Alejandro Almanza Pereda

Chert

2009:Jun // Florian Lüdde

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06-2009
















Es gab weder Tote noch Verletzte bei der Ausstellung von Alejandro Almanza Pereda bei Chert Berlin. Es ging auch nichts zu Bruch. Während die Scherben des noch an der Wand hängenden Stilllebens bereits auf dem Fußboden lagen, hielten der Turm aus fünf übereinander gestapelten Bowlingkugeln und das unter der Zimmerdecke an den Lautsprechermagneten geheftete Schlachterbeil ihre anfänglichen Positionen. Als Zeichen potentieller Bedrohung, wie es der Ausstellungstitel „Those who live by the sword die by the sword or by third hand smoke“ propagierte, präsentierten vier skulpturale Arbeiten und eine Zeichnung verschiede Stadien unabwendbar scheinender Katastrophen. Das laufende Tonband von „Death by Metal“ fütterte die angespannte Atmosphäre. Die Musik kam aus dem unter der Decke hängenden Lautsprecher, ihr kontinuierliches Spielen schien in unmittelbarer Relation zur Position des Beils zu stehen. Man konnte verfolgen, wie das Band unter dem Beil von einer Spule zur nächsten lief, sich der Augenblick der Stille unweigerlich anbahnte. Zeit war hör- und sichtbar gemacht, der Moment vor dem Chaos wie auf Zerreißprobe gedehnt.

Alltagsgegenstände in fragile Balancen zueinander zu stellen, gehört zu den herausragenden Qualitäten des aus Mexiko-Stadt stammenden Almanzas. Die Auslotung oft brisanter Arrangements, wie die übereinander gestapelten Bowlingkugeln oder in Wassertanks platzierte elektrische Leuchtmittel, sind exemplarisch für sein künstlerisches Vokabular. Gegensätzlichkeiten werden in neue Ordnungssysteme überführt, die um Haaresbreite ins Chaos kippen. Die Gefahren sind dabei verschieden und abhängig von Empfindlichkeit, Impulskraft sowie vom Wert der verwendeten Objekte. Eine imaginativ erstellte Reaktionskette macht den potentiellen Schaden abschätzbar: Fällt bei „There’s many a slip twixt cup and lip“ eine der Bowlingkugeln auf den Glastisch, so ergießt sich mit den Scherben ebenfalls die auf ihm stehende Weinflasche auf den darunter ausgelegten Flokati.

Trotz der Vernetzungen geht es hier nicht um Versuchsanordnungen, sondern um die Vorführung preziöser Verbindungen auf formalästhetisch höchstem Niveau. Die Kompositionen aus Farben und Formen verleihen Almanzas Objekten die Qualität abstrakt-konstruktivistischer Malerei. Das faktische Gleichgewicht ist um ein ästhetisches ergänzt, die den Komponenten zugewiesenen Positionen sind formal durchdekliniert und von visueller Fülle. Zugleich durchdringen Verweise auf menschliche Präsenz – wie die offene Weinflasche – den Formalismus mit einem erzählerischen Gestus. Bei „Death by Metal“ steht neben dem laufenden Tonband ein überquellender Aschenbecher auf einem Klavierhocker. Die von der Eskalation bedrohte Situation wird so dramatisch überspitzt und zugleich das mentale Stadium eines unter konstanter Todesangst leidenden Pianisten humorvoll illustriert. Ähnlich verhält es sich bei dem Stillleben mit zerbrochener Glasscheibe. Der Titel „Still-a-life“ suggeriert eine pulsierende Kraft, die von den drapierten Früchten innegehalten wird und sich in der ersten Etappe eines revolutionären Aufbegehrens entladen hat. Wie an einem Tatort deuten die hinterlassenen Spuren (Scherben, Weinflasche, Zigaretten) auf ein vergangenes Geschehen hin; sie sind das konservierte Zeugnis eines Augenblicks nach einer alltäglichen Handlung.

Trotz ihrer Brisanz suggerieren die Anordnungen Stabilität, sie offerieren ein temporäres Aufatmen im gezähmten Chaos, einen unbekannten Ruhepol im Off, wie ihn Krapp in Becketts „Letztem Band“ erlebt: „Never knew such silence. The earth might be uninhabited.“ Es bleibt die Frage nach dem Rauch aus dritter Hand? Kommt er aus dem Hinterhalt, hat er sich bereits festgesetzt? Ist es tatsächlich eine existenzialistische Entscheidung zwischen kämpfen und nicht kämpfen, zwischen spielen und nicht spielen oder ist alles schon bestimmt, besiegelt und angeheftet wie der Schmerz an den Rausch? Almanza zieht eine feine Linie zwischen Vertrauen und Zweifel und entlässt uns in der Hoffnung, dass jemand kommt, um noch einmal das Band zu wechseln, sich eine Zigarette anzustecken und uns zu bestätigen, dass wir nicht die Letzten unserer Art sind, dass er halten wird, dieser Moment im Gleichgewicht, und wir diesmal noch einmal davon kommen.

Alejandro Almanza Pereda „Those who live by the sword die by the sword or by third hand smoke“,
Chert,
Skalitzerstraße 68,
10997 Berlin
14.02.–15.03.2009
Alejandro Almanza Pereda, Ausstellungsansicht Chert, Berlin 2009; Foto: Alexis Zavialoff (© Courtesy the artist and Chert, Berlin)
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