Full of Emptiness

Rosa-Luxemburg-Straße

2009:Nov // Wayra Schübel

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06-2009



„Die Kultur schrumpft in den Zeitungen wie die Polkappen unter dem Treibhauseffekt. Trotzdem erwartet niemand, dass das Urteil über Kunst in die Hände von Boulevardredakteuren gehört. (…) Medien fantasieren gern über Katastrophen und Pandemien. Die größte Pandemie ist aber die der stetigen Komplexitätsreduktion.“ (Gerrit Gohlke, 2009).

 

Eine Aussage mit der ich vollkommen einverstanden bin. Daher ärgert es mich, dass ich über eine sehr gelungene Ausstellung nur eine einzige und zudem schnodderige Meldung zu lesen bekam. Der Autor mokiert sich darin über einen weiblichen „Curator of Emptiness“. Diese bat einem französischen Ausstellungsbesucher, der weit nach Ausstellungsende an einer Installation von Robert Kusmirowski von Plattenspieler- auf Radiofunktion umstellen wollte, diesen Eingriff doch zu unterlassen. Dabei beging sie den angeblichen Fehler „Die Kunst ist doch nicht logisch“ als Begründung zu nennen. „Dieser Hammerschlag schmiedete den Franzosen und mich zu einer eisernen aufklärerischen Front wider den Kunstmystizismus. Wir ließen der Armen keine Ruhe mehr. Bis die zornige Hausherrin den scharfsinnigen Franzosen der Ausstellung verwies. Ich ging mit, nackt und zufrieden.“ (taz, 02.05.2009)

Ich sehe keinen Fehler darin, Transzendenz der Transparenz, dem Spielraum bekleideter Sinnlichkeit der nackten Unmittelbarkeit den Vorzug zu geben. Ebenso den Blick lieber auf die Komplexität einer gelungenen Ausstellung zu lenken, als nach einem Sensatiönchen zu gieren. Was das Werk des ‚Fälschers von Lublin‘ (Robert Kusmirowski) angeht: Spätestens Anfang September wird seine Präsentation im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart Stoff für eine fundierte Besprechung dieses bemerkenswerten Künstlers liefern.

Hier geht es jedoch um die Ende April gezeigte Ausstellung „Full of Emptiness“. Mag sein, dass mich der Dualismus der Begriffe Fülle und Leere als Sinologin besonders fasziniert. Beide Begriffe werden in China nicht absolut, sondern als voneinander abhängig verstanden, gleichsam als Bipolarität einer Einheit. In diesem Sinne waren meine im Vorfeld gestellten Erwartungen bei weitem übertroffen worden, die Konzeption war bis ins letzte Detail stimmig ohne auch nur ansatzweise zu verkrampfen. Wenn man die großzügigen Räumlichkeiten der 240 m2 großen ehemaligen Zahnarztpraxis betrat, dann tönte aus einer Klappe über der Eingangtür der titelstiftende Klang von Donna Summer’s Song „Full of Emptiness“ (1992). Anstelle von Pressetexten oder Künstlerkatalogen konnte man sich einen Grundriss der Wohnung nehmen, der über die Positionierung der Werke Auskunft gab.

Auch wenn die ausstellenden Künstler: Dirk Bell, Michael Beutler, Agnieszka Brzezanska, Tatjana Doll, Markus Draper, Eberhard Havekost, Andreas Hofer, Renata Kaminska, Robert Kusmirowski, Joep van Liefland, Alexej Meschtschanow, Frank Nitsche, Daniel Pflumm, Józef Robakowski, David Shrigley, Suse Weber an diesem Wochenende zum Teil in anderen Zusammenhängen des Berliner Gallery Weekends zu sehen waren: Hier haben sie alle unter dem Engagement der Kuratoren Renata Kaminska und Markus Draper ein luzides Statement gesetzt, zur allseits besprochenen sinnstiftenden Rolle, die Kunst in einer Zeit bröckelnder gesellschaftlicher Strukturen zu geben vermag. Bei jeder der 20 Arbeiten lag der Bezug zum Titel nahe, selten waren so heterogene künstlerische Ansätze so homogen umgesetzt worden. Ebenso unterlag scheinbar jede der sieben ‚Ausstellungskabinen‘ einem eigenen inneren Konzept, von denen hier nur zwei besprochen werden.

