Es zeichnet die zeitgenössische Kunst bekanntlich aus, bereits zirkulierende Bilder zitierend auf- und umzuwerten und damit vorzuführen, wie Bestehendes so anzueignen ist, dass dabei anderes entsteht. Entsprechend hat Boris Groys die Aufnahme schon produzierter Bilder in der gegenwärtigen Kunst als Form des Konsums theoretisiert. Allerdings muss man bezweifeln, ob das Prinzip der Aneignung tatsächlich das Charakteristische visueller Recycling-Strategien trifft. Denn anders als in der angleichenden Vereinnahmung lebt im derzeit wiederentdeckten Collage-Verfahren gerade dasjenige fort, was sich nicht restlos appropriieren und in Eigenes verwandeln lässt. Die verunreinigende Zusammenstellung vormals leicht konsumierbarer, effekthascherischer oder glamouröser Bilder aus Medien und Werbung lässt den visuellen Trash in der neueren Collage vielmehr zu etwas Anstößigem und Heiklem werden.
In der heutigen visuellen Kultur kann sich selbstredend niemand mehr als immun gegenüber der gleichermaßen affektiven wie formierenden Kraft von Bildern wähnen und das sogenannte sehende, also nicht bereits von Klischees gesättigte Sehen lässt sich keiner noch so asketischen Arbeit am Motiv mehr abgewinnen. Daher bleibt der oftmals zitierte Topos, dass die weiße Bildfläche vor ihrer Behandlung durch den Künstler nicht leer, sondern bereits von Bildern übervölkert sei, in Kraft. Die Aufgabe ist demnach nicht ihre Anfüllung mit Bildern – im Gegenteil: Das unwillkürlich, wenn nicht widerwillens Angeeignete mit Gegenkräften zu bekämpfen, wäre das Anliegen gegenwärtiger Collage-Kunst. Traditionellerweise gilt die Collage als das bildliche Verfahren, das in der Zusammenstellung des Heterogenen dem Moment schockhaften Aufeinanderpralls am ehesten gerecht wird. Es kommt nicht nur zur Anwendung, um der Allgegenwart divergenter Bilder zum Ausdruck zu verhelfen und der Tatsache Rechnung zu tragen, dass sich in unseren Köpfen unzählige Bilder und Visionen bereits überlagern und durchmischen, sondern auch um diese Bildwelten gegeneinander ins Feld zu führen.
Wenn – wie bei Olga (das sind Katharina Fengler, Stefan
Panhans und Linn Schröder) – die Collage darüber hinaus gekoppelt wird mit
Formen kollektiver Produktion, dann werden damit zwei Verfahren kombiniert, die
eine Subversion von Autorschaft und Eigenem versprechen. Einem anderen die
Fortführung der begonnenen Arbeit zu überlassen, kann als sicherste Strategie
gelten, um das Produzierte den anvisierten Intentionen zu entfremden und
abseitige, unbewusste Schichten zu erschließen. Die drei Künstler von Olga
haben die Collagen untereinander zirkulieren lassen, sie den bisweilen
destruktiven Eingriffen der anderen ausgesetzt, um unvermutet freizusetzen, was
den bekannten Sichtweisen entgeht. Ein Klischee lässt sich vornehmlich von
einem zweiten stören und was in beider Widerstreit geschieht, ist mit dem oft
zitierten Wort Walter Benjamins als die Hervortreibung des Optisch-Unbewussten
zu bezeichnen. Wenn in den ungewöhnlich großformatigen Collagen der Ausstellung
(keine ist kleiner als 70 × 100 cm) auf ein sattsam bekanntes Bildrepertoire
zurückgegriffen wird – mit Darstellungen von Krieg, Starkult, Lifestyle oder
Sex –, dann um sie durch andere Bilder zu infizieren und ihre glatten
Oberflächen aufzubrechen. Die pornografische Qualität der aufreizenden
Medienbilder tritt dabei offen zutage und der voyeuristische Aspekt wird nicht
sublimiert, sondern eher durch weitere, ebenso phantasmatische Ausschnitte
verstärkt und über sich hinausgetrieben.
In einem Text von Georges Salles, den Benjamin sehr geschätzt hat, heißt es nahezu surrealistisch anmutend, die Kraft eines Bildes sei um so größer „je obskurer die Reserven und je unerforschter die Winkel, aus denen die gleichzeitigen Bilder sich speisen, die es erweckt“. Und in diesem Sinne ließe sich die vervielfältigte Autorschaft von Olga als Probe darauf verstehen, welches bisher unbekannte Begehren das Bild im anderen entfacht. Durch das mehrhändige Ausschneiden, Aneinanderkleben, Überzeichnen und erneute Überkleben wird außerdem eine bildliche Demontage in Gang gesetzt, die als probates Kampfmittel gegen die etablierte Politik der Sichtbarkeiten gelten kann. Vielleicht erscheinen die collagierten Details deshalb auch nicht willkürlich zusammengesetzt – vielmehr meint man, innerhalb der bisher mehr als 100 Collagen umfassenden Serie eine kryptische Geschichte lesen zu können. So wie bei Max Ernst in seinen Collageromanen bestimmte Figuren und ein festumrissenes Bildrepertoire wiederkehren, so verflechten sich auch in den Blättern von Olga Motive und Themen zu untergründigen Erzählsträngen, so dass man sich „Die Ankunft der 6000 Führungskräfte“ sehr gut als Teil eines solchen Collage-Romans vorstellen kann.
Olga „Die Ankunft der 6000 Führungskräfte“
Galerie Kai Hoelzner
Adalbertstraße 96
2.11.–8.12.2007