ABC der Arbeit

2014:Jul // Anna-Lena Wenzel

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07-2014















„Wie viel mehr könnte der hippe Praktikant aus Entfremdung gewinnen. Daraus eben, nicht er selbst zu sein, und wenigstens Geld verdienen. Irgendwer muss dem erzählt haben, dass es ihn ernährt, er selbst zu sein. In einer Sprache, die ihm nicht gehört, in der aber die Dinge lesbar für ihn sind.“

René Pollesch: Lob des alten litauischen Regieassistenten im grauen Kittel, in: Kreation und Depression. Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus, hrsg.v. Christoph Menke und Juliane Rebentisch, Kadmos, Berlin 2010, S. 243–248, hier: S. 243

—Freundin A hatte nach Überidentifizierung mit ihrem Job einen Burn-out.
—Freundin B nimmt Vitamintabletten für Krebskranke, um sich fit für die Arbeit zu halten.
—Freundin C bleibt aus Stress und Angst um den Job die Regel aus.
—Freund D hat vor Aussichtslosigkeit kapituliert und macht gar nichts mehr.
—Von Freund E hört man nur noch, wenn er während einer Fünf-Minuten-Pause oder auf einem Botengang kurz mal durchruft.
—Freund F hat aus Fahrigkeit wegen seiner Überbeschäftigung innerhalb von einem Monat dreimal seine EC-Karte verloren.
—Freundin G arbeitete zweimal in Unternehmen, die von einem anonymen Investorenkonsortium übernommen wurden, woraufhin die Arbeitsatmosphäre und -motivation total in den Keller ging und sie mit ihren jeweiligen Vorgesetzten das Unternehmen verließ.
—Freundin H wurde mit einem vielversprechenden Vertrag von einer öffentlich-rechtlichen Institution angelockt, um dann ein Jahr lang auf den Vertrag zu warten, der dann doch ganz anders ausfiel als versprochen.
—Freund I ist mit unbezahlter Arbeit, mit Beziehungsarbeit, Kinderbetreuung, Körperarbeit und Arbeit am Selbst voll beschäftigt, lebt aber unter der Armutsgrenze.
—Der Job von Freundin J wurde ausgelagert. Nun arbeitet sie für weniger Geld in prekäreren Verhältnissen ohne die zusätzlichen Leistungen des öffentlichen Dienstes.
—Befreundetes Paar K hat sich auseinandergelebt, weil abends nach der Arbeit die Energie nicht reichte, um noch zur Wohnung des anderen zu fahren.
—Freundin L ist nach drei Stadtwechseln innerhalb von vier Jahren Dauersingle.
—Befreundetes Paar M hat sich vor kurzem getrennt, weil beide durch Pendeljobs so beschäftigt waren, dass sie sich kaum noch sahen.
—Freund N sieht sein Kind nur jedes zweite Wochenende, weil er sich für einen inhaltlich erfüllenden Job entschieden hat.
—Freund O arbeitet für eine Egomaschine. Da er auch an eigenen Projekten arbeiten will, verzichtet er gänzlich auf Freizeit.
—Freund P arbeitet eigentlich ständig. Um Migräneanfälle zu vermeiden, vermeidet er jegliche Alkohol- und Drogenzufuhr.
—Freundin Q arbeitet als Schwangerschaftsvertretung in einer öffentlichen Institution und wartet seit vier Monaten auf ihr Gehalt.
—Freundin R wechselt aus ihrer Branche in ein größeres fachfremdes Unternehmen, einzig aus dem Grund, weil diese Teilzeitangebote bereitstellen.
—Freundinnen S, T, U hatten entweder Lungenentzündungen, Wurzelbehandlungen oder Bandscheibenvorfälle. Alle haben als Künstlerinnen und Freiberuflerinnen kein festes Einkommen, aber häufig wechselnde Stipendienorte oder Arbeitsverhältnisse.
—Freund T fiel den Synergieeffekten zum Opfer, die doch alles viel einfacher machen sollten und doch nur versteckte Sparmaßnahmen waren.
—Freund U, dessen Vater Professor ist, erklimmt in atemberaubendem Tempo die Stipendien- und Post-Doc-Karriere­leiter.
—Freundin V hat sich mit einer Herzensangelegenheit selbständig gemacht und verkauft ihre Produkte nun auf Märkten. Trotz viel positiver (Presse-)Resonanz kann sie sich das nur leisten, weil sie noch einen Job hat, der sie finanziert.
—Freundin W pendelt für ihren Job täglich zwei Stunden.
—Freund X macht das x-te Praktikum mit Aufwandsentschädigung, aber ohne Übernahmegarantie.
—Um Smalltalkdruck und Repräsentationsverpflichtungen auf Socializingveranstaltungen durchzustehen, ist Freund Y zum Alkoholiker geworden.
—Freund Z hat so frühe Arbeitszeiten, dass es ihm das komplette Sozialleben zerhaut.
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