Vor drei Jahren, Oktober 2006, war mir das erste Mal Eiko Grimberg und seine Arbeit als etwas Ungewöhnliches aufgefallen. Der Künstler beschäftigt sich mit dem Wahnsinn. Um genauer zu werden, wendet sich Grimberg der exzentrischen Frau, der Wahnsinnigen, zu. Jetzt, April 2009, taucht dieses Motiv erneut bei ihm auf. Das kann ja kein Zufall sein.
Heidi Specker / Eiko, kannst Du mir sagen wie ich das zu verstehen habe oder interpretiere ich zuviel oder zu einseitig in Deine Arbeiten hinein?
Eiko Grimberg / Heidi, das ist Zufall. Bei „Madwoman in the Attic“ ist die Protagonistin eine authentische Person, Ida Stieglitz-Heimann, die Cousine von Alfred Stieglitz. Sie beschloss eines Tages, im Bett zu bleiben. Und dies für die nächsten 37 Jahre. Bei der aktuellen Austellung „folie du jour“ ist der Ausgang die gleichnamige Erzählung („La folie du jour“, 1973) von Maurice Blanchot. Die von mir stark gekürzte Vorlage liefert in der Ausstellung den Offtext eines Films und wurde dafür von einer Frau auf einen Anrufbeantworter gesprochen. Die Geschichte ist so nur mehr der Verlauf einer Psychatrisierung. Statt dem französischen Original habe ich eine englische Übersetzung verwendet.
Specker / Ich glaube Dir nicht, dass das ein Zufall mit den Frauen sein soll. Ich muss Dich noch mal fragen. Bietet sich die Frau für Deine Projektionen im Besonderen an?
Grimberg / Nein. Würde der Text von einer männlichen Person gesprochen werden, es ist ja eine Ich-Erzählung, wäre es mir zu nah, zu nah an mir selbst. Das Krisenhafte in den Bildern und im Text trifft beide, Mann und Frau. Es geht mir eher um die Nennung einer äußeren und einer inneren Krisenhaftigkeit, die sich gegenseitig bedingen.
Specker / Die Hysterie bei Frauen ist etwas aus der Mode gekommen. Es wäre langsam mal wieder an der Zeit…
Grimberg / Aber warum sollte denn jetzt die Zeit dafür sein? Das Wort „hysterisch“ ist wahrscheinlich eine Erfindung von Männern. Was Du wohl im Sinn hast, Heidi, ist eine positive Konnotierung der Hysterie. In der Arbeit „Madwoman” gibt es mehrere Hinweise, die Verständnis für die Entscheidung von Ida Stieglitz-Heimann zeigen.
Specker / Diese Haltung hat mir ja so besonders gut gefallen. Eiko, was würdest Du sagen, kümmerst Du Dich um Deine Protagonistinnen oder versetzt Du Dich in Sie hinein? Wie ist Deine Methode?
Grimberg / Ich habe ihre Geschichte benutzt, um etwas über deviantes Verhalten zu sagen.
Specker / Deviant?
Grimberg / Ja, ein von der Norm abweichendes Verhalten. Auf einer Audiospur in der Ausstellung von 2006 behauptet Rolf-Dieter Brinkmann, dass das Wort verrückt immer der Mehrheit gehöre, er sagt wörtlich: „Und dort soll es auch bleiben.“
Specker / Ein Freund sagt bei Krisen immer zu mir: „Heidi, wahnsinnig sind die anderen.“ – Ja, so oder so ähnlich. Aber wo findet sich nun dieser innere oder äußere Wahnsinn? Im Zentrum und der Mehrheit oder am Rand und der Minderheit?
Grimberg / Wahnsinnig scheint mir die gesamte Verfasstheit der Gesellschaft zu sein. Aber als verrückt denunziert wird immer nur der die das einzelne.
Specker / Ich möchte ein Bild von Dir beschreiben, in dem sich die gesellschaftliche Verfassung spiegelt. Es zeigt eine Bushaltestelle in Brüssel, genauer zwei Bushaltestellen, beide mit einem Citylight. Auf der vorderen Werbung liegt eine Frau im Bikini und Sonnenbrille im Liegestuhl. Die ganze Szene befindet sich aber in einer Wohnung, an der Wand hängt ein großes Plakat mit Palmen: Telephone Internet Graduit. Das zweite Display wieder mit einer gutgelaunten Frau, sie bewirbt eine „Banque anti-risques“ und schaut mir freundlich entgegen. In Opposition dazu, aber verdeckt und im Anschnitt, sitzt in der vorderen Haltestelle eine alte Frau, man sieht ihre dicken Beine, in der Hinteren steht ein Kinderwagen. Schwarz-weiß, unspektakulär, fast neutral. Alle vier Bildelemente hast Du gleichwertig organisiert. Zwei Mal Werbung und damit Reproduktion und Fiktion, zwei Mal Alltag als Fragment. Die Fotografie teilt sich durch drei Senkrechte in vier hochformatige Bereiche, nach hinten gestaffelt. Abwechselnd: Ideal, Alltag, Ideal, Alltag.
Grimberg / Das ist der geschichtete Alltag. Viele halten das Bild für eine Montage, es handelt sich aber nur um eine verkürzte Perspektive, die scheinbar alle Ebenen auf eine reduziert.
Specker / Sind es nicht eher Laden in die Du Dein Motiv ordnest, rhythmisierst? Ja, Nein, Ja, Nein. Dabei zitiert das Bild den Film, ist aber kein Videostill. Wir kennen das Bild aus dem Film und sehen den Film im Bild.
Grimberg / Ja, so kann man das lesen. Diese Fotografie verdichtet Motive des Films. Dort tauchen die Plakate an zwei verschiedenen Stellen auf.
Specker / In dieser Fotografie haben wir wieder vier Protagonistinnen. Abgesehen davon, was ist Dein Kommentar?
Grimberg / Dass Frauen als Werbeträgerinnen präsenter sind, scheint mir offensichtlich zu sein, aber dass sie wohl auch stärker auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, habe ich gerade von Dir erfahren.
Eiko Grimberg „Madwoman in the Attic“,
Amerika,
Brunnenstraße 7, 2006;
„folie du jour“ Klemm’s,
Brunnenstraße 7,
10119 Berlin,
03.04.–09.05.2009