André Butzer

Interview

2007:Mar // Melanie Franke

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04-2007
















Melanie Franke  /  Du hast in letzter Zeit eine ganze Reihe von Ausstellungen mit dem Titel „Kommando“ organisiert: „Kommando Pfannenkuchen“, „Kommando Friedrich Schiller“, „Kommando Calvin Cohn“ und jetzt „Kommando Friedrich Hölderlin“. Wofür steht das immer wiederkehrende „Kommando“ und welche Rolle spielt Hölderlin als Ideal dabei? Gibt es zwischen den ausgestellten Arbeiten und der historischen Figur einen Bezug, oder ist der Titel mehr eine Art Label ohne ein Thema vorzugeben?

André Butzer /  In diesem Falle spielt Hölderlin als Name sicher eine wichtige Rolle, aber die gesamte Ausstellungsserie ist eine lose Folge von Ausstellungen, die unter dem Motto „Kommando“ geführt werden. Sie sind aber nicht kuratiert im eigentlichen Sinne, sondern werden von mir teilweise verursacht. Das läuft meistens so: Ich werde eingeladen und gebe dann die Ausstellung vor. In dem Moment wird der eigentliche Ausstellungsmacher von seiner Macht enthoben, indem er etwas ins Haus bekommt, was er so nicht zeigen würde, wo er nicht unbedingt mitsprechen kann, sei es bei der Auswahl der Künstler oder der Auswahl der Werke. Das ist natürlich in jedem Fall immer anders gelaufen.

Und „Kommando“ meint, dass die Ausstellung immer unter einem anderen, höheren Auftrag steht, unter einer machtvollen Geste, die dann wieder in Ohnmächtigkeit aufgehen soll. Dafür steht in diesem Falle Hölderlin, den habe ich schon mehrfach porträtiert; er ist mein Lieblingsdichter. Er steht für eine Sehnsucht nach was auch immer. Sehnsucht ist, was Kunst generell formulieren möchte. Hölderlin formuliert, genauso wie Disney, Sehnsüchte und die kann man verwenden. „Kommando Kartoffelschälen“ steht für das andere Ende. In Gefängnissen gab es zum Beispiel auch das „Kommando Kartoffelschälen“. Diese historischen Referenzen eignen sich dazu, sie symbolisch ins Feld zu führen. Letztlich ist es ein fahrlässiger Umgang mit ihnen. Ich benutze Disney nur als Referenz, erträume mir mit ihm mein System. Diese künstlerische Welt besteht aus diesem Traum, in den ich mich begeben habe. Und da treten diese Figuren und Persönlichkeiten neben mir auf und inspirieren zukünftige abstrakte Kunst.

Franke  /  Warum haben die Figuren, zum Beispiel die aus der Serie „Friedens-Siemense“, immer Riesenköpfe mit weit aufgerissenen Augen, deren Körper beinahe verschwinden?

Butzer  /  Das ist eine Versinnbildlichung von allgemein herrschender Deformation, die zu tun hat mit einer Vorstellung von einem zukünftigen Bild von Mensch, Körper, Fleisch und von Kartoffelchips. Es ist ein Menschenbild, auf das man in der Alltagskultur häufig trifft. Aber diese Form von sogenannter Gegenständlichkeit spielt weniger eine Rolle, denn ich mache eigentlich abstrakte Kunst, glaube ich. Selbst in einer solchen Darstellung wird ein hoher Grad von Abstraktion deutlich. Und diese Figurenwelt ist das Ergebnis vom Ende, von Abstraktionsausweglosigkeit. Sicher nicht der Anfang von Figuren, die sich dann als Abstraktion auflösten, sondern es ist genau anders herum. Sie sind das Ergebnis von einem vorläufigen Ende der figürlichen Darstellung. Anfang und Ende fallen immer zusammen. Der Weg, wohin das Ganze führen könnte, ist eine kosmische Darstellung von einer anderen Welt. Das geht aber nicht ohne die Figur, also nicht ohne Körper und Raum, ohne dieses unauflösbare Verhältnis. Ich habe aber eine ganze Reihe von Bildern gemalt, davon sind nur einige ,Kopfausgeburten‘.

