Schmuck-Kuratoren

und andere Sonderlinge

2007:Nov // Doreen Mende

Startseite > Archiv > 11-2007 > Schmuck-Kuratoren

11-2007
















Vgl. das Phänomen des Schmuck-Eremiten: Schmuckeremiten oder Ziereremiten (engl. ornamental hermits, auch garden hermits, d.h. Garteneremiten) waren professionelle Einsiedler, die während des 18. und 19. Jahrhunderts englische Landschaftsparks im Anstellungsverhältnis bewohnten. Schmuckeremiten lebten während einer vertraglich festgelegten Dauer in eigens eingerichteten Eremitagen und hatten sich zu bestimmten Tageszeiten sehen zu lassen, um die Eigentümer der Parks und deren Gäste mit ihrem Anblick zu unterhalten. (Aus: wikipedia.org)

Schlägt man die jüngste September-Ausgabe des britischen Kunstmagazins „frieze“ auf, kündigt die erste Seite in Form einer Anzeige eine von Benjamin H. D. Buchloh kuratierte Jubiläums-Ausstellung bei Marian Goodman Gallery in New York an. Mit Buchloh als Kurator gewinnt die Galerie-Ausstellung eine kritisch-akademische Dimension, die zunächst nicht wie merkantile Verkaufsware glitzert, aber als exzellente Werbemaßnahme funktioniert. Die Arbeit bekommt als Zugabe – ähnlich wie im Falle einer Museumspräsentation – eine veredelnde Inhaltsgarantie, ein im Bourdieu’schen Sinne kapital-affirmatives Zertifikat für den potentiellen Käufer, wenn man das Kuratieren als ernstzunehmende Profession versteht. Das ist schwierig in diesen Zeiten des inflationären Kuratierens von Ausstellungen. Der Eindruck ist nicht zu leugnen, dass „Kuratiert von ...“ oft mit „Eingeladen ... “ oder „Organisiert von ...“ verwechselt wird. Woher kommt die Unschärfe in der Bestimmung des Berufsfelds eines Kurators? Lassen wir einmal die auktoriale Standortbestimmung in Form der „Agentur für geistige Gastarbeit“ des Ausstellungsmachers Harald Szeemann außer Acht. Der unabhängige Kurator ist an selbstorganisierten und alternativen Ausstellungsorten oft mit fast allen Aufgabenbereichen beschäftigt, die das Ausstellungsmachen bereithält: Fundraising, Buchhaltung, Pressearbeit, Grafik-Design, Künstler-Assistenz, technischer Aufbau, Transport, Recherche, Verfassen von Texten, Vermitteln, etc. Liegt darin das dehnbare Aufgabenspektrum des Kuratierens, wenn wir davon ausgehen, dass die Ausstellungspraxis in nicht-musealen bzw. nicht-kommerziellen Projekträumen zum Humus für eine Institutionalisierung werden kann? Im Unterschied zum traditionellen Kustoden/Kurator des Museums, der die Sammlung bewahrt und historisch-wissenschaftlich kanonisiert, geht der unabhängige Kurator oft kaum kunsthistorisch vor, sondern recherchiert in Ateliers und forscht in kunstbezogenen wie auch -fremden Disziplinen. Der unabhängige Kurator wird zum professionellen Autodidakt auf den unterschiedlichsten Gebieten. Ein Kunst- oder Kulturwissenschaftsstudium dient zur inhaltlichen Polsterung, aber ist nicht das Maß aller Dinge. Das ist positiv, denn es setzt heterogene Standards. Sowohl von inhaltlicher oder wissenschaftlicher Kontextualisierung als auch von dem multi-tasking-Idealismus des unabhängigen Kurators kann die Galerie zehren: „Curated by …“ steht wie ein Markenzeichen und inhaltliches Gütesiegel über einer in kommerziellen Ausstellungsräumen stattfindenden Schau. Andererseits sind oft die Galerien ein Ort für unabhängige Kuratoren, um kuratorische Arbeit bezahlt zu bekommen, kuratorische Erfahrungen zu sammeln und institutionelle Sichtbarkeit der eigenen kuratorischen Praxis zu erzeugen.  „Curated by …“ war und ist auch in Berliner Galerien in verschiedenen Rollenverschiebungen immer wieder und immer häufiger zu finden.

