Antonia Low

Kulturhaus Mitte

2008:Nov // Ingo Gerken

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10-2008


Antonia Low legt immer gerne ortsspezifisch etwas offen. Plusminus nimmt sie sich immer das, was da ist, legt es unter Spannung oder setzt es außer Kraft. Dabei hat sie sich auf innere Systeme spezialisiert, die eigentlich besser verborgen bleiben sollten. Sie hackt Wände auf, holt Elektroleitungen ans Licht und kappt die wichtigen Versorgungsstränge.

Sie gräbt und knibbelt sich durch alle isolierenden Schichten bis Kabel wie freiliegende Nerven sind. Sie dringt vor bis in die materiellen Eingeweide der sicheren Energieversorgung und experimentiert in den Zwischenräumen von archäologischen, chirurgischen und psychologischen Schichten. Ihre Arbeiten schälen sich an einen Kern heran, der nur wahr ist, wenn er funktioniert. So nähert sie sich den grundlegenden Schaltkreisen des täglichen Lebens, der Welt und last not least des Kunstbetriebs.

Im Hause des Kulturamts Mitte stapeln sich vor lauter kommunal verwaltetem Leerstand die Ausstellungsetagen. Und alle sehen irgendwie gleich aus. Galerie Mitte, Weißer Elefant, und jetzt neu das Refugium machen das Kulturhaus im Hinterhof der Auguststraße 21 zu einem zentralen Ort des öffentlich geförderten Rückzugs vom Kunstmarkt vor der Haustür. Atmosphärisch ist hier noch viel mehr Osten als anderswo im Viertel. Die ehemaligen Büros sind so vorschriftsmäßig instand gesetzt, dass sie sogar richtig schön muffig wirken. Man weiß nicht genau, ob hier bald teuer gewohnt werden soll oder das Bezirksamt bald wieder einzieht. Die Neonblechkästen hängen jedenfalls noch, der Holzfußboden holzt und knarzt. Feuerlöscher und Fluchtplan hängen akkurat im Flur parat. Es gibt keine Räume, es gibt nur Zimmer.

Zum zweckmäßigen Standard gehört auch eine absurde Überzahl von eingebauten Steckdosen, die in Schienbeinhöhe aus den Wände ragen. Niemand braucht hier so viel Strom. Auch Low nicht. Aber an diesen Dosen hängt die Show: Zimmer 1 wird durchgestrichen und kurzgeschlossen, Zimmer 2 und 3 überbrückt. Zimmer 4 wird verdrängt von einer Soundinsel aus Styropor. Alles ist elektrisch.

1: Die Skulptur nutzt den ganzen Raum, ohne ihn zu berühren. Er wird stramm durchkreuzt von drei Stromkabeln, die alle Steckdosen miteinander verbinden und verspannen. Die Skulptur ist so präzise vermessen, daß sie sich selbst geradlinig in der Luft halten kann. Low macht aus dem Raum ein großes grafisches Zeichen, ein minimalistisches Logo, das sich aus den vorgefundenen Andockstellen ergibt. Form follows function. Doch jede Funktion ist jetzt lahmgelegt, weil das Ganze den Gesetzen der Elektrik aggressiv zuwiderläuft. So schwebt der installierte Kurzschluss wie eine Warnung über der gesamten Bodenfläche. 20qm Naturholzdielen (seidenmatt) werden statisch aufgeladen und das Zimmer muss erst gar nicht mehr betreten werden.

2 und 3: Die Skulptur nutzt den ganzen Raum, ohne ihn zu berühren. Alle Stecker sind eingesteckt, diesmal Barock. Oder Ballett. Drei metallische Garderobenständer aus dem hauseigenen DDR-Bestand stehen scheinbar frei und fließend unter Strom und halten dabei das Gewicht von rund 80 Meter Kabel vom Boden fern. Wie Telegrafenmasten sammeln sie die dicken Gummischnüre in ihren Kronen und leiten sie in großen Schwüngen weiter zum nächsten Stromanschluß. Das Wirrwarr ist schwer zu durchschauen und ein paar nackte Kupferadern machen auch hier die Installation zu einer latenten Gefahrenquelle. Doch der technische Aspekt verschwindet fast ganz hinter einem tänzerischen. Fast kultisch feiert das (elektrische) System sich selbst und am Ende dieses Kreises leuchtet im nächsten, aber wieder leeren Raum tatsächlich eine Glühbirne (die hier ganz bis auf den Boden hängt).

4: Die Skulptur nutzt den ganzen Raum ohne ihn zu berühren. Eine Lage Styropor liegt isolierend auf dem Boden. Optisch und akustisch entsteht eine andere Ebene. Der weiße Untergrund ist Bühne für ein Gespinst aus feinsten stromführenden Kupferfasern, die sich auf drei scheppernde Lautsprecher zukräuseln. Aus den Speakern dröhnt ein dumpfes Riff. Der Basslauf aus Joy Divisions „Disorder“ tropft von hier in die anderen Zimmer hinüber und breitet sich aus. Ein Schauer aus zehntausend Stecknadeln ist auf einen flauschigen Flokati niedergegangen. Er liegt herum wie ein Geräusch.

Antonia Low hat eine Ausstellung gemacht, die den Ausstellungsraum lässt wie er ist, und ihn verstärkt. Sie hat ihn ignoriert, und doch voll mitgenommen. Und sich zum Glück für beide Seiten auch über ihn hinweggesetzt. Sie holt nur einen Strom hervor, der aus den Wänden kommt und durch alles durchgeht, was Kunst ist.

Antonia Low, „Das Experiment von Käselow“, Refugium 2
Kulturhaus Mitte
Auguststraße 21
14.6.–12.7.2008
Antonia Low, Installationsansicht, 2008 (© Foto: Ingo Gerken)
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