— Glaubt Ihr, diesen Gebeinen wird je jene Segnung zuteil, die ihnen gebührt? — Bitte?! Was für Gebeine?! — Herrn Illies’ gilbend Gebein! — Illies? — Ja, ja, eben der! Florian Illies! Dieser leider längst vergessene Inspekteur einer, nämlich unserer und absolut seiner Generation, dieser bislang nie so frei und offenherzig wie genau jetzt benannten: Generation Illies! Dieser seiner Zeit große Sich-Abfinder und -Einfüger, der auf der Schwelle sang, als totale Null und bestes Medium demnach, auf der Schwelle und über die Schwelle hinaus sogar der kommenden Dekade, der damals bevorstehenden, der drohenden zehn Jahre, die man heute gemeinhin, abfällig und dunkel, nur Die Nuller nennt … — Ach, armer Florian! Ich hatt’ ihn, glaub’ ich, einst stehen sehen, mit Kinderwagen vorm Kaiser’s, in der Marienburger … ein Bursche von unendlichem Humor, voll von den herrlichsten … — Verzeiht, wenn ich kurz unterbreche, ist es paranoid, da einen Zusammenhang zu sehen, dass eben dieser erinnerungs manische, vollkommen in die Vergangenheit eines Wir delirierende, wobei, genau genommen, dieses Wir ein vor allem durch und durch produkt-definiertes, an der Außen-Fixierung nämlich auf das in der damaligen Konsumlandschaft Gegebene rekonstruiertes, ja ein ganz eigentlich davor, vor dieser Kulisse fingiertes Wir ist, das aber gerade deswegen jeder aus diesen eben darin, in dieser Illieischen Inspektion nun andererseits doch auch wieder aufs Schärfste erfassten Jahrgängen, dieser 70er Jahrgänge, dieser Auserwählten, gern adoptiert und dann immerzu liebevoll zudringlich abtätscheln möchte, bei sich, dieses Wir, das im Grunde immer nur Ich und noch mal Ich genüsslich sich unter den Fingern in die Tastatur hineinreibt, und nicht einmal das, ein bloßes, gar nicht echtes, völlig unichiges Onanie-Ich ist nur, nichts gegen Onanie — im Gegenteil: ganze Haufen bitte von Schwänzen! Haufen hirnverbrannter, echt ich-zerriebener Schwänze! da in die Jugend rein bitte, diese nässenden Scheiterhaufen einer Pubertät und die Endorphine dazu, wie sie sich warm ausbreiten, in dir, deinem Hirn drin, durch den Bauch und die Brust, bis in die Spitzen der Zähne rein, wie zum lindernden Ausgleich dieses deines rot gescheuerten und wunden, beschissenen verkappten Teenagerdaseins, wo du erkennst, dass das, was dich eigentlich, und in dem Glauben da lebtest du, eine ganze Kindheit lang, ausgemacht hatte, dass es das schlichtweg nicht gibt, nicht nur nicht mehr, sondern nie, und dass es, es gab da Gardinen, mit dem Blick raus auf die Straße, die Kreuzung, vom Erker aus, im Wohnzimmer, und die Schule ein paar hundert Meter weiter, die Straße rauf, der Gymnasialbau, in Beton und Orange, und dieser Geruch in den Gängen, dieser Geruch, der Kunststoffauslegeware, der beschichteten Tische, der Taschen und Mappen, Mitschüler und Mitschülerinnen da im Raum, dass, wenn du den Blick da gegen dich richten gekonnt hättest, du hättest gestarrt nur in dein zuckendes Nichts — — , seins aber die ganze Zeit Wir spritzt nur, wenns überhaupt spritzt, diese hohle Wir-Soße, die sich da selbstgenüsslich zum Symptom aufschäumt, dieses läppische Ein-Für-Alle-Ich, diese absolut sterile Kinderkindheitsjungenranwachswixvorlage Generation Golf … — Ihr seht! Ich kotze … — — der Zusammenhang aber, dass also dieser chronische Onanist aus genau dem Jahr 2000, oder ja eigentlich: Pseudo-, Möchtegern- Onanist, der da so ein bisschen linkisch an seiner Hirneichel herumfummelt, als wenn ers nicht genau wüsste, dass man am besten die Vorhaut schön zerebralrhythmisch vor und zurück, dass der, vier Jahre später, und jetzt kommts: Vater einer Zeitschrift wurde, eines Magazins zumal für Kunst & Leben zugleich … — Was?! Und der liegt jetzt hier? Seine Reste?! Dominik Sittig „Die Gesänge des Gedärms. Moral & Malerei“, Textem Verlag, Hamburg 2011