Die Ergebnisse der letzten Art Cologne (22.–26.04.) lassen eine „Rückbesinnung auf qualitativ hochwertige Stücke“ vermerken, und es sind allen voran wieder einmal die Werke der Klassischen Moderne, die Summen im sechsstelligen Bereich einbringen. Darunter auch eines von dem großen bundesdeutschen Nachkriegsmaler Ernst Wilhelm Nay. Die „Spirale in Blau“ (1964) ging für 335.000 Euro über den Tisch. Das Werk gehört zum Spätwerk des Malers, das zunächst in der Frankfurter Schirn zu sehen war. Eine kleine feine Auswahl davon ist jetzt im Haus am Waldsee, im gediegenen Zehlendorf, in Westberlin. Die Kritik ist sich scheinbar einig, dass dieses Spätwerk in hohen Tönen gelobt werden muss (z. B. Tobias Timm in: DIE ZEIT, 22. 01. 09. „Obwohl Nays späte Bilder, (…), zu seinen schönsten Werken zählen.“). Diese Einschätzung variierte in der gut 40-jährigen Rezeption von Nays Oeuvre stark und bleibt umstritten.
Er starb im Jahre 1968, unmittelbar vor der Eröffnung der Neuen Nationalgalerie. Werner Haftmann, der damalige Direktor und Apologet der Klassischen Moderne, sah in Nay den „bedeutensten Maler unserer Zeit“. Von den Nazis verfemt und als „entartete Kunst“ diffamiert, feierte Nay nach dem Krieg sein persönliches Wirtschaftswunder. Er war in Privatsammlungen gleichermaßen vertreten wie in Ausstellungen, auch in Übersee. Deutschland repräsentierte er nicht nur auf der Biennale in Venedig (1956), sondern nahm auch bis 1964 an allen documenta-Ausstellungen teil; 1959 sogar Seite an Seite mit Jackson Pollock, als dessen deutsches Pendant seine Malerei aus Flecken, Scheiben, Augen, Ellipsen und Kleksen bis heute gilt. Nach der dritten documenta (1964) schien sein Zenit überschritten, allzu laut wurde die Kritik an seiner Sonderstellung. Dazu hatte die sakrale Präsentation seiner Werke an der Decke des documenta-Saals beigetragen. Farbwellen schwappten in Form dreier „Augenbilder“ auf die Betrachter nieder, die zu diesen, wie zu einem barocken Deckengemälde aufblickten. Auge um Auge, gestisch und wie von geistiger Hand gemalt. (Heute hängen die drei „Augenbilder“ wieder brav an der Wand, angeblich im Bundeskanzleramt) Von den Augenformen hat Nay niemals abgelassen, auch in dem Spätwerk nicht. Hier tauchen sie in Gestalt von Ellipsen oder Spindelformen auf. „Was wir sehen, blickt uns an.“ Und man darf an dieser Stelle gerne darüber nachdenken, was es bedeutet, von einem Bild angesehen zu werden. Wenn sich sonst schon nichts dahinter verbirgt, weil die anderen Formen ohne weitere semantische Anspielungen auskommen sollen, absolut pur.
Die Missgunst der Neider überschlug sich nach der documenta, die für Nay die letzte gewesen sein sollte. Hans Platschek, ebenfalls Künstler aber auch Kritiker, verriss die Installation im gleichen Jahr und schrieb: „Die Scheibe ist nichtssagend, auch wenn sie in Haufen auftritt, und nichtssagend sind auch die Farben, (…)“ Die bunten und vitalen Farbscheiben, sehen bis heute aus, als würden sie unaufhörlich kichern. Sie sind gestisch auf die Leinwand geschrubbelt und folgen einem immer gleichen Rhythmus. Damals, während des Kalten Krieges hatte Nay die „gegenstandslose Welt“ als Triumph gegen den Realismus der DDR-Malerei einbringen können.
Doch wenig später, als die Glas-Scheiben des Mies-Baus von Steinen zerschlagen wurden, als sich die Kunst wieder der harten Realität zuwandte und zu politisieren begann, da war Nays Zeit mit Aussagen wie: „Kunst kann nicht politisch, sozialkritisch oder ähnliches sein.“ abgelaufen.
Die „Späten Bilder“ Nays sind ruhiger, keine Spur mehr von dem eruptiven Pinselgewitter. Die Formen sind stilisiert. Wie der Ausschnitt einer Membran ziehen sich die zweidimensionalen Flächen über das Bild, sind all-over. Allesamt in hellen, bunten Farben gemalt, in reinem blau, rot, gelb, manchmal auch in schwarz, orange oder lila. Sie erinnern an Muster oder Papiermasken, die Nay sorgfältig und von Hand gemalt hat, wackelige Linien und unscharfe Kanten treffen aufeinander.
Es spielt fast keine Rolle, ob man eines oder viele davon sieht. Man kann sich allenfalls darüber streiten, ob das eine besser oder schlechter gemalt ist oder ob man das eine Muster schöner findet als das andere, mehr nicht.
E.W. Nay „Ernst Wilhelm Nay und die Farbe – Bilder der 60er Jahre“,
Haus am Waldsee,
Argentinische Allee 30,
14163 Berlin,
07.05.–05.07. 2009