Franke  /  Wenn es sich bei den ,Kopfausgeburten‘ um ab­strakte Formen figürlicher Darstellung, also um weder figürliche noch abstrakte Kunst handelt, welche Rolle spielen dann die extremen Gefühlszustände, die sich über die farbigen Formen ausdrücken?

Butzer  /  Die Gefühlszustände sind in der gleichen Weise, wie sie extrem sind auch künstlich verursacht, sie sind fiktiv und leicht übertrieben. Künstliche Emotionen haben natürlich immer auch eine Entsprechung in der realen Gefühlswelt, aber ich glaube nicht, dass die Bilder davon wirklich Zeugnis ablegen können. Die haben fast nichts mit meiner eigenen Gefühlswelt zu tun, sind möglichst anti-authentisch, das heißt, sie sind echt.

Franke  /  Manche Bilder tragen Titel wie „Blumm Blumm“ das Humorvolle und Unverbildete daran gefällt mir. Setzt du Humor gezielt ein?

Butzer  /  Ich darf Humor nicht als Stilmittel einsetzen, sonst würde es gefährlich werden, weil ich humorlos bin. Ich mache eigentlich keine Witze, glaube aber, dass die Bilder trotzdem lustig sind, auch ein Titel wie: „Blumm Blumm“. Dieser Titel ist aber eher eine Ausnahme; das hat das Bild zu mir gesagt, nicht ich ihm. Eine rudimentäre Sprache, wie sie in Comics verwendet wird, drückt sich auch in diesem Bild aus. Es ist leicht ohne schweren Inhalt. Deshalb habe ich den Titel durchgelassen und aufgeschrieben.

Franke  /  Wann und wie hast du angefangen mit der Malerei?

Butzer  /  Als Zivildienst-Leistender bin ich nach dem Abitur nach Hamburg gegangen, dort habe ich sieben Jahre gelebt und habe im Krankenhaus angefangen zu malen. Ich kann ziemlich genau zurückdatieren wie es begann: Damals habe ich die Sammlung Guggenheim in der Hamburger Kunsthalle gesehen. Im letzten Raum vor dem Ausgang hingen Werke von Francis Bacon, Jean Miró und Asger Jorns „Green Ballet“. Bacon und Miró haben mich weniger interessiert, aber Jorn dafür umso mehr. Ich ging nach Hause, habe mir grüne Farbe gekauft und habe ein scheinbar ähnliches Bild nachgestellt, was natürlich komplett anders aussah.

Kunst studiert habe ich nicht. Zwar war ich an der Kunsthochschule Hamburg erst zugelassen, aber bei der endgültigen Aufnahmeprüfung wurde ich abgelehnt. Den Hauptteil meiner Hamburger Zeit war ich Mitglied einer künstlerischen Gruppierung: Die Akademie Isotrop war ein von Künstlern gegründetes Lehrinstitut. Über vier, fünf Jahre des Bestehens haben wir Texte geschrieben, Veranstaltungen organisiert, Ausstellungen gemacht und uns sozusagen selbst unterrichtet.

Franke  /  Warst du beeinflusst von der Generation der 80er Jahre, von Malern wie Martin Kippenberger, Albert Oehlen, Werner Büttner?