Schmuck-Kurator: Bei Hedi Slimane, Kurator und Künstler der Sommer-Ausstellung „Sweet Bird of Youth“ in der Galerie Arndt & Partner, kann man überzeugt von einem Schmuck-Kurator sprechen, ein glamourös-flirrender. Anders ist die Ausstellung nicht zu erklären. Jon Savage, der unakademische Buchloh des britischen Punks und Punk-Rocks, ist Autor des Pressetextes und führt auf elegante Weise die „zugleich flüchtigen und ewigen“ Schwebezustände der Jugend (als Projektionsfläche einer Generation) mit literarischen und pop-geschichtlichen Verweisen aus. Die Welt der Mode, in der Slimane zunächst bei Yves Saint Laurent groß geworden ist, bleibt in der Ausstellung ein Epizentrum dieser Betrachtung. Gerrit Gohlke bringt es in seiner Kritik auf artnet.de auf den Punkt: „Der gerade erst bei Dior ausgeschiedene Couturier darf in Berlin beweisen, dass Kunst nicht nur als Aromazusatz im Modebetrieb gefragt ist, sondern auch umgekehrt der Kunstbetrieb die Gesten der Modeindustrie als künstlerische Ausdrucksform akzeptiert. So zeigt Slimanes sechste Galerieausstellung nicht etwa Kunst, sondern verwendet die gezeigte Kunst als Dekorationsmaterial für den Entwurf einer modetauglichen Galerie. Radikaler und unbekümmerter hat man selten gesehen, was der Kunst blüht, wenn sie sich vom Corporate Design der Modelabels nicht länger zu unterscheiden weiß.“

In-House-Kurator: Galerie-Mitarbeiter werden zu Kuratoren bzw. sind Unabhängige Kuratoren, die ihr Geld mit Galeriearbeit verdienen. „Curated by Robert Meijer and Henrikke Nielsen“ stand in diesem Sommer unter der Künstlerliste der thematisch-konzeptuellen Gruppenschau „Der Droste-Effekt“ in der Galerie Esther Schipper. Für Nielsen, die mit Oliver Croy seit September eine eigene Galerie betreibt, war es die letzte Aktivität bei Schipper und die Ausstellung wirkt wie ein gegenseitiges Abschiedsgeschenk. Die Schau thematisiert die Produktion des Visuellen durch eine selbst-referentielle Natur der künstlerischen Bildproduktion. Das fotografierte Fotopapier in Wolfgang Tillmans’ „Paper Drop (white)a-d“ oder die von Anne Collier fotografierten Artnews-Ausgaben aus den Jahren 1974 und 1981 lösen die im Pressetext beschriebene „Rekursion, Wiederholung oder Nachstellung“ ein, die Petra Reichensperger in ihrer Ausstellungskritik in diesem Heft als „Wiederholung durch Differenz“ bezeichnet. Es ist eine komplexe und intelligente Ausstellung. Jedoch: die vielen gut gerahmten und handlichen Arbeiten erhalten an kommerziellem Ort einen seltsam auf Abholung bereiten Status. Selbst wenn dem nicht so ist und die Arbeiten bereits ihre Sammlung gefunden haben, entsteht durch den Ort der Präsentation eine neue, räumlich codierte Lesbarkeit.

Galerist-Kurator: Jan Winkelmann ist einigen, die in den 90er Jahren in Leipzig mit Kunst zu tun hatten, als Kurator der Galerie für zeitgenössische Kunst in der Tauchnitzstraße in Erinnerung. Im Berliner Appartement Plamen Dejanoffs am Hackeschen Markt 2‒3 trat er 2003 zum ersten Mal öffentlich als Galerist (Jan Winkelmann/Düsseldorf) auf. Den aktuellen Kunstherbst hat Winkelmann mit einem Tausch in vielerlei Hinsicht begonnen: „volume ii – How Does it Feel“ fand sowohl in der Galerie Jan Winkelmann in Berlin als auch parallel als Ausstellungspräsentation zum Galerienrundgang in Leipzig im Universal Cube statt, einer „experimentelle(n) Ausstellungsplattform … für die Realisierung von Ausstellungsprojekten im internationalen Hochschulkontext“. Eingeladen von Joachim Blank, der als Professor für Medienkunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst lehrt, wählte Winkelmann als Kurator neun Studierende aus der Klasse für die Galerieausstellung in Berlin aus und ging als Galerist mit fünf Galerie-Künstlern nach Leipzig in die Baumwollspinnerei. Mit einem der ausgewählten Studenten, Philipp Köhler, präsentierte sich Winkelmann auf dem diesjährigen ArtForum. Was hier deutlich wird, ist der absolut fließende Übergang zwischen Kunstmarkt und ökonomie-unabhängiger Kunstproduktion (wie sie an einer Akademie möglich sein muss) und macht die aktuelle Situation sichtbar. In Leipzig führte dieser Vexierbild-ähnliche Rollentausch zu heftigen Kontroversen zwischen beteiligten wie auch unbeteiligten Akteuren über die Wirkungsbereiche von Galerist und Kurator: der ausgelöste Dissens ist entscheidend und kennzeichnend, denn er verdeutlicht die Heterogenität der Interessen und Standpunkte wie auch die fundamentale Verunsicherung.

