Christine Würmell

Temporäre Kunsthalle

2009:Jun // Maren Lübbke-Tidow

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06-2009
















Der Titel zum Ausstellungsprojekt von Christine Würmell im Foyer der Temporären Kunsthalle Berlin nimmt gleichermaßen Bezug auf die räumliche Gegebenheit, wie er die Absicht der Künstlerin im Umgang mit der vorgefundenen Situation beschreibt. So könnte mit „Dissonanzproduktion“ einerseits die Unverhältnismäßgkeit innerhalb der räumlichen Struktur der Kunsthalle angesprochen sein, die gleichsam von symbolischer Bedeutung ist: In der großen Halle offenbart sich eine Ausstellungspolitik, mit der das Starsystem der Kunst mit Candice Breitz, Simon Starling oder aktuell Katharina Grosse bedient wird, in der ehemaligen Garderobe des Foyers der Versuch, mit einem Programm der schnellen Wechsel auch die kulturell-künstlerische Szene Berlins abzubilden. Mit „Dissonanzproduktion“ kommentiert Würmell zunächst kritisch die Politik der definitionsmächtigen Akteure. Subtil weist sie darauf hin, dass die den KünstlerInnen jeweils zugesprochenen Räume immer auch Gewichtungen statuieren, die in Frage zu stellen sind – nicht im Hinblick auf Fragen nach der künstlerischen Qualität einer Arbeit oder Ausstellung, sondern im Hinblick auf das spezifische institutionelle Selbstverständnis, das sich mit der Politik der parallel laufenden und verschieden gewichteten Programme verbindet.

 

„Dissonanzproduktion“ spricht aber auch explizit das aktivistisch-politische Potenzial an, das die Arbeit insgesamt begleitet, und das Würmell ganz generell für die zeitgenössische Kunstproduktion auch einfordert. Insofern erweist sich die Einladung an die Künstlerin mit ihrer Intervention, als Auftakt zu einer Ausstellungsreihe, als äußerst geglückte Entscheidung, und man kann im Sinne Würmells hoffen, dass diesem ersten Aufschlag weitere Interventionen folgen, die diesen kleinen Raum programmatisch und politisch besetzen.

„Dissonanzproduktion“ führt direkt in den der Künstlerin zugewiesen Raum: Mit weißen Farbbeuteln bombardiert sie die Wände der ehemals Grau gestrichenen Garderobe. Nicht alle Stellen werden von der Farbe zugedeckt, die Rückwand des zum Foyer offenen Raumes zeigt deutlich Spuren der starken gestischen Intervention. Würmell verweigert so eine ungebrochene Übertünchung dieses ehemals funktionalen Zwecken dienenden, nun der Kunst gewidmeten Baukörpers: Der Raum wird hier gewissermaßen verunreinigt. Die weiße Farbe ist dabei als ein Hinweis auf den White Cube, als den traditionell idealen Ort zur Präsentation von Kunst, zu verstehen. Würmell aber tut gar nicht erst so, als ließe sich so etwas wie ein White Cube in dieser halböffentlichen Zone implementieren. Sondern sie spielt ganz bewusst und offensiv mit dieser Situation der Schleuse zwischen der Halle der Kunst und ihrem Umgebungsraum. In diesem Sinne ignoriert Würmell den vom Kunsthallenteam als „Projekt­raum“ bezeichneten Ort, etwa als eine neu errichtete und abgeschlossene Zone innerhalb des Foyers. Sondern sie attackiert ihn mit ihren künstlerischen Mitteln, etwa durch den Einsatz vom Farbbomben oder im Weiteren durch (Über-) Sprayen. Das sind auch Mittel des (politischen) Aktivismus (und zuweilen Vandalismus) im öffentlichen Raum. In diesem Sinne dissoniert Würmell nicht nur ganz bewusst mit der vorgefundenen räumlichen Situation, sie disloziert auch, indem sie mit ihrer Arbeit die Räume der Kunst neu aufteilt und den „Projektraum“ so sprichwörtlich als halböffentliche Zone zur aktivistisch-politischen Intervention auffasst und ihn so im übertragenen Sinne an die Öffentlichkeit weitergibt.