Butzer  /  Selbstverständlich. Bei meinem Einstieg seinerzeit in den mittleren 90er Jahren habe ich die Generation Oehlen-Kippenberger vorgefunden, die sind bis zu einem bestimmten Punkt gegangen. Kippenberger war ein fleischlicher, körperlicher Maler. Bei Oehlen ist es eher umgekehrt, also sehr neblig. Und wenn man das historisch weiter zurückverfolgt, spielt natürlich Sigmar Polke eine Rolle, der  eine Art deutsche Pop Art für Arme betrieben hat, was wiederum Oehlen und Kippenberger beeinflusste. Eine andere Linie geht auch zurück auf den sogenannten Expressionismus über Georg Baselitz bis hin zu Ernst Ludwig Kirchner und Emil Nolde, der sogenannte ‚Nasa-Nolde-Expressionismus‘. Die Linie auf der Französischen Seite verbindet Matisse und Jorn, die interessiert mich. Auch ist Henri Matisse neben Henry Ford für mich das Größte überhaupt gewesen. Denn ich habe für mich entschieden, dass ich die Linie, die auf Matisse zurückgeht, fortführen muss, natürlich nur unter Berücksichtigung der anderen Linien. Von der Tradition Oehlen-Kippenberger wollte ich mich dann distanzieren. Auch die Witze von Polke, seine Ironie und die Entmystifizierung der Malerei, indem er sie als Lüge begreift, haben mich nie begeistert. Aber ich konnte die andere Linie nur fortführen, indem ich die Vorstellung von Malerei als Lüge auch verinnerliche. Das eine geht ohne das andere nicht. So kam es dazu, dass ich Köpfe gemalt habe, weil Abstraktion, also eigentlich eine Abtrennung, trotzdem immer mit dem Figur-Raum-Dilemma verbunden bleibt. Dann kann man auch einen Kopf malen, ohne einen Kopf zu malen, mit oder ohne Kopf. Aber es geht um Kunst, nicht unbedingt um Malerei.

Franke  /  Wenn du von Malerei als Lüge sprichst, dann setzt das eine Vorstellung von einer authentischen Malerei voraus.

Butzer  /  Es gibt weder die Lüge noch das Authentische in der Malerei, es ist weder das eine noch das andere. Es schließt sich nicht aus. Es gibt aber auch nichts Dazwischen. Etwas kann so authentisch sein, dass es gelogen ist oder es ist so verlogen, dass es wieder stimmt. Es gibt gewaltige Unterschiede zwischen einem Pinselstrich von Polke oder einem Pinselstrich von mir und Matisse. Die Pinselstriche stellen jeweils etwas anderes in Frage, stellen sich selbst als etwas anderes dar. Bei einem Pinselstrich von Polke wird ein Versprechen vorgeführt, dass er als nicht eingelöst vorführt, wie eine Art Werbeversprechen: Wenn Sie drei Wochen in den Urlaub fahren, dann werden Sie glücklich. Diese Information trägt so ein Pinselstrich mit sich, der sagt, er sei eventuell eine Lüge. Während ein Pinselstrich von Matisse durchaus ein neues Versprechen formulieren kann. Ein Versprechen für Leben, Glück, Lust, Veränderung. Jedenfalls ist es kein schneller Sarkasmus, es ist gut gemeint, zumindest besser.

Franke  /  Zum Schluss interessiert mich noch deine Haltung typisch deutschen Zeichen gegenüber.

Butzer  /  Bei mir geht es nicht um was typisch Deutsches, ich sehe mich eher als universaler, internationaler oder gar us-amerikanischer Künstler in Deutschland und nicht als typisch deutscher Künstler. Ich bin in einer amerikanisch besetzten Zone aufgewachsen, das ist mein Horizont. Als Kind Ronald Reagans habe ich später die Pinsel in die Hand genommen. In diesen Bezugsrahmen habe ich die Kunst integriert und mit deutschem Quatsch vermischt. Deshalb treten wir in Los Angeles mit „Kommando Pfannenkuchen“ auf und mit „Kommando Henry Ford“ in Stuttgart. Stuttgart ist meine Heimat, wie es auch die Heimat von Hölderlin ist. Aber unsere Heimat ist eigentlich der Himmel.

Das Gespräch fand am 24.2.2007 in Berlin statt.

André Butzer „Friedens-Siemense“ Galerie Guido W. Baudach
OsramHöfe
Oudenarder Str. 16–20
6.3.–14.4.2007

„Kommando Friedrich Hölderlin“ Galerie Max Hetzler
Werner Büttner, André Butzer, Björn Dahlem, Günther Förg, Thilo Heinzmann, Thomas Helbig, Georg Herold, Andreas Hofer, Erwin Kneihsl, Albert Oehlen, Markus Selg, Thomas Struth, Thomas Zipp
Zimmerstraße 90/91 und OsramHöfe
Oudenarder Str. 16–20
27.1.–17.3.2007

André Butzer, „Kommando Friedrich Hölderlin“, 2006 (© Courtesy Galerie Max Hetzler)
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