Kurator-Kurator: Häufig laden Galeristen „hauptberufliche Kuratoren“ (wie auch manche In-House-Kuratoren es sind) ein, deren Ausstellungen von einer kuratorischen Komplexität durchdrungen sind, die deutlich über eine Verkaufspräsentation hinausgeht. Die Galeristin Isabella Bortolozzi arbeitet verhältnismäßig oft mit Kuratoren zusammen und verfolgt in ihrer Programmierung kontinuierlich eine kritische Balance zwischen Ausstellungsraum und Galerie: Dieter Roelstraete, Kurator am renommierten Museum van Hedendaagse Kunst Antwerpen (muhka), stellte bei ihr Anfang diesen Jahres mit „The Idea of North“ drei bisher hierzulande unbekannte kanadische Künstler aus. Luca Cerizza, italienischer Kurator und Autor, konzipierte während des Galerien-Wochenendes im April diesen Jahres in einem ausschließlich für diese Zeit und diesen Zweck aktivierten Raum neben dem Café Moskau eine vom Galerieprogramm unabhängige Gruppenschau, veranstaltet von Bortolozzi. Der Projektraum Montgomery lud zum Sommer mit der Gruppenschau „Der magische Sockel“ in die Galerie ein. Bortolozzi unterbricht ihr Galerieprogramm regelmäßig zugunsten temporärer oder performativer Gast-Aktivitäten. Die Galerie wirkt nach Außen eher als experimentell-konzeptuell ausgerichteter Ausstellungsraum. Ökonomisch betrachtet, kommt weder ein Glamour-Faktor zum Tragen noch sind „cash cows“ auszumachen. Man könnte darin auch eine Strategie erkennen. Für die flaue Zeit der Sommerfrische hatte der Galerist Johann König den Londoner Jung-Kurator und Hans-Dampf-in-allen-Gassen, Adam Carr, eingeladen. Laut Pressemitteilung wurden „Arbeiten von 12 internationalen Künstlern, die speziell dem deutschen Publikum bisher weitestgehend unbekannt geblieben sind“ präsentiert. Carr/König hat versucht, örtlichen Kontext und Zeitlichkeit einzubeziehen. Das instrumentierte Donnergrollen von Hannah Rickards oder „The Home for Lost Ideas“ von Dan Rees / Catherine Griffiths lassen für einen Augenblick vergessen, dass man sich in einer Galerie befindet und versetzen den Besucher unter anderem in ein weltumspannendes mysteriöses Bahnnetz, das vom angrenzenden Anhalter Bahnhof ausgeht ... mit Speed-storyteller Tris Vonna-Michell, jüngster Shooting-Star der Konzept-Szene, am Telefon aus Bern.

Künstler-Kurator: Dass Künstler andere Künstler zu ihren Ausstellungen hinzu laden oder in Ausstellungen als Kurator auftreten, ist nichts Neues. Beatrice von Bismarck hat darüber in dem Aufsatz „Haltloses Ausstellen: Politiken des künstlerischen Kuratierens“ (In: M. Michalka, The Artist as ...) ausführlich geschrieben. Anfang dieses Jahres kuratierte Bettina Allamoda die Gruppenschau „Shake Your Money Maker“ in der Galerie Barbara Thumm, von der sie auch vertreten wird. In der Ausstellung war eine acht-teilige Papier Arbeit der Künstler-Kuratorin zu sehen, deren Titel gleichzeitig Titel der Schau war. Allamoda schreibt im Pressetext: „Themen wie Prekarität, Arbeit/Arbeitslosigkeit und Freizeit haben in den letzten Jahren die künstlerische Produktion vor allem mit gestaltenden Kreativ-Berufen und Ich-ags nachhaltig ins Gespräch gebracht. Mit diesem Output werden Museen, Kunstvereine und Biennalen zunehmend bestückt.“ Kuratiert von einer Galeriekünstlerin, wird die Ausstellung zu einem rational selbst-analytischen und -kritischen Verfahren. Der Galerieraum selbst ist mehr als der Ort der Ausstellung – er ist Ort eines ökonomischen Geschehens, das mit der Ausstellung zum kontextuellen Material und damit zum aktiven Teilhaber der kuratierten Ausstellung wird. Interessant hierbei ist, dass Allamoda innerhalb der Schau verschiedene Rollen in sich vereint: Kuratorin, Kritikerin, unabhängig arbeitende Künstlerin, Galerie-Künstlerin, etc. Die Künstlerin als Kuratorin ist bei dieser Ausstellung keine Dekoration, sondern Notwendigkeit.

Um die Rollenverschiebungen weiter zu führen: Ende 2006 veröffentlicht die faz einen Bericht, der Verkäufe von Arbeiten der Sammlung Marx aus dem Hamburger Bahnhof heraus zum Thema hat. Sammlungskurator Heiner Bastian widerspricht dem vehement und berichtet jedoch gleichzeitig von „fünf oder sechs“ Warhol-Werken, die für den Erwerb anderer Arbeiten in der Sammlung zur Präsentation im Hamburger Bahnhof veräußert worden seien. Am 10. November 2007 eröffnet Heiner Bastian sein eigenes Ausstellungshaus, prominent gelegen gegenüber der Museumsinsel am Kupfergraben. Antagonismen, Aufgaben und Abhängigkeiten des Kurators in öffentlichen Institutionen sind ähnlich spannungsreiche Themen – für einen nächsten Aufsatz.
frieze, issue 109, September 2007, Seite 1 (© frieze)
Microtime für Seitenaufbau: 1.26460194588