In einer dieser sieben Ausstellungssituationen ist eine überdimensionierte Arbeit von Tatjana Doll zu sehen – das Piktogramm einer als „Sterngucker“ (2009) betitelten Figur, die den Umriss einer fernrohrschauenden Gestalt darstellt. Ohne auf den Werktitel zu schauen, hätte das Motiv statt eines Fernrohrs auch als auf dem Kopf stehende Flasche gedeutet werden können, statt eines Sternguckers hätte die Figur auch ein Trinker sein können. Der Arbeit gegenüber läuft eine Videoarbeit von Agniezka Brzezanska (‚Artemisia‘, 2002/2007), ein skandinavischer Softporno, aus denen sie die Sexszenen entfernt hat. An sich nicht spektakulär. Pikant daran ist vielmehr, dass sie eine biografische Szene der titelgebenden Figur – Artemisia Gentileschi – aus dem 17. Jahrhundert aufgreift und verändert nachstellt. Was bei Gentileschi, die als erste Kunstmalerin anerkannte Frau, die Verurteilung des Lehrmeisters Agostino Tassi, der sie sexuell missbraucht haben soll, ist, wird bei Brzezanskas Zusammenschnitt ein knapp 14minütiges Schaustück über eine naive Schönheit, die sich von ihrem Lehrmeister in die Notwendigkeit von Leidenschaft unterweisen lässt. Brzezanska hat dabei den Mono-Originalsound gelassen, die polnische Simultanübersetzung ist um Sekunden zeitversetzt und über die englischen Originaldialoge gelegt. Die Schlüsselszene bildet die Zeichenstunde eines Flaschenstilllebens, dessen braves Ergebnis Artemisias Lehrer so erbost, dass er vor ihren Augen den Zeichengegenstand auf den Boden schmettert, um die junge Schönheit in die Heftigkeit explodierender Gefühle zu unterweisen. In den Uffizien hängt ein Bildnis „Judith enthauptet Holofernes“, das keinen Zweifel daran lässt, dass sich die damals noch nicht mal 20jährige Gentileschi die extremen Abgründe menschlicher Gefühle bereits auf sehr intensive Weise vorstellen konnte.

Nahe dem Fenster ist die Skulptur von Alexey Meschtschanow platziert – „Flasche“(2006), ein 1,40 m hoher gegossener, glänzender, grafitdunkler Stahl. Auf mich hat es die Wirkung, als hätte sich der Bestandteil eines komplexen Röhrensystems verselbständigt und sei zum Individuum transformiert. Seine schlanke Form mit den hängenden Schultern und dem gekrümmten Flaschenhals, der wie ein Insektenrüssel anmutet, hinterlassen jedoch eine Ahnung, als sei er dieser Rolle der eigenständigen Gestalt nicht gewachsen, trotz der Schwere und des Glanzes seiner Beschaffenheit. Die Höhe des Körpers lädt geradezu ein, sich zum Flaschenhals hinabzubeugen, um durch die tiefschwarze Innenlackierung der schmalen Halskrümmung festzustellen, dass er im Inneren noch geheimnisvoller als an seiner Oberfläche ist.

Der direkte Dialog mit der Arbeit Tatjana Dolls ist hergestellt, beide Arbeiten benutzen ein Gefäß als begrenzende Umrisshülle, durch die Erkenntnis kanalisierbar scheint. In beiden Arbeiten wird durch das rohrförmige Behältnis ein Durchblick Nahe gelegt, ob dieser mehr dem Firmament oder dem Abgrund zugeneigt ist, bleibt offen. Während die barocke Üppigkeit des Filmes von Brzezanska diesen Dialog wörtlich zerschmettert, ist die Koexistenz der drei Positionen friedlich und voller Spannung.

Zwei Zimmer weiter: Das einzige Fenster ist mit unterschiedlichen Fragmenten schwarzer Folie beklebt („Stress Fenster“, 2009), was bei Tageslicht ein abstrahiertes Schwarzweißszenario splitternder Dynamik, dessen Strahlkraft abhängig von den äußeren Lichtverhältnissen ist. Das ungestüm zerstörerische Element wird intensiviert durch die am Boden der Fensterarbeit laufende Videoarbeit, ebenfalls von Markus Draper („Bodenlos“, 2008), die jedoch unabhängig voneinander konzipiert sind. Die Videoarbeit zeigt ein blasses Ensemble krachender Bretter und Balken, die um eine dunkle Öffnung herum ausgelegt sind, mal beschleunigt, mal verlangsamt abgespielt.

Dennoch überwiegt die gedämpft sakrale Atmosphäre, die von der Fensterarbeit ausgeht. Durch das kontrollierte, durch Sichtbarrieren verursachte Ausklammern der Außenwelt ausgelöst. Es verleitet mich zu einer kircheneigenen Bereitschaft zur Einkehr.

Andreas Hofer hat sein Werk direkt auf die Wand geschaffen: „Small riddler room for art assholes“ (2009). Zu sehen ist eine mit Bleistift gezogene rahmende Wellenlinie um eine Legion von acht unterschiedlich großen, fliegenden schwarzen Fragezeichen herum, die vertikal umklammert werden von mit Bleistift schraffierten Wörtern, darunter der Werktitel.

Demgegenüber eine einfache DIN A3 Seite, leicht vergilbt mit dünnen Farbstiften ein Gitter aus den Buchstaben für „FREE“ arrangiert – eine Arbeit von Dirk Bell („Cage“, 2007).

Ich bin die Karikatur eines „art assholes“, überfällt es mich jäh. Es gibt hier in der Tat nichts, was mein reiner Verstand aufdröseln möchte, nur eine rätselhafte Empfindung von Unvollkommenheit, die sich wie eine erhabene Befreiung aus der logischen Abfolge von Deutungsoptionen anfühlt.

Diese anregende, stringente, empathische und eindringliche Zusammenarbeit der Künstler miteinander und mit dem Raum ragt vor allem durch eine unaufgeregte Konzentration auf ihre künstlerischen Aussagen fokussiertenten Arbeiten heraus. Ich wünschte mir schon allein deswegen, sie hätte eine weitläufigere Besprechung erfahren.

„Full of Emptiness“,

Rosa-Luxemburg-Straße 16, 10178 Berlin,

30.04.-03.05.2009

Tatjana Doll „Sternengucker“, 2009 (© Courtesy Galerie Gebr. Lehmann)
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