Carsten Höller

Esther Schipper

2009:Jun // Florian Rehn

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06-2009
















„Esther Schipper hat die vielleicht schönste Ausstellung des Gallery Weekends.“ Dieser Satz ist ein Zitat aus einem Text von Anja Lösel, den sie am 5. Mai 2009 auf der Kulturseite von stern.de veröffentlicht hat. Auch wenn ich nicht alle Ausstellungen an diesem Wochenende gesehen habe, glaube ich, sie hat Recht.

Der vordere Ausstellungsraum empfängt die Besucher nicht, er hüllt sie sofort in einen Cocoon aus freundlichem Gemisch, aus Licht und Farbe, einer Mischung aus Sonnenlicht und Tageslichtröhren und einem famos verarbeiteten Magenta, das eine Handbreit unter der Decke endet. Eine einfache wie gute Möglichkeit, die Decke zum Schweben und den Raum zum Wachsen zu bringen. Imaginär. Die Arbeit „Gesangskanarienmobile“, ein Mobile, aus sieben Vogelkäfigen bestehend, durchmisst den Raum der Galerie wie ein Kindermobile den Blickraum über dem Bettchen. Der Raum kann nicht mehr eingesehen werden, ohne dass zumindest ein Teil des Mobiles mit im Blick ist, und somit Teil des Raums. Höller hat sich dieser Raumdurchmessung pragmatisch, nämlich mathematisch genähert. Von der geo­metrischen Form des Quadrats ausgehend, handelt es sich hierbei um dessen stetige Halbierung, berichtet der Text zur Ausstellung. Spannender scheint jedoch die Situation der tatsächlichen Praxis, in der sich das Mobile in sich und um sich und um die statischen Raumachsen dreht. Die Käfige sind dabei nicht das mobilste, sondern die Stangen, die dem Mobile statische Stabilität verleihen. Sie sind so miteinander verbunden, dass ihre Dreh- und Angelpunkte einiges an Bewegungsraum erlauben. Ständig in Bewegung sind die Insassen, die gelben Kanarienvögel, das realiter statische Moment. Zwar können sie in den recht großzügig dimensionierten Käfigen frei umherflattern, eingesperrt und zur Schau gestellt bleiben sie in jedem Fall.

Oder sind es die Besucherinnen und Besucher seiner Ausstellung, die von den Tieren beobachtet werden? Es ist auch möglich, dass diese Kanarienvögel kein anderes Leben, als jenes in Käfigen haben kennenlernen können. Sie sind in der Ausstellung bestens versorgt, jeder der sauberen Käfig verfügt über einen eigenen Wasserspender und mehrere Sitzstangen. Von dieser komfortablen Warte aus ist die Situation plötzlich umgekehrt. Die Menschen sind das Objekt und für die Betrachter ändert sich die Arbeit, Menschen in Magenta, stetig.

Diese deutliche Gleichzeitigkeit der Standpunkte, Deutungs­möglichkeiten und Denknotwendigkeiten ist typisch für die Kunst von Carsten Höller. Wer seine Arbeiten erlebt, wird zumeist durch rein visuelle Erlebnisse darauf hingewiesen, ja gestoßen, dass eine singuläre Betrachtung oder Denkweise oder auch Haltung niemals ausreichen kann. Höller spricht und schreibt oftmals vom zeitgenössischen Denken, ein wichtiger Gedanke und ein wunderbarer zugleich, wenn zeitgenössische Kunst ihn auszulösen vermag.

Das Mobile wird von drei Malereien einer Serie ergänzt. Die quadratischen Gemälde mit den Titeln „Teilungen (Punkt)“, „Teilungen (Linie)“ und „Teilungen (Fläche)“ zeigen den mathematisch-theoretischen Bauplan der Installation. Die Arbeit „Teilungen (Punkt)“ zeigt vier weiße Punkte auf monochrom schwarzer Fläche und spielt deutlich mit Wahrnehmungsphänomenen, da das Auge sofort versucht ist, die nicht dargestellten Linien zu ergänzen. Die Arbeiten „Teilungen (Linie)“ und „Teilungen (Fläche)“ sind dabei etwas offensichtlicher und bringen mit den Themen Fläche, Linie und Farbe malerische Grundideen ins Spiel, einen Dreiklang, den Generationen von Kunsthistorikern im Rekurs über Malerei als Malerei beschrieben haben. Es gelingt Höller mit drei Gemälden zum Thema Malerei, deren immer präsente gesellschaftliche oder intellektuelle Relevanz zu unterstreichen.

Im Nebenraum der Galerie sind drei Vitrinen, von beeindruckender handwerklicher Perfektion, installiert. Die Doppelpilzvitrinen beherbergen einen, zehn und 24 Doppelpilze. Es sind Repliken in doppelter Hinsicht: zunächst Abgüsse und auch künstliche Arrangements unterschiedlicher Plizarten. Immergleich ist lediglich, dass die eine Hälfte ein Fliegenpilz ist. Dieses Synonym des bösen, giftigen und todbringenden Pilzes nährt hier die Idee, die andere Hälfte sei in natura immer essbar. Dass das nicht so stimmen kann, wird schnell zum notwendigen Gedanken, es wäre für eine Höller Arbeit einfach zu einfach. Nicht immer ist eben schon gut, was nur nicht böse ist.

Carsten Höller „Vogel Pilz Mathematik“,
Esther Schipper,
Linienstraße 85,
10119 Berlin
02.05.–20.06.2009
Carsten Höller, Ausstellungsansichten Esther Schipper, 2009 (© Courtesy Esther Schipper)
Courtesy Esther Schipper (© )
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