche Wort „entfremdet“ auch 150 Jahre nach Erscheinen des „Kapitals“ eine Hauptkategorie darstellt, und nicht andere Begriffe wie „frei/unfrei“, „erfüllt/unerfüllt“, „produktiv/unproduktiv“ oder „sozial/unsozial“ verwendet wurden, unterstreicht, dass unser aller Tun nach wie vor im Zeitalter des (Spät-)Kapitalismus stattfindet. Zudem wurde aber noch das Begriffspaar „bestimmt/unbestimmt“ eingebaut. Denn es gibt natürlich nicht-entfremdete, erfüllte Arbeit, die Spaß macht, bei der man aber dennoch angestellt ist, einen Chef oder Auftraggeber hat. Bei der man nicht uneingeschränkt über seine Zeit verfügen kann. „Unentfremdet“ steht hier also für alle Arbeit, mit der man sich identifizieren kann, an die man glaubt. Dass man dies tut, dazu gehört auch etwas Naivität, etwas Nebel, etwas Bereitschaft zum Ausblenden, sonst würde man sich schnell dem Vorwurf der Selbstausbeutung aussetzen, denn der Kapitalismus ist ja geschickt. Er macht uns ja nur an unsere Arbeit glaubend, damit wir besser funktionieren. Kann einem vielleicht auch egal sein, solange man sich einigermaßen gut fühlt. Das Wort Geld wird hier nur indirekt erwähnt, obwohl es beim Thema Arbeit eine wesentliche Rolle spielt.
Und doch könnte man auch die vertikale Achse beliebig umändern in zum Beispiel, „berühmt/nicht-berühmt“, „zufrieden/unzufrieden“ „viele Freunde/keine Freunde“, also das berühmte soziale Kapital, das Methadon jeder Kulturarbeit.
Links-unten bezeichnet in unserer Grafik die unattraktivste Position. Hier würde man die im letzten Jahrzehnt so bezeichnete „Generation Praktikum“ finden, und hiervon nur diejenigen, die im Rahmen des Studiums eine ungeliebte Tätigkeit ausführen müssen, also entfremdet von ihren eigenen Wünschen sind. Und hier landen auch die Ein-Euro-Jobber, diejenigen, die vom Arbeitsamt dazu aufgefordert werden, die Grünflächen zu harken oder Müll aufzusammeln.
Der gutverdienende Künstler wäre demnach rechts oben anzusiedeln, wenn man ausschließt, dass auch dieser Typus Arbeit extremen Abhängigkeiten unterliegt. Ein berühmter Künstler hat einen eng gestrickten Terminkalender, den er selbst nicht mehr bestimmt, den seine Mitarbeiter über „google-cal“ füllen und der von einem Assistenten überwacht wird. „Ok, wir haben noch 15 Minuten, dann wartet das Taxi zum Flughafen, dort Treffen mit xy, dann Flug nach Brasilien und so weiter.“ Er würde in dem Schaubild weiter nach links wandern.
Manch einer wird in dem Angebot der Grafik ganz viele Kreuze setzen können, die man später zur wagen Kurve verbinden kann. Ein anderer wird es vielleicht nicht schaffen, sich darin repräsentiert zu fühlen.
Wir bleiben also weiter drin stecken – im Arbeitsdickicht. Einfacher wird’s nicht und je älter man wird, desto stärker muss man sich im Gestrüpp den Pfad frei schlagen – um nicht verloren zu gehen und sichtbar zu bleiben. Aber das wird Thema der nächsten Ausgabe.