Man würde Würmells Intervention jedoch missverstehen, wenn man glaubte, dass sie ausschließlich Strategien des politischen Aktivismus in einen künstlerischen Vermittlungskontext schleuste, dies käme einer Verkürzung ihres künstlerischen Ansatzes gleich. Die Qualität ihrer Arbeit liegt gerade darin, dass sie traditionelle Bildsprachen der Kunst mit Formen der Mediatisierung des politischen Tagesgeschehens zu verknüpfen weiß. In der Arbeit von Christine Würmell verschränken sich so verschiedene Zitate aus dem Feld der zeitgenössischen Kunst sowie dem der alltagskulturellen, gesellschaftlichen und politischen Gegenwart zu einem dichten Tableau von Erzählungen, mit denen sie neue Situationen konstruiert und Denkräume öffnet. Durch das komplexe Zusammendenken und Zusammenführen unterschiedlicher Referenzsystemen aus Kunst und mediatisiertem Alltag bildet sich eine Folie, vor der sich ein Raum für neue Narrationen des Politischen bzw. einer Re-Politisierung ästhetischer Diskurse eröffnet. Dabei bedient sich Würmell methodisch einer vermeintlich sachlichen, auch fotografischen Dokumentation sowie einer jeweils thematisch gebundenen, aber nach vielen Seiten hin offenen, Materialsammlung, die im Zuge von Recherchen entstanden ist und die Grundlage für die Bearbeitung der unterschiedlicher Informationen bildet. In der kritischen und reflexiven Überarbeitung und Verknüpfung von unterschiedlichem Datenmaterial werden diesem Bedeutungen eingeschrieben, die von einer Fixierung ihres jeweiligen Inhalts wegführen, und im Gegenteil unkonventionelle, komplexe Erzählzusammenhänge eröffnen. Auf den verschiedenen Ebenen der Rezeption spielen sie u. a. ganz gezielt mit dem Moment der Verunsicherung von vermeintlich abgesichertem Wissen. Die Technik der „Farbbomben-Malerei” z. B. zitiert deutlich die Strategien des Abstrakten Expressionismus. Die Ergebnisse ihrer „malerischen Anschläge” verknüpft Würmell dann mit nach assoziativen und semantischen Bezügen geordneten Themenfeldern aus den Bereichen Kunst, Wirtschaft, Politik und Öffentlichkeit, so dass sich ein Ensemble kunstimmanenter und (dezidiert) politischer Fragestellungen/Konnotationen entfächert. In „Dissonanzproduktion“ etwa bearbeitet und kommentiert sie in drei fotografischen Arbeiten die aktuelle Klimapolitik. Der zweiteiligen Arbeit „Futures“ (2008) sowie „2005–2050“ (2009) liegen Gemälde der Künstlerin zugrunde, die sie für die Präsentation in der Ausstellung wiederum abfotografiert hat. In beiden Fällen verwandelte sie prognostische Kurvendiagramme zur Erd­erwärmung in abstrakte Malerei. Bei der Produktion der Vorlage von „Futures“ verwendete Würmell Sprühfarbe, die außerhalb der Leinwand ein ‚Rest-Bild’ auf dem Untergrund hinterließ, dem sie im fotografischen Abbild die Indexangaben des ursprünglichen Diagramms wieder hinzufügt. Im Nebeneinanderstellen macht sie die Prozesse der Aneignung und Umwidmung sichtbar und nachvollziehbar. Bei „2005–2050“ sprüht Würmell zum Teil auf die Wand, zum Teil direkt auf das fotografische Abbild des Gemäldes. Die Angaben „mit Klimapolitik“ und „ohne Klimapolitik“ beziehen sich auf die verheerenden Prognosen des für 2050 maximalen und minimalen Verbrauchswert an CO2. Ihre Geste des direkten auf die Wand Sprayens (in der für den Kunstbetrieb unmöglichen Farbe Neongrün) unterstreicht dabei den Charakter des Aufrufs zu verantwortungsvollem Handeln und Aufbegehren gegen eine ignorante und rückwärtsgewandte Politik. In der dritten Fotoarbeit „California Leadership Ending Global Warming” (2009) stellt Würmell die Glaubwürdigkeit politischer Routinen und Rituale in Frage. Eine Fotografie, die zeigt, wie der kalifornische Gouverneur Arnold Schwarzenegger den Global Warming Solutions Act (2006) unterzeichnet, übersprüht sie mit „Alle Autos in die Antarktis“. Dieser Umgang mit Fotografie zeigt das machtvolle Spiel unausgesprochener Bedeutung und formaler Konventionen, die die Fotografien begleiten und in die Würmell mit ihrem Graffiti interveniert, um eine andere narrative Struktur, etwa Dissonanz, zu erzeugen.

Christine Würmell „Dissonanzproduktion“,

Projektraum der Temporären Kunsthalle Berlin,

Schlossplatz, 10178 Berlin, 21.02.–15.03.2009

Christine Würmell „Dissonanzproduktion“, Installationsansichten 2009 (© Foto: Christine Würmell Courtesy Christine Würmell und Temporäre Kunsthalle Berlin)
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