Ich-Maschine, der Star und sein System

Ich als Star

2011:Dec // Stephanie Kloss

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12-2011
















„Krieg ich ein Interview, wenn ich dem Künstler meine Boops zeige???“, fragt die aufgeregt unattraktive Reporterin eines Net-TV-Formats, das sich „Artstars“ nennt. Wir sind mit ihr am Rande eines Events, auf dem es darum geht, ein „Monument“ aus 72.000 Bierflaschen in blauen Kartons, bezahlt vom Hauptstadtkulturfonds, wegzusaufen. Das nennt sich soziale Plastik in guter deutscher Tradition, inszeniert von einem sehr selbstbewussten, smarten Franzosen mit türkischem Bier, gestapelt in Form einer Pyramide, eigentlich hinweisend auf den geraubten Pergamonaltar. Alles also irgendwie UNESCO-Weltkulturerbe, Ikonoklasmus, Culture clash, Come together. Gaillard zählt zu den vielen Künstlern, die sich an der gescheiterten Utopie der Moderne abarbeiten.

Der „sexy Artist“ spricht aufgekratzt und schon ordentlich angetrunken in die Kamera der Frau.
Es ist seine erste Installation in einer Institution. Bisher hat er immer draußen in der Landschaft gearbeitet: „Das Museum ist ein toter Raum“, sagt er, er wolle ihn neu beleben. Schon mal ein ordentliches Statement. „Das Bier ist vom deutschen Steuerzahler bezahlt worden, ich möchte es den Leuten zurückgeben.“ Das plastische Potenzial von Zerstörungen interessiere ihn ebenso wie deren „entropischer Zustand“ – ein Begriff, den Gaillard ähnlich oft benutzt wie sein künstlerisches Vorbild Robert Smithson.
Es funktioniert auch und sieht gut aus: Stardom, 15-Minuten- Teilhabe, Vandalismus und Flaschenbier. Nichts Neues. Für den Künstler ist es hier: „an intersection between architecture and alcohol.“
Alkopole sozusagen. Die Reporterin fühlt sich an die Uni erinnert, das sei die Berliner Kunstszene, abhängen auf Hartz IV und Bier trinken. Sie hält dann noch ihr Dekolleté in die Kamera.
In seiner Heimat wird Gaillard von dem trendigen Kulturmagazin „Les Inrockuptibles“ zum Erneuerer mit Rockstarqualitäten, als „une bombe explosive“ bezeichnet.

Weiter geht es nach Venedig. „Der Künstler ist am liebsten draußen im Freien“, kommentiert die weibliche Offstimme. Ihr Busen ist zum Glück nicht zu sehen. Diesmal ist es eine Kultursendung des Öffentlich-Rechtlichen.
Zeitgleich sieht man ihn im Vaporetto: Offenes Holzfällerhemd, der Wind im Haar, ja er zeigt uns die Toteninsel, seinen Lieblingsort, den Friedhof: „Verfall ist unglaublich attraktiv“, sagt er. Er ist noch sehr jung.
„Ich habe das Verlangen, hinaus zu gehen an die frische Luft, unterwegs zu sein, Orte tatsächlich aufzusuchen. Ich habe kein Atelier und werde hoffentlich auch niemals eines benötigen. Alle meine Ideen entstehen an den Orten, an denen meine Arbeiten realisiert werden. In meiner Wohnung in Berlin gibt es lediglich eine Wand, an der ich meine Inspirationen sammle: Poster, Bilder, Polaroids, Zettel, Notizen.“

Im Arsenale zeigt uns der Sender seine Arbeit „New Picturesque/ Angkor Series“. Internationale Bieretiketten, aufgeklebt auf Postkarten mit Häusermotiven. Dazu das Statement des Künstlers in die Kamera: „Städteplanung ist wie Party, wie Saufen, zuerst finden es alle ganz toll, dann kommt der Kater, der Abriss.“ Gibt es überhaupt zeitgenössische Architektur, die er schätzt? „Am Anfang gefiel mir Rem Koolhaas, aber heute muss ich sagen, seine Bauwerke sehen nach ein paar Jahren nicht mehr gut aus. Ehrlich gesagt hasse ich Architekten wegen ihrer Arroganz. Wie können sie behaupten, ausgerechnet ihre Objekte würden besser altern als die, die es bereits gibt?“
Ist er jetzt nicht auch ein kleines bisschen arrogant?
„Unabhängig von konkreten Projekten liebe ich Sprengungen. Ich habe bislang ungefähr zwanzig bis dreißig Gebäudespren- gungen erlebt und buche mir oft einen Flug nach irgendwo, nur um mir eine solche Detonation anzuschauen.“
Einer von den Miles-and-more-Künstlern, sagt A.

Der Beitrag endet mit einer Einstellung von hinten am Canale Grande, er tippt etwas in sein iPhone.
Die nächste Station vor der Kamera ist Berlin, die Basis des Nomaden. Hans-Ulrich Obrist ist zum Talk mit dem Künstler geladen oder umgekehrt. Der Veranstalter introduced ihn als „The legendary CG“.
Tags zuvor wurde sein riesiger Neon-Indianerkopf, eigentlich ein Maskottchen einer US-Footballmanschaft, auf ein schrottiges Hochhaus am Alexanderplatz gestellt. Dort leuchtet er außerhalb des Gruppenevents „based in berlin“ für sich allein. Der Federschmuck auf dem Kopf wirkt beim Vorbeifahren irgendwie obszön.

Das Scheitern interessiere ihn am meisten, erklärt der Künstler und macht es sich auf dem Podium bequem. „Erst wenn man begreift, dass der eigene Vater kein Held und auch die Mutter angreifbar ist, kann man doch anfangen, seine Eltern zu lieben. Mit Bauwerken verhält es sich genauso: Sobald man ihre Unzulänglichkeiten versteht und das Ganze sieht, beginnt man, sie wirklich zu mögen.“ Im Interview mit Obrist führt er fort, dass er nicht gern mit anderen Kollegen unterwegs ist und auch generell nicht mit ihnen zusammenarbeitet: „Künstler sind wie Schwämme, sie saugen dich aus.“ „Super Schlusswort“, sagt Obrist. Das Publikum klatscht. Das ist interessant und ziemlich arrogant. Der Einzelkämpfer, der sich so gar nicht um die Gruppe schert, wo Gruppen oder Gruppenevents, Teilhabe, Verweigerung, Lohn und Wert momentan so eine immens aufgeladene Rolle spielen. „Na, der kann es sich ja leisten …“, meint P. Ein Journalist hingegen sagt zu mir: „Der sieht jetzt aber schon gut aus, oder was meinst du?“ „Erfolg macht halt sexy“, sag’ ich. Danach oder davor fährt der Künstler in den Irak. Begleitet von einer zehnköpfigen, bewaffneten Schutztruppe. Draußen auf dem Konvoi-Wagen, Fahrtwind im Gesicht, filmt er lässig mit dem Handy das, was zusammengesetzt und clippig mit Musik unterlegt, sein Beitrag für den Preis der Nationalgalerie werden wird.

In dem iPhone-Mov geht es um die Erosion von Artefakten. Das auf 35-mm-Film gefazte Material soll sich auch langsam abnutzen in der Endlosschleife des Projektors.
Erosion, Auflösung und Vergänglichkeit überall: Die Idee der Bewahrung des Kunstwerks scheint obsolet, stattdessen rücken der Moment des Erlebens und die bleibende Erinnerung ins Zentrum. Schön zerkratzt kommen die Bilder daher, das digitale Master ist sicher noch vorhanden.
„Babylon“ singt David Gray darüber, immer wieder und wieder.
Hart, sich jemand Mainstreamigen wie David Gray zu nehmen, dessen Number-1-Hit eigentlich um ein durchzechtes Wochenende mit allen Möglichkeiten geht: „Saturday I’m running wild, and all the lights are changing red to green, moving through the crowd I’m pushing. Chemicals all rushing through my bloodstream (…) feel it now Babylon, Babylon, Babylon.“
Ok, das Wort Babylon taucht auf: alles Versatzstücke zu einem großen Ganzen.

Ja, es geht aber auch um den Palast von Saddam Hussein, der auf Babylon errichtet wurde und nunmehr zerstört ist. „Verfall ist unglaublich attraktiv.“ Oder bin ich es selbst noch mehr? „Ich fühle mich magisch von der Kaputtheit angezogen und versuche nicht, Landschaft in Schönheit zu verwandeln.“ Es ist so unverschämt, nur mit dem Handy Bilder zu machen, bewacht und gefördert, dreist und doch eben schön anzuschaun, in Schönheit verwandelt: In voyeuristischer Perspektive laben sich die Aufnahmen gleichermaßen minimalistisch wie pathetisch am Untergang der Utopien.
Während die anderen Arbeiten im Hamburger Bahnhof nicht annähernd so eindringlich sind, zieht Gaillards Film einen auch nach der x-ten Wiederholung in seinen Bann. Gerade wenn man Alkohol getrunken hat, und das nicht zu knapp. Es ist ein harmloser Trip.

Aber auch hier funktioniert das Spiel mit anachronistischen Begegnungen wie geschmiert und lullt ein: die Soldaten bewegen sich durch die Ruinen und kargen Landschaften wie ferngesteuert. Ihre Mission ist gescheitert. Die Mission des Künstlers ist eine melancholische Momentaufnahme; der Film, ein einfaches Dokument eines wortwörtlichen Auflösungsprozesses: eine „Archäologie der Gegenwart“.
Bilder von Kultstätten in der Wüste werden abgelöst von städtischen Neubauten, gefolgt von Aufnahmen von verstreuten Relikten, wie dem Ischtar-Tor in Berlin – bei Gaillard allesamt gleichwertige filmische Fundstücke: ‚Artefakte‘.
„Eine eindrückliche Reflexion über den Mythos Babylon, der durch den Bezug zum Krieg im Irak eine besondere Aktualisierung erfährt.“ Das ist die Begründung der Jury. Er ist der Sieger des Preises der Nationalgalerie.
Der Krieg im Irak, wie aktuell ist der eigentlich?
Minimale Ästhetik und eine romantische Ader, Vandalismus und ein junger anarchistischer Geist, gepaart mit Model- Qualitäten, das zieht. Und es ist auch noch politisch.

Irgendwie wusste jeder schon zuvor: Cyprien Gaillard wird gewinnen, wieder mal, wie so oft in letzter Zeit. Auf facebook regen sich die verschmähten Kollegen auf: „So CG wins the big prize – what a surprise! I feel sorry for the other artists who were shortlisted (…) because they don’t deserve a system like this. It’s the responsibility of one man, dear old Udo, who knows how to cheat (…).“ Man findet seine Arbeit so arm, er sei der „Feind“, man will ihn ignorieren, das Spiel nicht spielen, eine eigene Szene kreieren. Es wird noch lang über Neid und Strategie diskutiert.
David Gray singt in Babylon: „If you want it, come and get it.“ Der ist einfach nur die Touristenreiseroute abgefahren, sagt S., die Expertin für irakische Kultur: „Ich seh da null Kontent, nur Sperma!“ „Super Schlusswort“, find’ ich.

Porträt Cyprien Gaillard (© Ronald Dick)
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